News Logo
ABO

Schellhorn: "Wir müssen uns mehr anstrengen"

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
12 min

©Ricardo Herrgott/News
  1. home
  2. Aktuell
  3. Wirtschaft

Agenda-Austria-Direktor Franz Schellhorn warnt: Zu viele Menschen in Österreich arbeiten zu wenig. Der Wohlstand könne nur beibehalten werden, „wenn wir erkennen, dass wir uns mehr anstrengen müssen“

Herr Schellhorn, in welchem wirtschaftlichen Zustand hinterlässt diese Koalition das Land?

Wenn man auf die nackten Zahlen schaut, in keinem besonders guten. Österreich hat pro Kopf gesehen seit 2019 inflationsbereinigt das schwächste Wachstum aller EU-Länder. Wir haben keine wachsende Produktivität mehr in Österreich. Wir haben Lohnstückkosten, die durch die Decke gehen. Und wir haben ein hohes Budgetdefizit. Allein im ersten Halbjahr wurden 14 Milliarden mehr ausgegeben, als eingenommen worden sind. Das ist deutlich über den Maastricht-Grenzen. Da kommt einiges auf die nächste Regierung zu. Jetzt muss man fairerweise dazu sagen, die Ausgangsphase war nicht einfach für die aktuelle Regierung mit der Corona- und der Inflationskrise. Aber diese Krisen hatten alle, nur sind wir deutlich schlechter herausgekommen als vergleichbare Länder.

Kanzler Nehammer setzt darauf, dass Wirtschaftswachstum in Kombination mit einem „vernünftigen Budgetplan“, wie er sagt, für Konsolidierung sorgen wird. Kann sich das ausgehen?

Nein, weil sich Wachstum nicht einfach verordnen lässt. Der Weg zu Wachstum wird ein steiniger, und er wird relativ harte Maßnahmen erfordern. Das ist einerseits die Konsolidierung des Staatshaushalts. Das begünstigt das Wachstum zunächst nicht, ist aber die Basis dafür, dass man die Menschen anschließend steuerlich entlasten kann, damit sie wieder mehr arbeiten. Der Hauptgrund für das schlechte Wachstum ist ja, dass viel zu viele Menschen in Österreich zu wenig arbeiten. Es gibt so eine Art kollektiven Steuerstreik. Die Menschen haben bemerkt, dass der Stundenlohn in Teilzeit höher ist als in Vollzeit, und reagieren dementsprechend darauf. Das mag sich für den Einzelnen ausgehen, gesamtvolkswirtschaftlich geht es sich aber nicht aus.

Wirtschaftsforscher prognostizieren 1 bis 1,5 Prozent Wachstum für das kommende Jahr, Nehammer möchte 2 Prozent erreichen. Was kann eine Regierung jetzt rasch tun?

Schnelle Lösungen gibt es nicht. Rasch kann man nur auf psychologischer Ebene handeln. Derzeit signalisiert man der Wirtschaft permanent, dass man das Problem überhaupt nicht sieht und dass eh alles super ist – was natürlich auch dem Wahlkampf geschuldet ist. Aber die nächsten Regierungsverhandlungen sind der Zeitpunkt, an dem man der Wirtschaft zu verstehen geben muss, dass man das Problem erkannt hat und dass man Lösungen anbietet. Dann überlegt es sich der eine oder andere vielleicht doch noch, nicht im Ausland zu investieren. Denn wir haben derzeit einen großen Kapitalabfluss aus Österreich und Europa, insbesondere in die USA. Weil man dort deutlich bessere Bedingungen vorfindet.

Blurred image background

Franz Schellhorn, 55 , Der gebürtige Salzburger studierte an der WU, wurde an der Universität Wien zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften promoviert und arbeitete jahrelang als Journalist bei der Tageszeitung „Die Presse“, seit 2011 als deren stellvertretender Chefredakteur. Seit 2013 leitet Schellhorn den wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria.

 © Ricardo Herrgott/News

Wie ist die Stimmung in Österreichs Wirtschaft?

Sehr schlecht, muss man sagen. So schlecht, wie ich es jetzt in den letzten 30 Jahren noch nicht gesehen habe. Das Jammern gehört ja ein bisschen dazu. Ich habe nie erlebt, dass die Wirtschaft den Standort gelobt hätte. Aber derzeit geht es schon fast Richtung Defätismus. Man erwartet sich auch kaum noch Verbesserungen und Lösungen. Auch in der Bevölkerung kriegt man langsam mit, dass es nicht so gut läuft. Die Wirtschaftsforscher haben ja prognostiziert, dass durch die Stärkung der Kaufkraft der privaten Haushalte der Konsum anspringt und für mehr Wachstum sorgt. Das ist aber nicht der Fall. Die Menschen sehen, dass Kollegen gekündigt werden, sie sehen, dass Aufträge nicht kommen und dass Produktionen verlagert werden. Das sorgt für Verunsicherung. Man fährt schon noch auf Urlaub, aber das Auto kauft man ein Jahr später.

Wie sehr ist die wirtschaftliche Lage in Deutschland für Österreich ein Problem?

Die Lage in Deutschland verschärft das hausgemachte österreichische Problem. Deutschland zieht uns nicht nach oben, sondern ist eine zusätzliche Belastung, weil wir mit Deutschland sehr verwoben sind. Nicht mehr so stark wie früher, aber es ist immer noch der stärkste Handelspartner. Und das hat natürlich Auswirkungen.

Blurred image background
 © Waltl Grafik

Früher hieß es, wenn Deutschlands Wirtschaft einen Schnupfen hat, erkrankt die österreichisch an Grippe. Nehammer sagt, jetzt sei es umgekehrt.

Ich würde sagen, wenn Deutschland eine Grippe hat, haben wir auf jeden Fall einen grippeähnlichen Schnupfen.

Zu dem Problem des mangelnden Wirtschaftswachstums kommt die hohe Staatsverschuldung Österreichs. Ganz allgemein gesprochen, warum ist das ein Problem?

Wenn hohe Staatsverschuldung nicht zu mehr Wachstum führt, wie das in Österreich derzeit offensichtlich der Fall ist, nimmt man sich budgetäre Spielräume für die Zukunft. Wir geben dann mehr Geld aus für die Rückzahlung der Staatsschulden als für wichtige politische Aufgabenbereiche. Was noch dazu kommt, sind die Kosten einer überalternden Gesellschaft. Auf die jüngeren Generationen warten extrem hohe soziale Lasten. Wir müssen schauen, wie wir den Sozialstaat für die Jüngeren finanzierbar halten, und da sind natürlich niedrigere Staatsschulden besser als höhere. Mit Österreich vergleichbare Länder wie Schweden und Dänemark haben eine ähnliche Steuerpolitik wie wir, einen ähnlichen Zugang zum Wohlfahrtsstaat, aber sie haben halb so hohe Staatsschulden wie Österreich. Weil sie in guten Jahren immer Überschüsse abgeliefert haben, während wir Defizit an Defizit reihen. Österreich hat in 50 Jahren einen Überschuss im Bundeshaushalt geschafft, das war 2018. Da ist der Politik irgendwie das Missgeschick passiert, dass am Ende noch Geld in der Kasse übrig war.

Blurred image background

Franz Schellhorn mit Redakteurin Anna Gasteiger

 © Ricardo Herrgott/News

Sie plädieren für eine Ausgabenbremse. Wie soll das funktionieren?

Das ist relativ einfach: Die budgetierten Ausgaben dürfen nicht schneller steigen als die erwarteten Einnahmen. Tun sie es doch, müssen die Mehrausgaben innerhalb von drei Jahren wieder hereingespielt werden. Ausgenommen sind außerordentliche Krisen wie Corona. Das funktioniert in Ländern wie der Schweiz und Schweden ganz gut. Die Ausgabenbremse schützt die Bevölkerung vor ausgabefreudigen Politikern. Österreich bräuchte so etwas dringend, weil uns die Ausgaben einfach davonlaufen. Das führt früher oder später zu einem Defizitverfahren und in weiterer Folge zu höheren Aufschlägen auf den Finanzmärkten, weil Österreichs Bonität leidet. Das ist etwas, das man vermeiden sollte.

Ein Thema, über das Politiker in Wahlkampfzeiten ungern sprechen, ist die langfristige Sicherung des Pensionssystems. Sie sind dafür, das Pensionsantrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen. Warum?

Die Pensionen sind derzeit der größte Kostenblock. Wir geben 30 Milliarden aus, um das Defizit im staatlichen Pensionssystem zu stopfen. Das ist ein Viertel des Bundeshaushalts, fast die gesamten Lohnsteuereinnahmen, weil wir uns den Luxus leisten wollen, ungehindert mit 61 in Frühpension zu gehen. Aber wir müssen später in Frühpension gehen. Und um das zu erreichen, muss man das gesetzliche Pensionsantrittsalter schrittweise auf 67 anheben

Blurred image background
 © Waltl Grafik

Damit die Menschen, wie eigentlich vorgesehen, mit 65 in Pension gehen?

Genau. Oder um zumindest auf Durchschnittswerte wie in Skandinavien zu kommen, wo die Menschen im Schnitt mit 63, 64 in Pension gehen. Denn die Alternativen sind, die Pensionsbeiträge nochmal zu erhöhen, obwohl sie mit 22,8 Prozent schon sehr hoch sind, oder die Pensionen zu kürzen, aber das überlebt keine politische Partei. Daher finden wir, ein paar Monate später in Frühpension gehen, wäre eigentlich die sozialverträglichste Maßnahme.

Wie realistisch ist es, dass eine künftige Regierungskoalition sich dieses schwierigen Themas annimmt?

Das hängt davon ab, wie man dann in der Regierungsverhandlung auftritt. Es müsste halt irgendwann eine Partei das zur Koalitionsbedingung machen.

Es gibt nur eine Partei, die das Thema Pensionen aktiv anspricht. Wie soll die Zehn-Prozent-Partei NEOS Druck machen?

Wenn man sie in einer Koalition braucht, werden sie Forderungen nach einer Ausgabenbremse und einem höheren Pensionsantritt zur Bedingung machen müssen. Oder in Opposition bleiben. Alles andere wäre unglaubwürdig.

Angenommen, es werden keine Reformen durchgeführt und der Budget-Druck steigt stark. Wie spüren das die Menschen in diesem Land dann konkret?

Sie spüren es teilweise jetzt schon. Obwohl viel Geld ausgegeben wird und die Ausgaben jedes Jahr steigen, werden die Wartezeiten bei den Ärzten immer länger, warten die Menschen auf OP-Termine, lässt die Qualität der Schulen nach, insbesondere in den Ballungsgebieten. Und wenn auch die Kassen irgendwann nicht mehr so voll sind, steigt natürlich auch der Druck auf die Institutionen, Korrekturen vorzunehmen.

Blurred image background
 © Ricardo Herrgott/News

Die große Frage, die über allem steht und viele Menschen beschäftigt, ist natürlich, wird Österreich ärmer? Bleibt es so gut, wie es jetzt ist? Kann das Wohlstandsversprechen gehalten werden?

Es kann gehalten werden, wenn wir erkennen, dass wir uns dafür wieder mehr anstrengen müssen. Wir müssen wieder mehr dafür tun. Und das, glaube ich, ist es auch wert. Denn wir sind heute bereits ärmer als vor fünf Jahren. Unser Niveau ist so hoch, sodass uns dieser Rückgang kaum auffällt. Aber wir sollten schon erkennen, dass es kein Naturgesetz gibt, das besagt, die Österreicher werden immer am reich gedeckten Tisch des Wohlstands sitzen. Andere drängen viel stärker an diesen Tisch. Wir werden uns überlegen müssen, wie wir unseren Platz verteidigen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 39/2024 erschienen.

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER