Sebastian Klein hat das geschafft, wovon andere nur träumen: Als Mitgründer der Bücher-App „Blinkist“ schaffte er den Weg vom ambitionierten Start-Up-Gründer zum Multimillionär. Dann hat er sich vom Großteil seiner Millionen verabschiedet. Warum der Ex-Multimillionär extremen Reichtum für gefährlich hält, was Vermögen mit ihm gemacht hat – und was mit seinem Geld wirklich passiert ist.
„Blinkist“: Ein Name, den die meisten Leute, die sich für Technik, Wissen und Apps interessieren, kennen. Auf der Wissensplattform werden Sachbücher auf ihre Kernaussagen reduziert: Ideal für alle, die gern informiert bleiben aber wenig Zeit haben, die gerne belesen und gescheit sein (oder zumindest so wirken) wollen.
Gründer mit Gewissen
„Blinkist“ ist unter anderem Sebastian Kleins Werk. Der deutsche Psychologe, Autor und Unternehmer hat die App mit aufgebaut. Durch den Verkauf seiner Anteile wurde er über Nacht zum Multimillionär.
Klein hat „es“ geschafft – und das mit nicht mal 40 Jahren. Doch heute denkt er anders über Erfolg und die Schattenseiten von extremem Reichtum: Kritischer, vor allem. In seinem neuen Buch widmet er sich deshalb der Frage, was der Reichtum Einzelner mit unseren Demokratien macht und warum Vermögen vor allem Verantwortung bedeutet.


Ich habe mich mit meinem Vermögen identifiziert, was mir den Blick auf Dinge versperrt hat, die wichtig sind.
In Ihrem Buch „Toxisch reich“ beleuchten Sie die Schattenseiten von Reichtum und Kapitalismus. Was hat Sie persönlich dazu bewegt, 90 % Ihres Vermögens abzugeben? Und was genau haben Sie damit gemacht?
Was mich dazu bewegt hat, waren zwei Dinge: Einmal habe ich an mir selbst beobachtet, was es mit mir gemacht hat, immer reicher zu werden. Ich hatte das Gefühl, ich komme aus einem „Genug“ in ein „Zuviel“, und ich fand nicht gut, was das mit mir gemacht hat. Beispielsweise habe ich dann immer mehr angefangen, über Geld nachzudenken, mich zu fragen, wie ich es weiter mehren kann. Und ich habe mich mehr mit meinem Vermögen identifiziert, was mir den Blick auf Dinge versperrt hat, die wichtig sind im Leben. Gleichzeitig habe ich angefangen, mich mit der zunehmend extremen Ungleichheit in Ländern wie Deutschland und Österreich zu befassen. Ich habe die Bücher des Ökonomen Thomas Piketty gelesen und hatte den Eindruck, dass Ungleichheit und der damit verbundene extreme Reichtum ein riesiges und unterschätztes Problem in unseren Gesellschaften ist. Irgendwann wurde mir klar: Ich bin ja Teil dieses Problems. Um stattdessen Teil der Lösung zu sein, habe ich dann 90% meines Vermögens dauerhaft in eine gemeinnützige Organisation eingebracht. Nun arbeite ich mit einem Team daran, wie sich das Geld möglichst positiv für Gesellschaft und Demokratie einsetzen lässt. Beispielsweise haben wir letztes Jahr gemeinsam mit einigen Stiftungen den „Media Forward Fund“ gegründet, der in Deutschland, Österreich und Schweiz Mediengründungen finanziell fördert. Mit dem Ziel, die journalistischen Medien und damit die Demokratie zu stärken.
Ist es überhaupt möglich, Wohlstand auf eine ethisch vertretbare und nachhaltige Weise aufzubauen? Mit „ehrlicher Arbeit“, so heißt es in Österreich immer, baut man sich schließlich keinen Wohlstand auf – oder zumindest kein Vermögen im weiteren Sinne …
Natürlich kann man auch mit ehrlicher Arbeit Ersparnisse aufbauen. Wenn man dabei wirklich ethisch vorgeht und weder Mensch noch Natur ausbeuten will, dann wird man es aber ziemlich sicher nicht zum einem großen Vermögen bringen. Die meisten Vermögen heute stammen ja aus Erbschaft, d.h. sie basieren auf Arbeit, die Menschen in der Vergangenheit geleistet haben. Wenn einzelne diese Vermögen dann komplett für sich beanspruchen, ist das natürlich immer eine Aneignung. Denn die Leistung, die zu einem großen Vermögen geführt hat, haben ja sehr viele Menschen erbracht. Genau so ist natürlich auch der „self-made man“ eine Illusion: Man braucht immer andere, um irgendwas zu schaffen. Bei mir und meinen Gründungen ist es nicht anders gewesen. Daran haben immer sehr viele Menschen mitgearbeitet, und die, die am meisten dran verdient haben, war nicht unbedingt die, die am meisten geleistet haben.
Der ‚self-made man‘ ist eine Illusion: Man braucht immer andere, um irgendwas zu schaffen.


Über das Buch
In „Toxisch reich – Warum extremer Reichtum unsere Demokratie gefährdet.“ erklärt Sebastian Klein, warum ungleiche Gesellschaften schlechtere Gesellschaften und somit nachteilig für alle sind. Er erläutert, wie Kapital sinnvoll eingesetzt werden kann und welche Finanzierungsmodelle er für zukunftsfähig hält. Oekom, € 15,99
Hat sich Ihre Sicht auf Wohlstand seit Ihrem Erfolg mit „Blinkist“ verändert, und wenn ja, wie? Wie definieren Sie Wohlstand für sich persönlich, aus heutiger Sicht?
Meiner Meinung nach braucht es dringend eine gesellschaftliche Diskussion, was Wohlstand eigentlich ist. Wenn Wohlstand bedeutet, dass einzelne extrem reich sind, während viele überhaupt nichts vom Wohlstandskuchen abbekommen, dann ist das für mich kein gesellschaftlicher Wohlstand. Der müsste ja so aussehen, dass möglichst alle Menschen ein Leben in Würde führen können, dass nicht die einen zu viel und die anderen zu wenig haben. Auch als Reicher führe ich doch ein viel besseres Leben, wenn ich weiß, dass möglichst viele in der Gesellschaft sich finanziell sicher fühlen. Im Buch habe ich ein ganzes Kapitel dazu geschrieben, wieso ungleiche Gesellschaften schlechtere Gesellschaft sind – und zwar für alle, auch die Reichen.
Wie unterscheiden Sie „Reichtum“ von „extremem Reichtum“ – und sind beide gleichermaßen demokratiegefährdend?
Auch die Frage, was Reichtum eigentlich ist, bedarf meiner Meinung nach ein Update. Wenn das Ziel ist, dass einzelne für sich möglichst viel horten und dabei den Rest der Gesellschaft aus dem Blick verlieren, dann sind diese Menschen vielleicht finanziell reich. Sie sind aber auch menschlich arm und führen vermutlich kein sehr angenehmes Leben. Denn wer alles für sich haben will, ist meist von Ängsten geprägt, vielleicht auch von Gier und Geiz. Und das stelle ich mir nicht als besonders schönes Leben vor. Extrem wird Reichtum für mich, wenn er so groß ist, dass er eine Bedrohung für die Demokratie darstellt. Also wenn einzelne durch ihren Reichtum übermäßigen Einfluss auf Gesellschaft und Politik haben. Wenn Oligarchen wie Elon Musk und Jeff Bezos sich ganze Kommunikationsplattformen und Leitmedien kaufen können, dann zeigt sich die hässliche Seite des extremen Reichtums. Im Buch geht es mir aber nicht darum, die Reichen pauschal abzustrafen. Es geht um das strukturelle Problem des extremen Reichtums und der damit verbundenen Ungleichheit. Das müssen wir endlich als Problem anerkennen und Lösungen dafür finden.
Es geht um das strukturelle Problem des extremen Reichtums und der damit verbundenen Ungleichheit. Das müssen wir endlich als Problem anerkennen und Lösungen dafür finden.
Ihr Buch erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem in den USA eine immer stärkere Diskussion über Vermögenskonzentration sowie soziale Ungleichheit geführt wird, und sich Tech-Giganten schamlos in die Politik einkaufen. Haben Sie diese Entwicklung vorhergesehen?
Sagen wir es mal so, als ich das Buch geschrieben habe, wusste ich natürlich, dass die Reichsten in Ländern wie den USA einen ungesunden Einfluss auf die Politik haben. Dass sich Elon Musk dann hinstellt und sagt, ich kaufe mir den Laden und dass praktisch alle anderen Oligarchen mitmachen bei dem Spiel, hatte ich so aber nicht antizipiert. Es hat natürlich dem Buch geholfen, dass viele Menschen sich nun fragen, ob extremer Reichtum die Demokratie bedroht. Aber gewünscht hätte ich mir trotzdem nicht, dass das jetzt so schnell so eskaliert in den USA. Immerhin könnte es für uns in Europa eine Warnung sein, dass wir jetzt gegensteuern müssen, ehe wir ähnliche Verhältnisse bekommen.
Die Startup-Welt glorifiziert Überstunden, permanente Erreichbarkeit und extremen Leistungsdruck. Welche Rolle spielte diese Mentalität in Ihrer eigenen Karriere, und gibt es Dinge, die Sie heute völlig anders machen würden?
Ich gebe mit einem tollen Team seit einigen Jahren das Magazin Neue Narrative heraus. Darum geht es um eine Arbeitswelt, die menschenzentriert ist und nicht von diesem toxischen Menschenbild geprägt ist. Ich glaube, wir brauchen eine sehr grundlegende Transformation unserer ganzen Wirtschaft, die im Moment ja auf vielen Ebenen auf Ausbeutung ausgelegt ist. Darum geht es mir letztlich, dass wir diese Transformation, die mit Sicherheit zu einem besseren Leben für uns alle und letztlich auch zu mehr Wohlstand führen wird, dass wir diese Transformation hinbekommen, und zwar ohne großen Crash, ohne Krieg und eine andere große Krise, die uns zwingt, neu zu denken.
Europa hinkt in vielen Bereichen der Digitalisierung und technischen Innovation hinterher. Was raten Sie jungen Menschen mit einer guten Geschäftsidee?
An Ideen mangelt es ja nicht. Es mangelt meist am Kapital. Das ist leider für die meisten Menschen recht schwer zugänglich, weil es eben so konzentriert ist und die meisten Investoren dann doch wieder in eine sehr homogene, sehr privilegierte Gruppe an Unternehmern investiert und nicht in die breite Masse. Am einfachsten ist es daher immer, wenn man selbst Zugang zu Kapital hat oder zumindest einen Menschen im Team hat, der oder die etwas Startkapital mitbringt. Gerade Gründungen mit Tech-Komponente brauchen in der Regel viel Kapital, und da führt dann kein Weg an Geldgebern vorbei, wenn man nicht in eine reiche Familie geboren wird. Mein Tipp wäre dabei, sich genau zu überlegen, welchen Investor man sich ins Boot holt. Ich bin selbst Verfechter des Verantwortungseigentums. Das ist ein Ansatz, das Eigentum am Unternehmen so zu strukturieren, dass die Kontrolle immer im Unternehmen bleibt und Investoren keine Stimmrechte bekommen. So kann man sich vor den oft toxischen Effekten des Kapitalmarkts schützen. Ich arbeite mit Karma Capital gerade selbst an einem Fonds, der gezielt nur in solche Unternehmen investiert, weil wir diesen Bereich der Wirtschaft meines Erachtens stärken sollten.
Ich glaube, wir brauchen eine sehr grundlegende Transformation unserer ganzen Wirtschaft, die im Moment ja auf vielen Ebenen auf Ausbeutung ausgelegt ist.
Venture Capital ist für viele Startups eine essenzielle Finanzierungsquelle, geht aber oft mit enormem Druck einher. Welche alternativen Finanzierungsmodelle halten Sie für zukunftsfähig und unter welchen Bedingungen sind sie eine bessere Wahl als klassische Venture-Capital-Runden?
Im Buch „Toxisch reich“ habe ich ein ganzes Kapital dazu geschrieben, wie Kapital zum Teil der Lösung werden kann. Kurz gesagt sollten Kapitalgeber, wenn sie wirklich eine Idee fördern und nicht extraktiv wirken wollen, immer auf drei Punkte achten: Das Kapital sollte geduldig sein, also langfristig investiert werden. Es sollte keine Stimmrechte bekommen, dann ist sichergestellt, dass das Unternehmen auch langfristig seine Mission erfüllen kann. Und es sollte keine hohe Rendite anstreben. Das mag verrückt klingen, aber Menschen, die schon sehr reich sind, müssen ja nicht so investieren, dass sie noch reicher werden. Gerade in Zeiten, wo Ungleichheit eine große Bedrohung für die Stabilität der Gesellschaft und das Funktionieren der Demokratie ist, sollten sie lieber darauf achten, dass sie mit ihrem Investment eine große soziale Rendite erzielen statt ihre finanzielle Rendite zu maximieren.
Welche konkreten Maßnahmen sollte die Politik in den nächsten Jahren Ihrer Ansicht nach dringend ergreifen, um eine gerechtere und nachhaltigere Wirtschaft – und im weiteren Sinne, Gesellschaft – zu fördern?
Was oft völlig falsch eingeschätzt wird: Ungleichheit ist nicht nur schlecht für die Demokratie, sie ist auch schlecht fürs Klima und sogar für die Wirtschaft. Unsere Volkswirtschaften wären dynamischer, innovativer und würden sogar schneller wachsen, wenn die Ungleichheit nicht so groß wäre. Dazu habe ich im Buch einige sehr spannende Gespräche u.a. mit dem Ökonomen Marcel Fratzscher geführt. Entsprechend wäre es wichtig, dass wir über Steuergesetze und auch über Maßnahmen wie ein Grunderbe endlich dafür sorgen, dass unsere Gesellschaften endlich wieder zu Leistungsgesellschaften werden. Im Moment sind wir nämlich Erbengesellschaften, wo nicht die eigene Leistung, sondern vor allem die Familie, in die wir geboren werden, über unseren Platz in der Vermögensverteilung entscheidet.
Haben Sie sich endgültig aus der Startup-Welt zurückgezogen oder würden Sie, mit der richtigen Idee und dem richtigen Team, nochmal mit dem Gründen beginnen?
Ich gründe weiterhin permanent neue Sachen. Nur eben nicht mehr mit dem Ziel, damit möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen. Heute versuche ich mit meinen Gründungen und anderen Initiativen einen möglichst großen positiven Impact zu haben. Auch das Buch habe ich unter dem Gesichtspunkt geschrieben. Der Stundenlohn, so ein Buch zu schreiben, ist nämlich wirklich miserabel. Aber es kann natürlich zu einer gesellschaftlichen Diskussion beitragen. Und ich bekomme statt Geld vieles zurück, was letztlich viel mehr wert ist als finanzieller Reichtum: Wertschätzung, Verbindungen, und eben das Gefühl, wirksam zu sein und einen positiven Beitrag zu leisten.
Über den Autor
Sebastian Klein, 42
Der Psychologe, Unternehmer und Autor hat die Wissensplattform „Blinkist“ mitgegründet. Der Verkauf hat ihn zum Multimillionär gemacht. Den Großteil seines Vermögens brachte er dann dauerhaft in eine gemeinnützige Organisation ein. Ein Beitrag zu diesem Schritt verbreitete sich im Mai 2023 viral in den Sozialen Medien und erreichte über zwei Millionen Menschen, woraufhin zahlreiche Medien über ihn berichteten. Klein widmet sich Fragen rund um soziale (Un-)Gleichheit, Demokratie und dem verantwortungsbewusstem Umgang mit Kapital und Vermögen.