Die Strompreise explodieren. Aber warum? Zu einem wesentlichen Teil ist das dem sogenannten Merit Order-Prinzip geschuldet, wonach das teuerste Kraftwerk den Preis am Strommarkt bestimmt. Warum das so ist, welche Vorteile Merit Order hat und wo es Kritik gibt.
Was versteht man unter Merit-Order (einfach erklärt)?
Merit-Order ist eine Methode zur Strompreis-Berechnung in einem Stromhandelsmarkt. Nach diesem Prinzip werden Kraftwerke der Reihe nach zugeschaltet, bis der Bedarf gedeckt ist. Dabei wird zuerst das günstigste Kraftwerk eingeschaltet, dann das zweitgünstigste und so weiter – bis genügend Strom zur Verfügung steht. Somit ist das letzte, das zugeschalten wird, das teuerste.
Der Strompreis richtet sich dann nach dem letzten zugeschaltenen Kraftwerk – also dem teuersten.
Das heißt, wenn zuerst der Strom um zehn Euro angeboten wurde und zum Schluss kommt ein Kraftwerk, dessen Betrieb zur Angebotserfüllung noch notwendig ist, mit 1.000, dann beträgt der Strompreis 1.000 Euro.
Der Betreiber des günstigsten Kraftwerks hat damit den höchsten Gewinn.
Was ist der Sinn des Merit-Order-Prinzips?
Der Gedanke dahinter ist, dass Kraftwerks-Betreiber bemüht sind, über günstige und effiziente Kraftwerke zu verfügen und der Umstieg auf erneuerbare Energien forciert wird. Sollte einmal kein Gaskraftwerk mehr notwendig sein, um den Bedarf zu decken und dieser nur noch aus erneuerbaren Energien wie Windkraft oder Wasserkraft etwa gedeckt werden, geht man davon aus, dass die Strompreise drastisch sinken.
Wo gilt das Merit-Order-Prinzip?
Das Merit-Order-Prinzip gilt im europäischen Strommarkt, also auch für Österreich.
Was ist der Nachteil?
In der aktuellen Situation etwa sind die Gaspreise enorm hoch. Gaskraftwerke werden aber benötigt, um den Strombedarf zu decken. So treibt auch nur ein einziges Gaskraftwerk, wenn es zugeschalten werden muss (was der Fall ist), die Strompreise extrem in die Höhe.
Debatte um Merit-Order-Prinzip
Vielfach wird dieses Merit-Order-Prinzip nun wegen der extrem hohen Strompreise aufgrund der gestiegenen Gaspreise kritisiert und eine Abschaffung oder zumindest temporäre Aussetzung dieser Preisberechnungs-Methode gefordert. Allerdings warnen Experten davor, hier den Preismechanismus etwa mit Preisdeckeln auszuhebeln, da so ein Eingriff zu unkontrollierbaren Effekten führen könnte. Die größte Gefahr sei, so Experten im „Handelsblatt“, der Handel mit dem Ausland: Wenn der Strom hier billiger würde, könnte er ins Ausland abfließen – und damit Subventionen, die die EU-Staaten investiert hätten.
Energieexperte Wolfgang Anzengruber kritisiert eine Vermischung der Preisbildung von zwei unterschiedlichen Technologien, wie er in News ausführt: „Das Merit-Order-System wurde vor rund 25 Jahren mit der Liberalisierung des Strommarkts eingeführt. Das Problem dabei ist auch, dass hier zwei grundsätzlich unterschiedliche Technologien mit unterschiedlicher Preisbildung vermischt werden. Bei fossilen Kraftwerken auf Basis von Kohle, Öl oder Gas werden variable Kosten aufgrund der sich ändernden Einkaufspreise ermittelt. Bei erneuerbaren Energien dagegen gibt es praktisch kaum variable Kosten - Wind, Wasser, Sonne selbst kosten ja nichts.“
„Wenn einmal kein Gaskraftwerk mehr notwendig ist, um den Bedarf zu decken, werden die Strompreise dramatisch sinken. Dann betragen sie vielleicht 20 Euro statt wie zuletzt 1.000. Dann bekommen die Energieversorger Riesenprobleme, weil sie ihre Investitionen nicht mehr stemmen können. Das ist ein zweischneidiges Schwert, bei dem heute nur die eine Schneide weh tut. In Zukunft kann dann die zweite weh tun.“
Ökonom Georg Zachmann von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel sieht die Möglichkeit, den Merit-Order-Mechanismus dauerhaft auszusetzen nur darin, den Markt radikal zu zentrieren. So sei eine Preisentkoppelung (Strom und Gas) möglich, dafür müsste aber der Staat quasi in alle Vertragsbeziehungen eingreifen können. Eine derartige Reform sei aber langwierig und politisch unrealistisch, auch wegen unterschiedlicher Interessen der Länder und Energiefirmen.
Generell raten Experten von einer Strommarktreform derzeit ab. "Eine Strommarktreform mitten in der Energiekrise ist kein Selbstläufer", so etwa der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU).