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Weniger statt mehr

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Kleiderbügel hängen auf einem leeren Kleiderständer.

©Andrej Lisakov/Unsplash
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Reparieren statt wegwerfen, aufbrauchen statt horten: Konsumverzicht wird immer mehr zum Trend – gerade bei jungen Menschen. Welche Auswirkungen "Underconsumption Core" auf Umwelt und Psyche hat.

Er fällt jedes Jahr auf einen anderen Tag. Mal ist er früher, mal ein paar Tage später, tendenziell aber immer früher. 2023 fiel er auf den 2. August. 2024 war bereits am 1. August "Earth Overshoot Day": jener Tag, an dem die menschliche Rasse die natürlichen Ressourcen, welche die Erde innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellen kann, aufgebraucht hat. Seither leben wir auf Pump.

Wir brauchen unsere Ressourcen 1,75 Mal schneller auf, als Ökosysteme sich regenerieren können. Anders gesagt: Derzeit leben wir so, als ob wir 1,75 Erden zur Verfügung hätten, um unsere Bedürfnisse zu decken.

Weniger kaufen, mehr verbrauchen

Unter dem Hashtag "#MoveTheDate" (deutsch: "Verschiebt das Datum") fordern Umweltschützer und Erdbewohner mit einem Interesse am Überleben lautstark Lösungen und Innovationen, um eine globale Klimakatastrophe abzuwenden. Gelder werden für die Lösung von Umweltproblemen bereitgestellt, wegweisende Projekte gefördert.

Diese Maßnahmen sind toll, reichen aber bei Weitem nicht aus, um der Klimaerwärmung schnell und effizient entgegenzuwirken. Die Politik verschläft die Klimakrise – oder bekämpft diese zumindest nicht mit der nötigen Radikalität. Denn in einem Punkt sind sich viele Experten einig: Ganz ohne Verzicht wird es nicht gehen.

Dabei müsste es gar so sehr nicht weh tun, bewusst und freiwillig auf ein paar Dinge zu verzichten, meint zumindest Ingo Balderjahn: Der Wirtschaftswissenschaftler und emeritierte Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre und Marketing an der Uni Potsdam hat sich der Konsumforschung verschrieben. In seinem Buch "Lust auf Verzicht" beschäftigt er sich außerdem mit der Frage, ob bewusster Konsum wirklich glücklicher macht und wie sich ein gewisses Maß an freiwilligem Verzicht positiv auf das Klima auswirkt. Denn Überkonsum, so der Seniorprofessor, ist eine der Hauptursachen für globalen Klimawandel: "Im Hinblick auf den ökologischen Fußabdruck, also den zusammengefassten Ressourcenverbrauch und die Emissionen von Treibhausgasen weltweit eines Jahres, ist der Konsum dann nachhaltig, wenn die dafür verbrauchten Rohstoffe von der Biokapazität jährlich regenerierbar wieder bereitgestellt werden können. Das ist aktuell nicht der Fall", so der Experte.

Augenblicklich ist zur Deckung des Verbrauchs an natürlichen Rohstoffen eine Fläche von 1,7 Erden notwendig. Würden alle Menschen auf der Erde so maßlos konsumieren wie in Deutschland, dann wären sogar drei Erden nötig, um diese Nachfrage zu decken. Wir sind also weit davon entfernt, nachhaltig mit unseren Rohstoffen umzugehen.

Nachhaltiger Konsum

Wie nachhaltiger Konsum ginge, wissen prinzipiell die meisten: lieber regionale und saisonale Biolebensmittel kaufen, statt zu stark behandelten, exotischen Früchten zu greifen, lieber Fairtrade- statt Billigkaffee. Doch auch, wenn man brav Kompensationszahlungen für Onlinebestellungen oder Flüge leistet, kann es ohne freiwilligen Verzicht der breiten Masse keine maßgeblichen positiven Veränderungen beim Klima geben. Balderjahn zufolge sollte man also, einfach gesagt, weniger konsumieren. "Wer gerade mal so mit dem Geld über die Runden kommt, ist natürlich nicht angesprochen. Alle anderen schon", mahnt der Experte.

Glücklich durch Verzicht

Das käme nicht nur dem Klima zugute, so Balderjahn: "Weniger zu konsumieren, tut nicht nur dem Klima gut, sondern auch uns persönlich. Denn es stärkt Bedürfnisse nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit und macht Menschen dabei glücklich. Viele, die weniger konsumieren, als sie sich finanziell leisten könnten, sind mit ihrem Leben oft sehr zufrieden und vermissen nichts."

Doch kann diese Freiwilligkeit in einem auf ständiges Wachstum angelegten, kapitalistischen System überhaupt existieren? "Nein. Denn unbegrenztes Wirtschaftswachstum ist in einer Welt begrenzter Ressourcen nicht möglich. Wir haben nur diesen einen Planeten. Nicht nachhaltiger Verbrauch von Rohstoffen durch Ausbeutung und Raubbau führt letztlich zur Vernichtung menschlicher Lebensgrundlagen." Allerdings, so Balderjahn, ist der Kapitalismus daran weniger beteiligt, als man meinen würde: Das Streben vieler Unternehmen nach Effizienz hat beispielsweise bewirkt, dass sich die Ökoeffizienz von Produkten in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat, erklärt der Forscher. "Je hergestellter Leistungseinheit werden immer weniger Ressourcen benötigt. Nur haben damit verbundene Preissenkungen von Produkten zu deutlichen Mehrverbräuchen geführt und so die Gewinne bei der Ökoeffizienz wieder zunichtegemacht."

Umweltbelastung durch Fast Fashion

Der Modesektor zählt mit zu den größten Umweltverschmutzern weltweit. Chiles Atacama-Wüste wurde zum gigantischen Friedhof für Fast Fashion: Bergeweise türmt sich hier Kleidung, die kaum getragen weggeworfen wurde. Dem Umweltbundesamt zufolge landeten 2023 allein in Österreich 227.796 Tonnen Textilabfälle im Müll. Nur etwa 59.000  Tonnen davon wurden korrekt über Sammelstellen entsorgt.

Fast-Fashion-Anbieter Shein erzielte 2023 Schätzungen zufolge rund 40,5 Milliarden US-Dollar Umsatz, was eine Prozentsteigerung zwischen 30 und 55  Prozent im Vergleich zu Vorjahren ergeben soll. Genaue Zahlen gibt es nicht, der chinesische Hersteller hält seine Finanzzahlen gern unter Verschluss. Rund 200.000 Shein-Pakete pro Tag werden aber allein in Deutschland tagtäglich ausgeliefert. Der chinesische Modegigant flutet den Markt mit Billigware, die dann häufig nur wenige Male getragen oder gar neuwertig im Müll landet.

Doch es gibt Gegenbewegungen. Auf der chinesischen Plattform TikTok trenden Begriffe wie "Underconsumption", also Minderverbrauch. User zeigen unter diesem Hashtag eher bescheidenen Lifestyle statt überbordenden Luxus und ernten dafür Millionen von Likes und Kommentaren. Userin @alicechae zeigt sich "frugal and proud" (deutsch: "sparsam und stolz darauf"), indem sie lediglich ein Parfum besitzt, ihre Sneaker reinigt und repariert, anstatt neue zu kaufen, und Upcycling betreibt. 1,4 Millionen Aufrufe hat ihr Video bisher.

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Die Textilstrategie der EU sieht vor, dass Textilien ab 2025 getrennt erfasst werden müssen. Auch ein Vernichtungsverbot unverkaufter Produkte ist geplant

 © Getty Images

Zeit des Umdenkens

Weniger zu verbrauchen ist bei vielen jungen Menschen längst Trend geworden: "Underconsumption Core" fordert die Konsumkultur heraus wie kaum eine andere Bewegung und zeigt, dass Minimalismus und Sparsamkeit mittlerweile als cool gelten können. Was für viele User jedoch eine freiwillige Lifestyle-Entscheidung ist, ist für Menschen an der Armutsgrenze täglich Realität. Auch das thematisiert die Bewegung.

Wer die Möglichkeit hat, seinen Konsum freiwillig einzuschränken, sollte dies auch tun, rät Balderjahn. "Politisches Handeln und technologische Innovationen werden nicht ausreichen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. In Verantwortung und Selbstbestimmung könnte fast jeder etwas zum Klimaschutz beitragen. Je mehr Menschen freiwillig weniger konsumieren, desto stärker die klimaschonende Wirkung", ermuntert der Seniorprofessor.

"Die Studien zeigen deutlich, dass freiwilliger Konsumverzicht nicht als Verlust, Opfer oder Askese empfunden wird. Denn wer bewusst auf verschwenderischen Konsum verzichtet, stärkt Gefühle der Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit und Unabhängigkeit. Das wiederum führt dazu, dass diese Menschen zufrieden mit ihrem Leben sind." Ein Experiment, das man wagen sollte.

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