Wie kann man Städte an die Hitze anpassen? Die Stadtklimatologen Magdalena Holzer und Simon Tschannett erklären, wie es gehen kann. Und warum "Cool Air Gentrification" künftig eine Rolle spielen könnte.
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Rund 57 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Städten. Bis zu 65 Prozent werden es nach Schätzungen der UNO bis 2050 sein. Doch wer es sich leisten kann, wird in den Sommermonaten aus eben jenen Städten flüchten. Asphalt und Gebäude heizen sich auf. Es kühlt nachts kaum ab. Wohnbauten sind zu wenig darauf ausgerichtet, ihre Bewohner vor immer höher steigenden Temperaturen zu schützen.
Die Hitze der Stadt. Schon jetzt ist sie kaum erträglich. Dabei müssen Städte wie Wien damit rechnen, vom Klimawandel besonders stark betroffen zu sein. Forscher der ETH Zürich kamen 2019 zu dem Schluss, dass die Temperatur hier um 7,6 Grad zulegen könnte. "Wir müssen nicht nur die Städte neu denken, wir müssen auch unsere Verhaltensweisen neu denken", erklärt Stadtklimatologin Magdalena Holzer. Die Städte, in denen wir heute leben, sind für ein anderes Klima geplant. Beim Bau dachte man früher ans Heizen, jetzt muss man darüber nachdenken, wie man Häuser kühl hält. "Die Frage ist auch, an welches Klima wir uns überhaupt anpassen müssen", sagt Holzer.
"Das Klima haben wir als Menschheit radikal verändert", fügt Simon Tschannett, Stadtklimatologe bei dem Beratungsunternehmen Weatherpark, an. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Österreich kaum Hitzetage über 30 Grad. In den letzten 30 Jahren stöhnte man jedes einzelne Jahr unter Hitzewellen. Neben Maßnahmen gegen die Klimakrise gehe es längst auch um Klimawandelanpassung. Und darum, ob nicht irgendwann auch die Grenzen der Anpassung erreicht seien, wenn es noch heißer wird.
Anpassung beim Wohnen
Um Wohnungen kühl zu halten, gibt es individuelle Verbesserungsmöglichkeiten, wie Außenjalousien oder Klimageräte. Für Beschattungsmaßnahmen gibt es in manchen Städten bereits Förderungen, die verstärkt werden müssten. Zudem plädiert Tschannett für an den Klimawandel angepasste Baunormen und Vorschriften. Neben "Gas raus" aus Häusern und Wohnungen gehe es jetzt um "Kälte rein". Etwa Fernkälte, die – wie bei der Fernwärme – zentral erzeugt und in die Häuser geleitet wird. Für solche Kühlmaßnahmen zu sorgen, dürfe nicht dem oder der Einzelnen überlassen bleiben, es sei eine öffentliche Aufgabe mit entsprechender Planung, also ein Auftrag an die Politik, sagt der Stadtklimatologe. Diese müsse auch für die Finanzierung sorgen. "Bei den Anpassungsmaßnahmen an die Folgen der Klimakrise wird es nicht um ein paar Millionen gehen, sondern um Milliarden."
Neben dem "Wie" geht es beim Bauen noch stärker um das "Wo", erklären Holzer und Tschannett. Jede Stadt hat unterschiedliche Klimazonen. Bereiche, in die bei Nacht kühlere Luft aus Grüngebieten fließt, sowie solche, die sich stark aufheizen und kaum abkühlen. Für die Stadtplanung ist es wichtig zu wissen, wo solche Kaltluftströme verlaufen und wie hoch sich die kühle Luft auftürmt. Ist der Kaltluftstrom hoch, stört ihn ein niedriges Gebäude nicht. Ist er flach, könnte man höchstens an ein Gebäudeauf Stelzen denken, unter dem die kühle Luft ungehindert weiterfließen kann. Eine Stadtklima-Analyse könne dabei helfen, Prioritäten bei Klima-Anpassungsmaßnahmen zu setzen. Wo es sehr heiß ist, sind diese dringender geboten. Die Kaltluftzonen einer Stadt könnten in Zukunft zu einem neuen Trend führen: Cool Air Gentrification. Wohnen in Kaltluftströmen würde teurer.
Prioritätensetzung wünscht sich Holzer auch, wenn es um Maßnahmen wie Baumpflanzungen und Wasser in der Stadt geht. Nicht für jeden Platz oder jede Straße sind Baumpflanzungen die einzig mögliche Anpassungsmaßnahme. Man müsse definieren, erklärt die Expertin, wie der jeweilige Raum genützt werde, und daraus einen passenden Mix an Maßnahmen für den Standort erarbeiten.
Der Konflikt: Autos gegen den Rest
Steht man in der prallen Sonne an einem Fußgängerübergang und wartet auf Grün, kann man Autofahrer, die in klimatisierten Wagen vorbeirauschen, verstehen. Allerdings: Geht es darum, die Stadt zu kühlen, muss nicht nur weniger gefahren werden, die Autos müssen, auch wenn sie stehen, weg von der Straße. Zum einen heizen sie sich auf und strahlen Wärme ab. Zum anderen wird der Platz für Klima-Anpassungsmaßnahmen gebraucht, erklärt Tschannett. Etwa für die Entsiegelung von Böden. "Die Autos müssen dafür unter die Häuser", ergänzt Holzer, denn es braucht genügend Substrat, um Bäume pflanzen zu können und den natürlichen Bodenwärmestrom und Wasseraustausch zu ermöglichen. Das geht über einer Tiefgarage nicht.
Immer noch zu wenig Augenmerk liegt auf jenen, die zu Fuß gehen. Der Asphalt heizt sich auf 60, 70 Grad auf, das ist besonders belastend für Kinder, ältere oder kranke Menschen, wird aber auch für fitte Fußgängerinnen zur Qual. Kürzere Wartezeiten an den Ampeln, beschattete Wartebereiche an der Kreuzung, möglichst kurze Wege an der prallen Sonne – im Süden baut man schon lange Arkadengänge – wären Gebote für eine klimafitte Stadt.
Unser Leben und die Gesellschaft werden sich ans Klima anpassen müssen. Stadtbewohnerinnen und -bewohner könnten ihren Alltag in Zukunft so gestalten, wie es im Süden üblich ist. Lange Mittagspause, dafür am Abend länger arbeiten. Treffen werden in gekühlte Innenräume verlagert. Oder – Simon Tschannett wagt sich an das Tabuthema Ferien: "Man könnte die Schulen im Sommer kühlen und Unterricht machen und die Ferien in die kühlere Jahreszeit verlegen."
Positive Vision
Passiert schon etwas in Österreichs Städten? Ja, sagen die Stadtklimatologen. Immer mehr Städte verfügen bereits über Stadtklima-Analysen. Passiert es schnell genug? Nein. "Jetzt geht es ums Tempo", sagt Tschannett, "wir haben nicht mehr lange Zeit." Holzer ergänzt: "Bisher haben wir Klimagrenzwerte, von denen wir dachten, dass sie in Jahrzehnten schlagend werden, viel früher erreicht."
Aber, so Tschannett, die Anpassung der Städte sei auch eine "Riesenchance, eine positive Vision. Wie lässig kann es sein, Dinge zu überdenken, die für uns alle nicht passen? Für mich wäre das Schönste, wenn wir die Klima-Anpassung dafür nützen, unseren Kindern eine verbesserte Welt und eine lebenswerte Stadt zu übergeben."
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 34/2024 erschienen.