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"Die Liquid Biopsy gibt es schon seit einigen Jahren. Die Einsatzmöglichkeiten sind sehr breit. Am besten eignet sich dazu Blutserum. Man kann darin viele einzelne Bestandteile identifizieren und analysieren. Bei Brustkrebs kann das Erbgut aus ganzen, im Blut zirkulierenden Tumorzellen (CTCs) sein, zellfreie DNA (cfDNA), RNA oder sogenannte Vesikel, die von Tumorzellen ausgeschieden werden", sagte Zsuzsanna Bago-Horvath, Gynäkopathologin am Klinischen Institut für Pathologie von MedUni Wien/AKH, gegenüber der APA.
Waren die Pathologen viele, viele Jahrzehnte lang auf Gewebeproben zur Begutachtung angewiesen, stellen solche Untersuchungen aus Blutserum natürlich eine schonendere und leichter erreichbare Quelle von Tumormaterial etc. dar. "Die nicht-invasive Natur dieses Zuganges erlaubt eine Analyse des Profils eines ganzen Tumors, gleichzeitig aber auch eine in Echtzeit ablaufende Überwachung der Effektivität von Therapien und das Identifizieren von Resistenzmechanismen, um in der Folge eine zielgerichtete Behandlung zu ermöglichen", schrieb ein internationales Wissenschaftlerteam mit Zsuzsanna Bago-Horvath als Co-Autorin in "Molecular Oncology".
Mit den ersten Erkenntnissen zur Flüssig-Biopsie ging in verschiedenen Massenmedien ein veritabler "Hype" über die Einsatzmöglichkeiten der Technik einher. Schnell war gleich von möglicher Früherkennung verschiedener Krebserkrankungen aus Blutproben die Rede.
Doch das ist unrealistisch. "Ausgangspunkt für eine nachfolgende Liquid-Biopsy-Untersuchung ist auch bei Brustkrebs oft eine Gewebeprobe, zum Beispiel aus einer Biopsie oder aus einer Tumoroperation", sagte die Pathologin. Dann wird das Genom von Tumorzellen aus diesen Gewebeproben sequenziert - damit lässt sich in später gewonnenen Blutproben dann ganz exakt nach eventuell genetisch "passenden" Zellen oder Erbgutbestandteilen suchen bzw. können sie quantifiziert werden. Dies wäre eine individualisierte Analyse auf der Basis einer Flüssig-Biopsie.
"Es werden aber auch schon seit einiger Zeit Tests angeboten, mit denen man in Serumproben nach zirkulierenden Zellen oder Genombestandteilen mit genetischen Veränderungen sucht, die sozusagen 'typisch' in Mammakarzinomzellen vorkommen. Das wären zum Beispiel Mutationen in Genen wie AKT1, PIK3CA oder PTEN", erklärte die Expertin.
Während sich die Flüssig-Biopsie zumindest derzeit keinesfalls für ein Screening von Gesunden auf das Vorliegen einer Krebserkrankung eignet, gibt es für Mammakarzinom-Patientinnen zunehmend mehr Anwendungsbereiche. "Bei Patientinnen mit nicht-metastasiertem Brustkrebs (Stadium I bis III) führte eine regelmäßige Überwachung der (im Blut; Anm.) zirkulierenden DNA zum Entdecken eines Fortschreitens der Erkrankung mit einer Sensitivität von 86 bis 93 Prozent und einer Spezifität (negativer Befund tatsächlich negativ; Anm.) von hundert Prozent - durchschnittlich um elf Monate früher als das Wiederauftreten der Erkrankung per Bildgebung (z.B. CT; Anm.) oder durch klinische Anzeichen entdeckt wurde", schrieben die Wissenschafter.
Erst vor kurzem gab es bei der unter Fachleuten weltbekannten Brustkrebskonferenz in San Antonio in den USA neue Daten aus klinischen Studien. "Untersuchte man Blutserum von Patientinnen auf zellfreie Tumor-DNA, zeigte sich, dass man zum Zeitpunkt, als die Flüssig-Biopsie Anzeichen für einen Rückfall erbrachte, diesen wohl auch bereits in der Bildgebung erkennen konnte, doch für die Nachsorge von Brustkrebspatientinnen kann die Liquid Biopsy trotzdem wichtig werden. Wir haben in Österreich eine sehr engmaschige Nachsorge für Patientinnen nach einem Mammakarzinom. Aber wenn man ihnen beispielsweise mit der Abnahme einer Blutprobe an ihrem Wohnort und der nachfolgenden Analyse im Labor etwa eine weite Fahrt bis zu einem Zentrum für Bildgebung (Sonografie, CT, MRT; Anm.) ersparen könnte, wäre das sicher ein Vorteil", sagte Zsuzsanna Bago-Horvath.
Auch im Falle eines verdächtigen Befundes aus der Bildgebung könnte die Flüssig-Biopsie aus Blutserum eventuell einen Hinweis auf den exakten Sachverhalt geben. Nicht jede in einer Ultraschall-, Computertomografie oder MRT-Untersuchung feststellbare Veränderung in Gewebe muss quasi automatisch eine bösartige Ursache haben. Hier könnte die DNA-Analyse aus dem Blut ergänzende Informationen liefern und eventuell belastende zusätzliche Untersuchungen vermeiden helfen.
Eine wesentliche Rolle dürfte der Liquid Biopsy in Zukunft aber speziell in der oft jahrelang durchgeführten medikamentösen Behandlung von Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs und Metastasen zukommen. Die Wiener Pathologin: "Hier spielt diese Technik zunehmend eine entscheidende Rolle bei der Beobachtung der Entwicklung des Tumors."
Einerseits erlaubt die Flüssig-Biopsie eine Quantifizierung: Je mehr Erbgut(-bestandteile) des Tumors oder von Metastasen im Blut auftaucht bzw. auftauchen, desto größer ist die Tumorlast. Auf der anderen Seite verändern Mammakarzinome im Laufe der Zeit ihre genetische Charakteristik, sie häufen beispielsweise Mutationen an, welche sie für bestimmte verwendete Medikamente unempfindlich oder resistent werden lassen. "Ein Beispiel ist, dass Mammakarzinome, die ursprünglich hormonabhängig (Östrogen, Progesteron; Anm.) waren, mit der Zeit die Rezeptoren für diese Hormone verlieren und damit auch die Wirkung einer antihormonellen Therapie verschwindet", erklärte die Expertin. Auf der anderen Seite können die Tumoren neue Mutationen (z.B. HER2-Mutationen; Anm.) entwickeln, welche sie wiederum für andere Therapien empfindlich machen.
Die Situation rund um die Flüssig-Biopsie verändert sich jedenfalls mit dem Fortschritt der Wissenschaft ständig, und das sehr schnell. Deshalb ist die Internationale St. Gallen Brustkrebs-Konferenz in Wien (12. bis 15. März) mit bis zu 5.000 Teilnehmern auch so wichtig, weil dort die neuen Entwicklungen diskutiert, eingeordnet und schließlich ein Expertenkonsens gefunden werden soll, welcher allen mit Brustkrebspatientinnen konfrontierten Ärzten und natürlich auch den Betroffenen selbst eine aktuelle und seriöse Wissensbasis liefern soll.
MÖDLING - ÖSTERREICH: FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER