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Die deutsche Politökonomin hat die Bewegung "Scientists for Future" mitbegründet. Sie setzt sich in verschiedenen Initiativen sowie im Rahmen der Wissenschaftskommunikation für gesellschaftliche Transformation ein. Für sie ist zentral, auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft - und ungeachtet jener Stimmen, die versuchen, evidenzbasiertes Wissen zu Klimaschutz und damit auch die Naturwissenschaften zu ideologisieren - den Blick für die langfristigen Ziele nicht zu verlieren.
"Wenn es etwas gibt, was Kunst, Kultur und Wissenschaft dürfen und einbringen sollten, dann ist es, den Imaginationsraum weit zu halten", meint die 48-jährige Nachhaltigkeitsexpertin: "Es ist unsere Aufgabe, die Pfade der möglichen Entwicklungen breit zu halten, damit die Gesellschaft das Spektrum der Optionen noch sehen kann." Göpel hält am Freitagnachmittag an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) eine "Vienna Lecture on Science Communication", im Vorfeld zum 10. "Wiener Ball der Wissenschaften".
Dekarbonisierung, Digitalisierung, effizientere Energiesysteme und die Regeneration der natürlichen Flächen gelten als zentrale Notwendigkeiten auf dem Weg des gesellschaftlichen Wandels. Als einen "zentralen Durchbruch" sieht Göpel auf dem langen Weg der Transformation das Verständnis an, dass Technologie und Ökologie zusammen gehören: Das Ökologische sei zuvor eher als ein "Zurück-zu-den-Höhlen" gebrandmarkt gewesen. Dann kam man "in der For-Future-Welle" überein, "dass wir mit technologischer Revolution auch Sollbruchstellen der Nachhaltigkeit bedienen könnten".
Das habe sich auch im europäischen "Green Deal" gezeigt: "Dieser ist gedacht als innovatives Zukunftsmodell, als Sicherheitsagenda", um z.B. die Dekarbonisierung der Wirtschaft und die Ressourceneffizienz zu fördern und "damit auch die Basis zu legen, die zukunftsfesten Lösungen zu entwickeln, sodass wir weniger über die Ressourcen streiten müssen", so Göpel: "Doch mit dem 'grünen Label' haben wir es vielleicht auch einigen schwer gemacht, das anzunehmen". Denn "Grün" sei in Folge mit "grüner Parteipolitik" assoziiert worden, und "das haben so einige genutzt, um auch naturwissenschaftliche Evidenz als ideologisch zu bezeichnen" - "eine tragische Entwicklung", so die Professorin der Universität Lüneburg.
Das lautstarke Aufbegehren gegen Initiativen des Green Deals, etwa auch in Form von Protestaktionen von Landwirten, ersucht die Forscherin differenzierter zu betrachten: "Wir dürfen nicht vergessen, dass jene, die am lautesten schreien, in den wenigsten Fällen die Mehrheit sind. Dennoch wollen sie gerne für die gesamte Branche reden - für 'das Volk' ist ja auch so eine Variante." Aber was wichtig sei: "Vielen Landwirten, die natürlich durchaus das Bewusstsein für Klimaschutz und Bodengesundheit haben, fehlt Klarheit - weil es politisch kein verlässliches und planbares Umsteuern gibt." Im parteipolitischen Showdown werde immer wieder damit gespielt, alles zurückzudrehen, wenn erst einmal wieder Regierungsmacht besteht.
Als einen positiven Ansatz für Bewusstseinsbildung nennt Göpel die in Deutschland sowie auf EU-Ebene initiierten "Zukunftskommissionen Landwirtschaft", in dessen Rahmen jeweils Landwirte aus allen Anbauformen konsultiert wurden: "Wenn wir Betroffene hinzuziehen und zu Ko-Kreatoren der Lösungen machen, die sie dann umsetzen sollen, kommt immer mehr raus als in parteipolitischen, medial überschrienen Debatten, wo einzelne die Schlagzeilen bekommen, weil sie mit Traktoren alles kaputtmetzeln."
Nur fehlt oft auch bei diesen Initiativen die Verbindlichkeit: "Es ist natürlich komplettes politisches Versagen, wenn Ergebnisse auf dem Tisch liegen, und diese mit einer Neuwahl keine weitere Berücksichtigung finden." So war es 2021 in Deutschland, und auf europäischer Ebene sei unklar, was mit der "Zukunftskommission Landwirtschaft" passiere, so Göpel: Die strukturelle Kurzfristigkeit in der Politik, aber auch in Geschäftsmodellen habe sich schon immer als "größte Blockade für transformatives Handeln" gezeigt.
Initiativen wie "Scientists for Future" haben für Göpel entscheidend dazu beigetragen, "pluralistische Resonanz" zu erzeugen und das "kollaborative Problemlösen" zu fördern. Auch wenn heute die Politik bisweilen recht ausgeprägte Beratungsresistenz gegenüber den Erkenntnissen aus der Wissenschaft zum Umgang mit Klimawandel zeigt, wisse man aus Umfragen: "Die Menschen als Rezipienten von Diagnosen wollen mit der Problemanalyse auch über Handlungsoptionen informiert werden. Das kennt man auch von Krankheiten - man will wissen, wie man damit umgehen kann."
So gründete Göpel auch kürzlich "Mission Wertvoll" als ein Netzwerk, welches sich den "Verunmöglichkeitsdebatten" annehmen möchte - also jenen Debatten, die nur thematisieren, warum etwas nicht geht. "Wir überlegen uns, wie die Debatten geführt werden sollten, wenn wir die deklarierten Nachhaltigkeitsziele wirklich erreichen wollen." Man wolle Geschichten des Gelingens thematisieren, "auch um Gestaltungsmut freizusetzen". Ein Ansatz, den auch der konstruktive Journalismus verfolgt: "Dabei muss ein Verweis auf Lösungsansätze ja nicht unkritisch erfolgen, man muss diese nicht undifferenziert abfeiern. Aber man kann zeigen, ob sie einen nächstmöglichen Schritt in eine wünschenswerte Richtung anbieten - manchmal eben auch Durchbrüche."
Kritisch blickt Göpel aber durchaus auf Schwächen im Bildungssystem. Denn "die Selbstwirksamkeit, auch in Krisen, gewinnen wir nur zurück, wenn wir es uns zumuten, ein Stück weit das heute komplexere Verständniswissen erarbeiten zu wollen, die Handlungsoptionen zu verstehen und dann zu gucken: wie arbeiten wir bestmöglich in der Umsetzung zusammen."
Die schwierige aktuelle Nachrichtenlage, die diffuse Stimmung in vielen europäischen Ländern, die politisch plakatierten Versprechen von "Wohlstand", "Sicherheit" und "Freiheit" brachten Göpel, Autorin von "Unsere Welt neu denken" (2020) und "Wir können auch anders" (2022), auch zum Thema ihres jüngsten Werkes "Werte. Ein Kompass für die Zukunft", das am Montag erscheint. Gerade in Bezug auf den Wohlstandsgedanken im Sinne einer Versorgungssicherheit, sozialer Sicherheit und Teilhabe zeige die Forschung doch, dass hier hohe Übereinstimmungen in diesen Zielwerten vorliege.
"Wir haben eine gemeinsame Idee, was gute Gesellschaften ausmacht. Wie können wir diese besser für demokratische Mehrheiten nutzen?", so Göpel: Ihr sei ein Anliegen gewesen, mit der Annahme aufzuräumen, "dass wir keine gemeinsamen Ziele mehr haben, dass wir nicht mehr genug Personen sind, die etwas verändern möchten, dass die Politik nicht effektive Spielregeln anbieten kann und nur Bürokratie ist, und dass ökologische und soziale Werte der wirtschaftlichen Wertschöpfung entgegenstehen. Ich zeige in jedem Kapitel: doch, es geht anders. Ob wir es dann umsetzen oder nicht, das kann ich als Wissenschafterin nicht sagen". Aber sie könne eben die Optionen skizzieren.
Sie war vom Wirken des Philosophen Bertrand Russell tief beeindruckt, "der schon meinte: In Krisenzeiten, wenn da niemand mehr das Licht auf die positiven Wege scheinen lässt, dann wird es sehr schnell sehr dunkel". Bei diesem Licht mitzuwirken, darin sehe sie ihre Verantwortung als Wissenschafterin.
Service: Ballvorlesung "Das hehre Ziel der Wahrheitssuche" im Vorfeld des 10. Wissenschaftsballs im Festsaal der ÖAW, Freitag, 24. Jänner, 16:00 Uhr, Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien. www.wissenschaftsball.at. "Werte. Ein Kompass für die Zukunft" von Maja Göpel, Brandstätter Verlag 2025, 224 S.. Erscheint am 27. Jänner 2025
WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Lena Yadlapalli