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Diese beiden Felder würden im Verbund die Neurologie in naher Zukunft "stark verändern", war sich der Neurologe sicher. "Mit Hilfe der KI können wir beispielsweise mehr Informationen über Symptome und Krankheitsbilder der Patienten sammeln, diese bündeln und damit präziser und treffsichererer agieren und vorhersagen", berichtete Kiechl. "Die KI kann den Neurologen als Letztentscheider zwar niemals ersetzen, aber doch für diesen entscheidendes Wissen zur Verfügung stellen", ergänzte die ebenfalls beim Gespräch anwesende Neurologin Bettina Pfausler, stellvertretende geschäftsführende Oberärztin der Universitätsklinik für Neurologie. Im Zusammenspiel mit für die Neurologie noch recht neuen Zelltherapien - die aktuell vor allem in der Onkologie eine Rolle spielen - sei es dann jedenfalls möglich, individuellere und speziellere und zielgerichtetere Therapien anzubieten, ergänzte Klinikdirektor Kiechl.
Dass man bei den zellbasierten Therapieansätzen "direkt genetisch in die Zellstruktur eingreift", sei dabei eine wesentliche Veränderung im Umgang mit neurologischen Erkrankungen, vor allem im Bereich der therapieresistenten Autoimmunerkrankungen wie beispielsweise Multiple Sklerose. Bei dieser autoimmunologischen Erkrankung greift das Immunsystem irrtümlich das eigene Nervensystem an und schädigt etwa Hirn- oder Nervengewebe.
Die sogenannte "CAR-T-Zelltherapie" - eine Therapie die aktuell vornehmlich bei Krebspatienten zum Einsatz kommt - bei der eigene Immunzellen entnommen, gentechnisch verändert und "trainiert" und im Anschluss mittels Infusion wieder zugeführt werden, eigne sich wohl auch bei schweren Autoimmunerkrankungen besonders gut, führte Kiechl aus. "Erste Ergebnisse bei den Patienten waren nach dieser Behandlung erstaunlich, sie brauchten seit über drei Jahren keine weiteren Therapien und kein Kortison", informierte der Wissenschafter über Ergebnisse und Fortschritte auf diesem Sektor.
Durch solche Ansätze befinde sich die Neurologie immer mehr auf dem Weg "von einem diagnostischen zu einem therapeutischen Fach", konstatierte Kiechl. "In meinen Anfangszeiten gab es zwar bereits viele Diagnosen, aber noch kaum Therapien", blickte der Top-Mediziner zurück. Zahlreiche Therapien und Fortschritte in diesen Bereichen würde das Fach gegenwärtig stark vorantreiben. "Ich denke dabei etwa an die Katheder-Therapie bei Schlaganfällen", so Kiechl. Mit dieser ließe sich "drastisch besser" - in einem Zeitraum von bis zu 24 Stunden - auf Gefäßverschlüsse reagieren.
Auch solche Therapien würden künftig noch eine Rollen spielen. "Mehr und mehr werden sich aber - je nach Krankheit - Therapien etablieren, die genetisch eingreifen", betonte der Innsbrucker Neurologie-Chef. Dies werde aber sicher nicht bei allen Erkrankungen der Fall sein, schließlich beackere die Neurologie "ein weites Feld, beginnend bei Schlaganfällen über Parkinson und Demenz bis hin Autoimmunerkrankungen, Infektionen und dem Thema Schlaf", skizzierte Kollegin Pfausler die überaus große Bandbreite des Fachs.