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Sigrid Stagl: Versierte Verfechterin einer ökologischeren Wirtschaft

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"Wissenschafterin des Jahres 2024" Sigrid Stagl
©APA/HELMUT FOHRINGER
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Energiekrise, Klimawandel, Ökologisierung der Wirtschaft, die "grüne Transformation" - es sind beileibe keine Themen, die - auch angesichts sich wiederholender politischer Verhaltensmuster - nicht manchmal verzweifeln ließen. Doch Sigrid Stagl, "Wissenschafterin des Jahres 2024", kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen: Die Ökonomin ist eine häufig gefragte Kommentatorin zur Einordnung der heimischen Klima- und Umweltpolitik.

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Die am 4. Dezember 1968 in einem Wiener Krankenhaus geborene Waldviertlerin (NÖ) wuchs auf einem Bauernhof auf. Die Verbundenheit mit der Natur und einem nachhaltigen Wirtschaften ist ihr damit quasi in die Wiege gelegt worden. So verwundert es wenig, dass sie ein Wirtschaftsstudium anstrebte und sich früh auf die Umweltagenden verlegte.

Stagl verortet sich selbst in den "Complexity Economics", also der Untersuchung der wirtschaftlichen Systeme als sehr komplexe Gebilde. Für die öffentliche Kommunikation sei es gerade hier wichtig, den richtigen Grad von Vereinfachung und klarer Aussage zu finden: "Zu vage zu bleiben, zu sehr in den Details der wissenschaftlichen Analysen verhaftet zu bleiben, ist nicht hilfreich." Denn: "Entscheidungen werden getroffen - ob man sich als Wissenschafterin positioniert oder nicht." So sei ihr Zugang, sehr offen darzulegen, was der Stand des derzeitigen Wissens ist. "Ja, es mag sein, dass wir nächstes Jahr, wenn wir noch mehr dazugelernt haben, eine andere Position vertreten. Dann müssen wir es erklären." Damit sei sie in guter Gesellschaft, schon John Maynard Keynes habe gesagt: "Wenn sich meine Informationen verändern, ändere ich meine Schlussfolgerungen."

Von der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU) aus ging es für Stagl für ihr Doktorat ans Rensselaer Polytechnic Institute in Troy (New York), wo sie dann auch als erste Person weltweit im in den 1990er-Jahren aufkommenden Bereich der Ökologischen Ökonomie promovierte. Die Sparte sei aber nicht zu verwechseln mit der Umweltökonomie, wie Stagl gegenüber der APA unterstrich.

Die seit den 1960er-Jahren bestehende Umweltökonomie sei "ein Teilbereich der Volkswirtschaftslehre", erläuterte Stagl. Mit ihr war man dann der Ansicht: Andere Ökonomen, die sich mit dem Arbeitsmarkt, mit der Sozial- oder Industriepolitik beschäftigten, "brauchen sich nicht mehr besonders um Umweltfragen kümmern". Aber: "Das würden wir in der Ökologischen Ökonomie bestreiten: Wir gehen davon aus, dass die Wirtschaft Teil der Gesellschaft ist und auf den biophysischen Grundlagen, der Natur basiert." Das heiße, "alle ökonomische Analyse braucht die Umweltdimension mitberücksichtigt". So arbeite man auch - in Abgrenzung zur Umweltökonomie - vor allem interdisziplinär.

Fühlt sie sich als eine Vorreiterin der Ökologischen Ökonomie? Damals vielleicht, meinte Stagl. Das von ihr besuchte PhD-Programm war das global erste in dem Bereich: "Wenn wir zu einer Konferenz gekommen sind, gab es wirklich eine Pionierstimmung: 'Wow, ihr seid von dem Programm - wie ist es denn da?'", lachte die Forscherin: Man habe Doktoranden und Doktorandinnen aus vielen Regionen der Welt gehabt: "Es war eine sehr coole Erfahrung."

Es folgten Forschungsjahre an den Universitäten Leeds und Sussex (Großbritannien), bevor sie im Jahr 2008 als Professorin nach Wien an die WU zurückkehrte. Im Jahr 2014 gründete sie sodann ein WU-Institut für Ökologische Ökonomie und leitete dieses wie dann ab 2020 auch das Department für Sozioökonomie der WU Wien für einige Jahre. Sie ist als Professorin dort tätig, seit 2018 korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Aufsichtsrätin der Österreichischen Post und noch bis 2028 als Mitglied des Generalrates der Österreichischen Nationalbank bestellt. Die ehemalige Präsidentin der European Society for Ecological Economics (ESEE) ist jüngst Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Europäischen Umweltagentur geworden.

"Hauptsächlich bin ich mit Forschung und Lehre beschäftigt", meinte Stagl. Oft absolviert sie Auftritte in Fachkreisen, etwa als Expertin am Podium, oder auch im Rahmen von öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, etwa bei den "Scientists for Future", die klar auf das politische Manko im Handeln hinweisen.

Die Frage, wie aktivistisch Wissenschaft sein dürfe, sei eine schwierige: "Ich gehe zum Beispiel zu Klimastreiks oder auch zu Protesten. Dann bin ich als Bürgerin dort." Ihr Handeln sei aber gleichzeitig informiert durch das, "was ich beruflich tue. Gleichzeitig bin ich beruflich nicht Aktivistin, sondern Wissenschafterin. Ich finde es aber nötig, soziale Bewegungen zu unterstützen. Denn sie schaffen oft die Veränderung".

Jüngst sei sie zu Besuch in Linz bei "Dorf TV" gewesen - "das klingt nicht sehr glamourös. Es war mir aber wichtig". Denn sie sei vorher zum Eindruck gelangt, dass der verantwortliche Journalist sich bemühe, "Themen in Bevölkerungsgruppen zu tragen, wo vielleicht normalerweise diese Themen nicht besprochen würden. Das zu unterstützen, war mir auch ein Anliegen".

Ein populärwissenschaftliches Buch ist von der Forscherin allerdings nicht so schnell zu erwarten: "Nicht, weil ich das nicht tun wollte. Sondern weil der Tag 24 Stunden hat." Und sie sei gerade dabei, das von ihr und einem Kollegen vor 20 Jahren verfasste Werk "Ecological Economics: An Introduction" (eine Einführung in die ökologische Ökonomie, Anm.) in der zweiten Auflage zu überarbeiten. "Ich habe sehr viel Respekt davor, Bücher zu schreiben. Es kostet viel Zeit, wenn man es gut macht. Jetzt bin ich damit erst einmal gut ausgelastet."

Die Mutter einer Tochter ist ein Familienmensch. Gleichzeitig zieht es sie regelmäßig auf die Skipiste, vor allem auch "weil ein großer Teil meiner Familie in den Alpen wohnt". In Wien nutzt die Wissenschafterin vor allem das Rad als Fortbewegungsmittel, etwa für die Strecke ins Büro am Welthandelsplatz 2 im zweiten Wiener Gemeindebezirk: "Es ist wirklich erstaunlich, wie oft ich am Fahrrad gute Ideen habe." Zum Nachdenken kommt sie während des Arbeitsalltags auch auf kurzen Spaziergängen in den angrenzenden Prater.

"Ich habe es sehr geschätzt, an britischen Universitäten zu arbeiten." Was sie aber dort störte war, "dass der öffentliche Raum meistens kommerzialisiert ist". Um sich irgendwo hinsetzen zu können, habe man oft etwas konsumieren müssen: "Nun sitze ich selten im öffentlichen Raum, aber es geht nicht darum, ob ich es nutze. Nur die Möglichkeit zu haben, ist mir sehr viel wert. Vielleicht werde ich auch einmal mehr Zeit dafür haben", lachte Stagl.

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER

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