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Rund zwei Tage Anreise bzw. 3.700 Kilometer trennen die Sermilik-Forschungsstation auf der ostgrönländischen Insel Ammassalik von der Universität Graz. Das Klima im hohen Norden ist rau - im Sommer sind es gerade einmal sechs Grad Celsius, minus 25 Grad im Winter. Es gibt sehr starke Fallwinde, kein Mobilnetz, nur Satellitentelefon. Aber dort sei alles für die Forschung zum arktischen Klimawandel und seine Folgen vorhanden: "Gletscher im Vorfeld des Inlandeises, verschiedene Gletscherseen und Gebirge mit einer an die Umweltbedingungen angepassten Vegetation, Flüsse, die überwiegend vom Schnee und von den Gletschern gespeist werden, Eisbären, Wale und Polarfüchse und der große Fjord mit Anbindung an den offenen Atlantik", schwärmte Trügler im Vorfeld des "Welttages der Gletscher", der am 21. März erstmals begangen wird.
Seit September 2024 leitet der Grazer Wissenschafter und Experte für numerische Simulationen, maschinelles Lernen und KI-Lösungen für Erdbeobachtung die Forschungsstation am Sermilik-Fjord im südlichen Teil der Ostküste. In den 1970er-Jahren hat die Universität Kopenhagen dort eine kleine Forschungsstation errichtet, bereits 1933 gab es jedoch erste meteorologische, glaziologische und hydrologische Untersuchungen in der Umgebung. Mit Unterstützung des österreichischen Unternehmers Christian Palmers wurde der Standort seit 2022 um einen Neubau ergänzt, den nun die Universität Graz betreibt. Die Universität, die den Klimawandel, seine Folgen und die notwendigen Veränderungen und Anpassungen zu einem ihrer Forschungsschwerpunkte gemacht hat, betreibt damit übrigens als bisher einzige österreichische Universität eine Forschungsstation in der Arktis.
Trüglers Weg von der Theoretischen Physik und Künstlichen Intelligenz (KI) zur Leitung einer Polarstation mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Doch seine Kenntnisse hat der 43-Jährige nunmehrige Polarforscher in den vergangenen Jahren vor allem in interdisziplinären Forschungsprojekten eingesetzt: "Ich habe immer wieder mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus verschiedensten Disziplinen - Biologie, Chemie, Informatik, Mathematik, Medizin, aber auch Literaturwissenschaft und Geschichte - zusammengearbeitet", so Trügler. In der Arktisforschung lassen sich Techniken wie numerische Methoden und Computersimulation nutzen, um komplexe Prozesse und Daten besser zu verstehen und ein umfassendes Verständnis der arktischen Umweltveränderungen zu gewinnen.
Die Polarforschung fasziniert den passionierten Bergsteiger und Bergretter schon seit Langem, nicht zuletzt aufgrund früherer Touren und Expeditionen, die ihn die Wildnis und Schönheit der Polarregion erleben ließen. "Auch der Sermilik-Fjord war eines meiner Ziele. Dass ich dort einmal beruflich tätig sein werde, habe ich damals nicht geahnt", blickte Trügler zurück.
In Zukunft will er die Sermilik-Station jedenfalls zu einem Ort interdisziplinärer und internationaler Zusammenarbeit weiterentwickeln: "Unsere Station bietet Platz für bis zu 25 Forscherinnen und Forscher und Studierende aller Fachrichtungen", betonte Trügler. Denn der Klimawandel werde zwar beim Schmelzen der Gletscher besonders deutlich sichtbar, aber er habe vielfältige Auswirkungen in unterschiedliche Bereiche, die es ebenso zu erforschen gelte.
Studierende sollen das einzigartige Ökosystem kennenlernen, praktische Erfahrungen in der Polarforschung sammeln können und einen Einblick in die Kultur der Einwohner Ostgrönlands bekommen. Im Rahmen des Masterstudiums "Angewandte Physische Geographie und Gebirgsforschung" haben Studierende beispielsweise ein breites Angebot an verschiedenen Lehrveranstaltungen, um Grönland und Polarforschung zu einem Schwerpunkt im Studium zu machen.
Der nahe gelegene Fjord erlaubt Untersuchungen der Meeresbiologie, während die angrenzenden Berge und Gletscher glaziologische Studien ermöglichen, schilderte Trügler. Auch geologische, biologische und atmosphärische Projekte sind hier durchführbar. Forschende können die Aufenthalte auf der Station nutzen, um Daten vor Ort zu sammeln, die dann mit bereits vorhandenen Stations- oder auch Satellitendaten verknüpft werden können. Fragen des Gletscherschwundes und meteorologische Fragestellungen sind bereits ein wichtiger Schwerpunkt der Polar-Forschungsgruppe der Uni Graz und werden durch die Station weiter unterstützt. "Unser Ziel ist es, durch eine Kombination aus modernen Messmethoden, interdisziplinärer Forschung und internationalen Kooperationen ein besseres Verständnis für die Prozesse in der Kryosphäre zu gewinnen", so Trügler.
Neben naturwissenschaftlichen Anknüpfungspunkten soll die Station aber auch für geisteswissenschaftliche und gesellschaftliche Forschungsprojekte offen sein und Forschende können sich mit ihren Vorhaben direkt an die Universität Graz wenden. "Es gibt auch schon ein reges Interesse aus dem Ausland - obwohl die Station noch im Aufbau ist", so Trügler.
Die Universität hat Stipendien für Masterstudierende ausgeschrieben, die dieser Tage vergeben werden. "Wir werden im Sommer auch rund ein Dutzend Studierende der FH Joanneum auf der Station begrüßen. Und wir wollen interdisziplinäre PhD-Stellen ausschreiben", gab Trügler einen Ausblick auf die kommende Saison.
Wichtig ist ihm auch die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung. "Die Forschung soll einen Mehrwert für die Region bieten, nicht nur für die Wissenschaft", betonte er. "Wir wollen die Forschungsprojekte in enger Kooperation mit den Menschen in der Region gestalten und die Jugendlichen in Tasiilaq einbinden - zum Beispiel durch Citizen-Science-Projekte und regelmäßigen Austausch", wie Trügler ausführte. Das rund 30 Kilometer und mehr als zwölf Stunden Fußweg entfernte Dorf Tasiilaq mit seinen rund 2.000 Einwohnern stellt die größte Ansiedlung Ostgrönlands dar.
Die Forschungsstation ist grundsätzlich für den Ganzjahresbetrieb konzipiert. Der Sommerbetrieb wird vorerst im Fokus stehen, während man noch nach Lösungen für eine nachhaltige Energieversorgung im Winter sucht. Dabei soll die Station möglichst umweltfreundlich arbeiten, auch wenn die extremen klimatischen Bedingungen Herausforderungen mit sich bringen. "Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema, wir setzen auf erneuerbare Energien, auch wenn die Bedingungen in der Arktis besondere Anforderungen stellen", erklärte Trügler.
(Von Annemarie Happe/APA)
Service: https://sermilik-station.uni-graz.at)