Die KI-Welt vor einem Paradigmenwechsel: Warum uns die Daten ausgehen und was das bedeutet.
von
Seit Jahren lebt die Welt der Künstlichen Intelligenz (KI) von einem schier endlosen Strom menschlicher Daten. Doch nun sind diese Quellen dabei, zu versiegen. Kein Social-Media-Feed, keine Suchanfragen, keine GPS-Daten – die Grundlage für die Weiterentwicklung von KI scheint zu verschwinden. Doch wie konnte es dazu kommen, und was bedeutet das für die Zukunft von Technologie und Gesellschaft?
Warum gibt es keine menschlichen Daten mehr?
Die Ursachen sind vielschichtig und eng mit der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung verknüpft:
Datenschutzgesetze und Regulierungen: Immer strengere Datenschutzrichtlinien wie die DSGVO in Europa oder der CCPA in Kalifornien haben den Zugriff auf Nutzerdaten stark eingeschränkt. Unternehmen müssen inzwischen höchste Standards erfüllen, um überhaupt Daten erheben und verarbeiten zu dürfen.
Wachsende Skepsis der Nutzer: Nach Jahren voller Datenschutzskandale, von Cambridge Analytica bis hin zu groß angelegten Datendiebstählen, sind Menschen vorsichtiger geworden. Immer mehr entscheiden sich aktiv gegen die Weitergabe ihrer Daten – sei es durch die Nutzung von Tracking-Blockern oder das bewusste Meiden bestimmter Plattformen.
Erschöpfung der Datensammlung: Der Markt ist übersättigt. Fast jede erdenkliche Interaktion wurde bereits erfasst, analysiert und modelliert. Das Wachstum neuer Datenquellen stagniert, und ohne signifikante Veränderungen im menschlichen Verhalten gibt es schlicht nichts Neues mehr zu sammeln.
Technologische Disruption: Dezentralisierte Systeme und neue Technologien wie Blockchain ermöglichen es Nutzern, ihre Daten komplett selbst zu verwalten und nur gezielt für spezifische Zwecke freizugeben. Die großflächige Datensammlung durch Unternehmen wird dadurch effektiv blockiert.
Was passiert nun mit der KI?
Ohne menschliche Daten steht die KI-Welt vor erheblichen Herausforderungen, aber auch neuen Möglichkeiten:
Stagnation der Entwicklung: Viele moderne KI-Systeme, insbesondere solche für Sprachverarbeitung und Bildverarbeitung, beruhen auf großen Datensätzen. Ohne neue Daten können Modelle nicht mehr aktualisiert oder verbessert werden. Dies könnte eine "Pause" in der Innovation bedeuten.
Verstärkter Fokus auf synthetische Daten: Um dem Datenmangel entgegenzuwirken, könnte die KI-Forschung verstärkt auf synthetische Daten setzen. Diese werden von Computern generiert und können reale Daten simulieren.
"Die einzige Möglichkeit, reale Daten zu ergänzen, sind synthetische Daten, bei denen die KI Trainingsdaten erzeugt", so Elon Musk in einem Livestream-Gespräch mit dem Stagwell-Vorsitzenden Mark Penn.
Microsoft, Meta und OpenAI setzen bereits auf synthetische Daten, die laut Schätzungen im vergangenen Jahr mehr als 60 % der verwendeten Trainingsdaten ausmachten.
Neue Ansätze für maschinelles Lernen: Forschung und Entwicklung könnten sich auf dateneffiziente Ansätze konzentrieren, wie Zero-Shot- oder Few-Shot-Learning, die mit minimalen Daten auskommen. Dies wäre ein grundlegender Wandel in der Art und Weise, wie KI-Systeme trainiert werden.
Veränderungen in der Wirtschaft: Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf der Sammlung und Verarbeitung menschlicher Daten basiert, müssen sich neu orientieren. Es könnte zu einer Konsolidierung des Marktes und dem Aufstieg neuer Player kommen, die innovative Wege finden, mit weniger Daten auszukommen.
Chancen und Risiken synthetischer Daten
Synthetische Daten bieten viele Möglichkeiten, können aber auch Risiken mit sich bringen. Einerseits ermöglichen sie es, KI-Modelle effizienter zu trainieren, ohne auf sensible oder schwer zugängliche Daten zurückzugreifen. Andererseits warnen Wissenschaftler vor möglichen Verzerrungen und Einschränkungen der Kreativität. Wenn KI-Modelle auf von anderen KI-Systemen generierten Daten trainiert werden, könnten sich Fehler oder Verzerrungen potenzieren und die Modellqualität langfristig beeinträchtigen.
Was bedeutet das für die Gesellschaft?
Die Abkehr von der ständigen Datensammlung könnte auch positive Auswirkungen haben:
Mehr Kontrolle für Individuen: Menschen gewinnen mehr Kontrolle über ihre Privatsphäre, und die Abhängigkeit von überwachungsbasierten Geschäftsmodellen könnte abnehmen.
Bewusster Umgang mit Technologie: Gesellschaften könnten sich zunehmend mit der Frage auseinandersetzen, welche Art von KI-gestützten Innovationen wirklich notwendig oder sinnvoll ist.
Allerdings stellt sich auch die Frage, ob die Gesellschaft bereit ist, auf KI-gestützte Innovationen zu verzichten oder zumindest deren Weiterentwicklung zu verlangsamen. Es ist ein Spannungsfeld zwischen Fortschritt, Ethik und Datenschutz, das nicht leicht zu lösen sein wird.
Ein Wendepunkt mit ungewissem Ausgang
Das Versiegen menschlicher Daten markiert einen Wendepunkt für die KI-Branche und die digitale Gesellschaft insgesamt. Ob neue Technologien und Ansätze den Datenmangel überwinden können, bleibt abzuwarten. Sicher ist: Die Diskussion über Ethik, Datenschutz und Innovation wird wichtiger denn je. Gleichzeitig könnten sich neue Modelle und Strategien entwickeln, die KI unabhängig von massiven Datenmengen weiter vorantreiben. Die Zukunft bleibt spannend – und ungewiss.