von
Zu häufig gebe es laut dem Historiker, der an der Harvard University studierte und emeritierter Professor an der Uni Wien ist, zu einfache Analysen, die weder das Wahlergebnis noch seine Folgen hinreichend erklären. Genauso weit verbreitet sei die Ansicht, dass man die Verlautbarungen Trumps ernst, aber nicht wörtlich nehmen sollte: "Meine Botschaft ist das Gegenteil: Ja, er meint das alles wirklich", so Ash.
Die Präsidentschaftswahl vom 5. November 2024 sei in mehr als einem Sinne historisch gewesen: Zum ersten Mal stand mit Kamala Harris eine schwarze Frau sowie eine Frau südasiatischer Herkunft zur Wahl. Und erst zum zweiten Mal gewann ein vormals gewählter Präsident, der nicht wiedergewählt wurde, das Amt im zweiten Anlauf zurück.
Die politische Kultur des Landes sei hingegen schon lange entlang verschiedener Trennlinien gespalten, meinte Ash: So stehe Norden gegen Süden und Stadt gegen Land. Auch die ethnische Herkunft nähre Trennlinien. "Seit 50 Jahren haben die Republikaner diese Polarisierung voran und auf die Spitze getrieben", sagte Ash. Unter dem Schlagwort "Werte" seien Ebenen wie das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche oder die Gleichstellung homosexueller Personen dazu gekommen. Auch Trumps Polemik gegen "woke" Politik sei ein weiterer Punkt in dieser von seiner Partei offen als "wedge issues" (dt.: Keilthemen) bezeichneten Reihe.
Dazu komme die Angst vieler Wählerinnen und Wähler aus der weißen Mittelschicht vor einem dreifachen Verlust: Die Angst vor dem Verlust ihres Wohlstands seit der Weltwirtschaftskrise 2008, ihres Lebensstils als "American Way of Life" bedingt durch den Klimawandel und eines vage definierten Respekts. "Alle diese Dimensionen der Politisierung sind in den Wahlen zum Tragen gekommen und haben sich gegenseitig bestärkt", so Ash.
Zudem sei Trumps "Testosterontaktik" zur Überzeugung großer Gruppen von Nichtwählerinnen und Nichtwählern aufgegangen: "Denn die zunehmend wilden Aussagen am Ende des Wahlkampfes waren meiner Ansicht nach gezielt inszeniertes politisches Theater", erklärte Ash. Dabei sei die scheinbare Inkohärenz der Versprechungen Trumps an seine unterschiedlichen Wählergruppen - von katholischen oder protestantischen Abtreibungsgegnern bis zu jenen Gruppen, die einen regelrechten Personenkult um ihn bilden - laut Ash eher ein Anzeichen der "klassisch-demagogischen Taktik", für jede Zielgruppe etwas Eigenes anzubieten.
Von tiefgreifend historischer Bedeutung sei der Umgang Trumps mit Gerichtsverfahren gegen ihn gewesen, die er als Politisierung der Justiz brandmarkte. "Dass er mit dieser Taktik die Wahl gewann, und fast alle Verfahren daraufhin eingestellt wurden, sollte uns eine Lehre sein: Demokratie und Rechtsstaat sind offenbar keine Einheit", sagte Ash. Vielmehr habe Trump die Demokratie instrumentalisiert, um den Rechtsstaat auszuhebeln.
Die These des Historikers Timothy Snyder eines "Capital Strikes" bezüglich Trumps Team bestätigte Ash nur teilweise. Diese besagt, dass wie in vielen autoritären Regimen bewusst unqualifizierte Personen in Führungspositionen als Taktik zur Unterminierung oder Zerstörung von Institutionen vorgeschlagen werden. Solche Personen seien etwa mit Tulsi Gabbard vorhanden, die als Verbreiterin von Desinformation zugunsten des Putin-Regimes bekannt ist und für die Position als Direktorin der Nachrichtendienste vorgeschlagen wurde; oder mit Robert F. Kennedy Junior, der trotz seiner teils "skurrilen Ansichten" das Gesundheitsministerium leiten soll. Daneben gebe es aber Leute wie den für das Amt des Außenministers nominierten Senator Marc Rubio, der radikal-konservativ, aber qualifiziert sei.
Hinzu komme das "Projekt 2025", das der Historiker als einen Angriff auf den modernen Staat durch den Umbau des Staatsdienstes bezeichnete. U.a. könnten laut diesem Plan Beamte auf Wunsch des Präsidenten durch Loyalisten ersetzt werden. Diese Änderungen sowie die obendrein geplanten eklatanten Budgetkürzungen brauchen aber die Zustimmung beider Häuser des Kongresses - aufgrund jeweils kleiner republikanischer Mehrheiten und einer fraglichen Parteidisziplin wären diese noch nicht sicher, erläuterte Ash. Angesichts all dessen kommen innenpolitisch äußerst turbulente Tage und Wochen auf die USA zu, so der Wissenschafter.
Dieses Chaos könnten außenpolitische Rivalen der USA zu nutzen versuchen, meint der Historiker. "Hinzu kommt, dass Trump mehr Unilateralist als Multilateralist ist", sagte Ash. Das heißt, dass sich Europa und die Welt auf Alleingänge zum Vorteil der USA und für ein positives Image des Präsidenten nach innen hin gefasst machen muss - wie schon vor seiner Amtszeit mit dem Vorschlag zum Kauf von Grönland unter Beweis gestellt wurde. Zusammengenommen deute das darauf hin, dass sich der Trend weg von einer globalen Dominanz der USA und hin zu einer multipolaren Welt weiter fortsetzen werde.
Historisch seien Bemühungen wie jene Trumps um eine autarke Wirtschaft mit hohen Importzöllen immer die bevorzugte Wirtschaftspolitik autoritärer Regime gewesen - ihre Effektivität und Langlebigkeit gelte aber als äußerst umstritten: "Die Länder der EU haben zusammen immer noch ein höheres Bruttoinlandsprodukt als die USA oder China", merkte Ash an. Aber nationale Uneinigkeiten und schwache Führung hemmen die Fähigkeit, ein ernsthaftes Gegengewicht darzustellen, meinte der Experte.
(FILES) Former US President and Republican presidential candidate Donald Trump gestures as he speaks during a campaign rally at Van Andel Arena in Grand Rapids, Michigan on November 5, 2024. Buckle up: Donald Trump returns to the White House next week for a second term that promises to be even more volatile -- and hard-line -- than his roller-coaster first presidency. Buoyed by his historic political comeback, the billionaire Republican has shown no sign of changing the bombastic style that shook the United States and the world from 2017 to 2021. (Photo by KAMIL KRZACZYNSKI / AFP)