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Das Team um den Geomorphologen Ingo Hartmeyer interessiert sich vor allem für das Verhalten des auftauenden Permafrostbodens in hochalpinen Regionen und jenen Felsbereichen, die durch das Weichen der Eisflächen zum Teil erstmals seit Jahrtausenden wieder frei liegen. Dazu kommen Messungen, die darauf abzielen, mittels Georadar - neuerdings auf Drohnen montiert - herauszufinden, wie viel Volumen ein Gletscher noch hat und wie viel er von Jahr zu Jahr über seine gesamte, vielerorts stark abnehmende Länge in etwa verliert.
Möglichst detailliertes Wissen darüber ist bei weitem nicht nur für die akademische Forschung interessant, betonte Hartmeyer gegenüber der APA im Vorfeld des "Welttages der Gletscher" (21. März). Tourismusverbände fragen sich inzwischen durchaus berechtigt, wie lange man in manchen Regionen Österreichs noch mit einem intakten Rest-Gletscher um Besucher werben kann. Energieversorger fragen sich, wie viel "Gletscherspende" - also vor allem in der Sommersaison abschmelzendes Eis - sie zur Stromerzeugung nutzen können. Nicht zuletzt stellen sich diverse Fragen dazu, wie Flora und Fauna die neu eisfreien Bereiche besiedeln und wie und in welchen Mengen das frei werdende Gestein in Richtung Tal befördert wird.
Klar ist, dass dieses Sedimentgestein in größeren Mengen seinen Weg nach unten antreten kann, um dann etwa Kraftwerke, Ortschaften, Straßen oder Bahntrassen zu vermuren - so etwa bei durch den Klimawandel begünstigten Starkregenereignissen. Ebenso liegt auf der Hand, dass "ein Stein kein Mascherl hat", das darüber Auskunft gibt, ob er einst unter Eis begraben war, so Hartmeyer. Die Erforschung des Sedimenttransportes, oft über verschlungene und indirekte Wege Richtung Tal, ist laut dem Experten jedenfalls komplex.
Um weiter oben das Eisvolumen möglichst genau zu vermessen, musste man früher mühsam und aufwendig einen mit Radarsystem ausgestatteten Schlitten über den Eiskörper ziehen. Nun kann man selbiges auch auf die immer tragfähigeren Flugdrohnen montieren. Über die Rücklaufzeiten der von dort ausgesendeten Radarsignale kann dann nach weniger als 60 Minuten Flugzeit mehr oder weniger der gesamte Gletscher von der Oberfläche bis zum Fels vermessen werden, erklärte der Georesearch-Geschäftsführer. Den neuen Ansatz wendet das Georesearch-Team schon am Schmiedingerkees am Kitzsteinhorn oberhalb von Kaprun im Auftrag der dortigen Gletscherbahnen Kaprun AG und im Auftrag der Salzburger Landeshydrologie am Stubacher Sonnblickkees an. Was man hier aufzeichnet, lasse sich in der Folge auch auf andere Örtlichkeiten übertragen, zeigte sich der Geomorphologe überzeugt.
Am Kitzsteinhorn unterhält man seit 2010 sogar ein "Open-Air-Lab" in dessen Rahmen die Veränderungen im Zeitalter des Anthropozäns - also der aktuellen Epoche, in der der Einfluss des Menschen auch in entlegenen Gebieten deutlich spürbar ist - detailliert erforscht. Apropos menschlicher Einfluss: Der ist dort freilich schon lange prominent, denn mit diversen Bergbahnen kann man sich dort bereits seit vielen Jahrzehnten auf rund 3.000 Meter befördern lassen. Das Angebot nehmen im Winter, Sommer und dazwischen abertausende Skifahrer, Wanderer oder einfach Aussicht-Suchende wahr.
Was die dort steigenden Temperaturen - im Mittel wird es am Gletscherplateau auf 2.920 Meter Seehöhe um 0,07 Grad Celsius pro Jahr wärmer - mit dem Permafrostboden machen und wie sich die tendenziell immer eisfreieren steilen Kar-Rückwände verhalten, ist auch für die Liftbetreiber hochinteressant. Nicht zuletzt die unter dem Namen "Top of Salzburg - Gipfelwelt 3000" firmierende, beliebte Station mit Aussichtsplattform auf 3.029 Metern rückt hier in den Fokus. Rund um den in den 1960er Jahren an einer eisfreien und nahezu flachen Stelle errichteten Bau ganz oben "tut sich auch einiges", sagte Hartmeyer.
Vermessen werden die Bewegungen u.a. in bis zu 40 Meter tiefen Bohrlöchern. Dort können potenziell auftretende Verschiebungen im Permafrostboden überwacht werden. Dass der vor allem seit den 1980er Jahren dramatische und zuletzt nochmals beschleunigte Eisrückzug im gesamten Alpenraum am Kitzsteinhorn und anderen Bergen zu mehr Steinschlag und kleineren Felsstürzen führen wird, "war zu erwarten", so der Experte. Die "Dynamik" überrasche aber doch: In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Felssturzaktivität an den Flächen, die der Gletscher freigegeben hat, um das Acht- bis Zehnfache zugenommen. Mittlerweile stelle sich auch die Frage, ob man die einstigen "Nährgebiete" überhaupt noch als solche bezeichnen könne.
Dass man es auch in den oberen Gletscherbereichen mit einem System im Umbruch zu tun hat, werde insgesamt immer deutlicher sichtbar. Auch wenn sich die Probleme bis ins Tal fortsetzen können - unmittelbar betroffen sind freilich vor allem die acht Gletscherskigebiete in Österreich, die tatsächlich signifikante Infrastrukturen in auf 3.000 Meter und darüber unterhalten. Wie am Kitzsteinhorn sind diese aber keineswegs nur in der Wintersaison wichtige Tourismus-Impulsgeber, sie werden das ganze Jahr über stark frequentiert und sind für ganze Regionen wirtschaftlich bedeutsam. Folglich mache es Sinn, exakt zu analysieren, wie sich die Umwälzungen von oben nach unten hin auswirken, betonte Hartmeyer.
(S E R V I C E - https://www.georesearch.ac.at)
KAPRUN - ÖSTERREICH: ++ HANDOUT ++ - FOTO: APA/GEORESEARCH/ROBERT DELLESKE
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