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Emmanuelle Charpentier: Nobelpreis für Genschere - "Ich wusste es"

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Die Nobelpreisträgerin Charpentier bekam das Ehrendoktorat der Uni Wien verliehen
©APA/APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Wien sei für sie "extrem, extrem wichtig" gewesen, weil sie hier ihr Team gegründet habe, sagte die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier Dienstagnachmittag vor Journalisten in Wien. Damit begann ihr kometenhafter Aufstieg, der im Chemie-Nobelpreis 2020 gipfelte - wobei dieser für die Forscherin keine Überraschung war: "Ich wusste es", sagte die 56-jährige Forscherin. Anlass für ihren Besuch in Wien war die Verleihung des Ehrendoktorats der Uni Wien am Mittwoch.

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Frage: Sie haben von 2002 bis 2009 an den Max F. Perutz Laboratories in Wien die Grundlagen für die Entwicklung der Genscheren-Technologie CRISPR-Cas9 erarbeitet, aber die Stadt mangels Karriereperspektiven verlassen. Nun bekommen Sie das Ehrendoktorat der Universität Wien und Ihr Porträt wird Teil der Nobelpreis-Installation in der Aula der Uni. Wie sind Ihre Gefühle gegenüber Wien?

Emmanuelle Charpentier: Ich habe die Stadt aus verschiedenen Gründen verlassen, aber es war Teil meiner Reise. Ich habe auch Umeå (Schweden) verlassen und ich habe Braunschweig verlassen. Manchmal frage ich mich, ob es dasselbe gewesen wäre, wenn ich in Wien geblieben wäre. Ich habe immer erwähnt, dass es in Wien begann. Für mich war Wien extrem, extrem wichtig, weil ich hier mein Team gegründet habe. Und dafür braucht man eine perfekte Umgebung, die hervorragende Wissenschafter hat. Das Vienna Bio Center ist in dieser Hinsicht schwer zu schlagen.

Frage: Was kann für eine Wissenschafterin, einen Wissenschafter nach dem Nobelpreis noch kommen - speziell wenn man die Auszeichnung so jung erhalten hat wie Sie?

Charpentier: Die Auszeichnung war schon sehr einschneidend - und um ehrlich zu sein: Ich wusste es. Ich habe schon sehr früh sehr viele Preise erhalten, ab 2013 ist ihre Zahl exponentiell gestiegen. Den ersten Preis wollte ich ursprünglich gar nicht annehmen, weil mein Bauchgefühl mir sagte, dass das mein Leben sein wird, wenn ich ihn annehme. Aber dann haben mich meine Kollegen gefragt, ob ich verrückt sei. Ich könne doch nicht zulassen, dass die Amerikaner wieder etwas für sich in Anspruch nehmen, das eigentlich meine Arbeit sei. Also bin ich zu den vielen Preisverleihungen und Einladungen gegangen, was mich wirklich viel Zeit gekostet hat. Das war körperlich und intellektuell ein Marathon, und ich mache das schon seit langer Zeit.

Frage: Nur um Sie richtig zu verstehen, wenn sie sagen "Ich wusste es". Sie wussten, dass Sie irgendwann einmal den Nobelpreis bekommen werden? Wann war das?

Charpentier: Im Gespräch mit meinen Studenten des Vienna Bio Center per Skype, als ich in Umeå war - mit der Vorfreude auf die ersten Ergebnisse, von denen niemand außer mir und meinem Team ahnen konnte, was sie für Anwendungen nach sich ziehen würden. Ich habe ein paar Notizen von mir gefunden, in denen ich 2010, 2011 deutlich zu Papier gebracht habe, dass es genetische Störungen heilen könnte. Ich wusste, dass es etwas Großes sein würde.

Frage: Das heißt, der berühmte Anruf aus Stockholm hat Sie nicht überrascht?

Charpentier: Das erste Mal, als mir jemand sagte, dass ich den Nobelpreis bekommen werde, war in meiner Postdoc-Zeit in den USA 1996/97. Ich hatte zufällig sehr gute Daten und arbeitete wie eine Verrückte. Während alle anderen feierten und tranken, hing ich immer noch im Labor herum und schlief drei Stunden pro Nacht. Da sagte jemand: "Du wirst den Nobelpreis bekommen."

Als dann 2020 die Corona-Pandemie ausbrach, war ich mir sicher, dass es nun passieren würde, denn das war ein Jahr im Zeichen eines Virus und die CRISPR-Cas9-Technologie basiert auf einem Abwehrsystem (von Bakterien, Anm.) gegen Viren. Ich hatte keine Sekretärin, aber hatte alles vorbereitet, um die Maschinerie in Gang zu setzen, etwa mit automatischen Antworten auf meinen verschiedenen E-Mail-Adressen.

Frage: Was haben Sie vorbereitet? Eine Antwort wie: "Ich habe gerade den Nobelpreis bekommen. Rufen Sie mich bitte in zwei Jahren wieder an?"

Charpentier: Nein, ich wies Leute, die Informationen von mir brauchten, auf eine Website hin, auf der sie alles herunterladen konnten, dass sie ein wenig warten müssten, bevor ich antworte, und dass ich mich bei allen bedanke. Ich bin sehr pragmatisch, alles ist sehr kalkuliert. Bei mir ist alles strategisch. Also wartete ich am betreffenden Tag und das Telefon läutete und ich dachte: "Ok, das ist es, das ist also erledigt." Der Anrufer aus Stockholm sagte: "Emmanuel, das ist es." und ich sagte: "Ich weiß."

Frage: In CRISPR/Cas9 wurden viele Erwartungen gesetzt. Wurden diese erfüllt?

Charpentier: Sie sind erfüllt worden. Vor allem durch das Biotech-Unternehmen CRISPR Therapeutics, das ich zusammen mit meinen beiden Kollegen Rodger Novak (der ebenfalls in Wien tätig war, Anm.) und Shaun Foy gegründet habe. Bei der Gründung 2013 war die Idee, nach zehn Jahren ein auf CRISPR/Cas9 basierendes Heilmittel auf den Markt zu bringen. Das war sehr ehrgeizig, aber am Ende des Tages ist es dann doch passiert: Die Behandlung für die Sichelzellkrankheit und die Beta-Thalassämie (zwei genetisch bedingte Bluterkrankungen, Anm.) wurden 2023 zunächst in Großbritannien und dann in den USA zugelassen. Bisher haben, soweit ich weiß, etwa 50 bis 60 Patienten diese Behandlung erhalten, nur bei einem hat es nicht funktioniert.

Frage: Sind Sie auf dem Weg zu weiteren Therapien?

Charpentier: Ja sicher, es sind verschiedene Krankheiten in der Pipeline des Unternehmens, etwa Therapien für Krebserkrankungen wie Leukämie mit der CAR-T-Zelltechnologie, aber auch Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen wie Mukoviszidose.

Frage: Aber die bisher zugelassenen Therapien können Sie an den Fingern einer Hand abzählen? Warum dauert das so lange?

Charpentier: Es ist die Zeit, die es braucht. Zehn Jahre für die Entwicklung einer Therapie ist wirklich schnell. Jeder in der Branche war vom Erfolg der Technologie überrascht.

Frage: Was ist mit den exorbitant hohen Kosten der Therapie?

Charpentier: Die Kosten für die Therapie liegen derzeit - je nachdem, ob man in Europa oder in den USA ansässig ist - zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Euro.

Frage: Es wird also nur eine Therapie für die Reichen sein?

Charpentier: Nicht unbedingt. Das passiert bei jeder Therapie oder in der Biologie. Die Kosten einer Technologie werden im Laufe der Jahre immer geringer. Wären die Kosten am Anfang ein Hindernis, dann würde sicher niemand etwas tun. Man muss auch bedenken, dass es sich um eine einmalige Behandlung handelt, deren Wirkung lebenslang anhält. Ich war mir zunächst der Belastungen dieser Patienten nicht bewusst, die vielleicht ein Drittel ihres Lebens im Krankenhaus verbringen, ständig schmerzhafte und teure Behandlungen erhalten müssen. Auch ihre Lebenserwartung ist gering.

Frage: Die EU-Pläne für eine Lockerung der Regeln für den Einsatz Neuer Gentechnik-Methoden wie CRISPR etwa in der Landwirtschaft sind nach wie vor nicht in Reichweite. Vergibt sich Europa dadurch viele Chancen?

Charpentier: Ja, auf jeden Fall. Der Europäische Gerichtshof hat 2018 entschieden, dass für Pflanzen, die mit CRISPR/Cas9 gentechnisch verändert wurden, dieselben Vorschriften gelten wie für herkömmlich gentechnisch veränderte Pflanzen. Damit ist sicherlich kein Wissenschafter einverstanden. Es geht nicht darum, dass es keine Vorschriften geben sollte. Der Punkt ist, dass die Vorschriften unterschiedlich sein sollten. Es ist hoffentlich nur eine Frage der Zeit und man sollte den Zug wirklich nicht vorbeiziehen lassen.

Frage: Haben Sie Bedenken gegen den Einsatz von CRISPR bei Tieren, etwa bei Rindern?

Charpentier: Das hängt davon ab, wofür. Das gilt auch für Pflanzen. Sagen wir es mal so: Alle sind sich einig, dass die CRISPR-Technologie sehr präzise eingesetzt werden kann, und das Risiko liegt weniger in der Technologie als in dem, was wir mit ihr machen wollen. Es gibt wahrscheinlich sinnvolle Anwendungen, aber auch solche, die aus ethischen Erwägungen Grenzen überschreiten.

Frage: Was halten Sie dann von den Experimenten der US-Firma Colossal Biosciences, die mit Hilfe von CRISPR/Cas9 mehrere Gene von Mäusen so verändert hat, dass ihre Haarstruktur der von Mammuts ähnelt?

Charpentier: Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. So etwas kann helfen, den molekularen Ursprung eines Phänomens zu verstehen und etwa zu beweisen, dass dieses oder jenes Gen tatsächlich für das Wachstum bestimmter Haartypen verantwortlich ist. Wenn es für das Tier nicht schmerzhaft ist und einem guten Zweck dienen könnte, warum nicht? Es geht aber auch um ethische Bedenken. Mit einer Gentechnologie, die so leistungsfähig ist wie CRISPR, können wir leicht in Bereiche vordringen, die gefährlich sein können.

Frage: In Österreich gibt es große Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen, ein Phänomen, das durch die Pandemie noch verstärkt wurde. Wie begegnen Sie solch kritischen Einstellungen?

Charpentier: Es wird immer wichtiger, der Öffentlichkeit zu sagen, wie wichtig die Wissenschaft ist, dass sie ihr vertrauen sollten. Wir hätten zum Beispiel in der Medizin nicht die Behandlungen, die heute zur Verfügung stehen, wenn es nicht diese phantastische Wissenschaft gäbe.

Frage: Aber viele Leute sehen das nicht.

Charpentier: Ja. Deshalb nehme ich mir viel Zeit für die Vermittlung der Wissenschaft für die Öffentlichkeit und insbesondere für die junge Generation. Wenn man sich die Entwicklung in den USA anschaut, ist es sehr wichtig, die Stimme für die Wissenschaft zu erheben, denn sie ist in großer Gefahr. Wir denken, dass wir in Europa sicher sind, aber das ist de facto nicht so, etwa wenn weniger öffentliche Mittel zur Verfügung stehen. Es passieren auch andere Dinge, die für die Wissenschaft problematisch sind, etwa wenn wir anfangen, Grenzen zu schließen, zu protektionistisch oder sogar zu nationalistisch zu werden. Denn in der Wissenschaft ging und geht es immer um Mobilität.

(Das Gespräch führte Christian Müller/APA gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von "Der Standard" und "Wiener Zeitung")

BERLIN - DEUTSCHLAND: FOTO: APA/APA/AFP/ODD ANDERSEN

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