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"Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg praktisch zu jenem Zeitpunkt verloren, als es den USA den Krieg erklärt hat", betont Schneider. Der japanische Angriff auf die US-Flotte in Pearl Harbor im Dezember 1941 und die kurz darauf - ohne unmittelbare politische Notwendigkeit - erfolgte Kriegserklärung Berlins an Washington war für den bedrängten britischen Premierminister Winston Churchill "ein doppeltes Weihnachtsgeschenk" gewesen: So mussten die USA einerseits in den Krieg eintreten und boten Großbritannien andererseits die ersehnte militärische Unterstützung gegen Deutschland. Unmittelbar vor der Landung in der Normandie waren in Südengland bereits zwei Millionen amerikanische GIs stationiert, erinnert Schneider, die nicht unmaßgeblich auf Kosten der britischen Zivilbevölkerung lebten.
Der Vorteil der USA waren ihre enormen Produktionskapazitäten, die "in völligem Frieden" Kriegsgerät und Ausrüstung aller Art herstellen konnten. "Die USA verfügten über geradezu unglaubliche materielle Möglichkeiten. Das waren Dinge, davon konnte ein (Adolf) Hitler, in jener Zeit überhaupt, nur träumen. Da war im Prinzip nie die Frage: Haben wir genug Material? Sondern höchstens die Frage: Ist unser Material schnell genug an der Front?", erläutert Schneider.
Nicht nur Briten, Franzosen oder gegen Japan kämpfende Chinesen, sondern auch die sowjetischen Truppen wurden zu bedeutenden Teilen von den USA versorgt, etwa mit "über einer Viertelmillion" Lastkraftwagen, Schuhen oder Lebensmittelkonserven. "Diese Viertelmillion Lastkraftwagen machen die sowjetische Infanterie mobil, sodass sie schnelle, große Operationen durchführen kann. Was natürlich für die deutsche Wehrmacht, die nicht mehr über diese Möglichkeiten verfügt, katastrophale Konsequenzen hat."
Hitler selbst habe zu Kriegsbeginn 1939 nie eine Materialschlacht oder gar einen "Krieg gegen die ganze Welt" gewollt, erklärt Schneider, sondern war immer auf eine begrenzte Blitzkrieg-Strategie aus, die in den ersten Kriegsjahren auch erfolgreich war. Hitlers eigentliches Kriegsziel war es, "Lebensraum im Osten" zu schaffen. Erst im Winter 1941 vor Moskau sowie 1942 bei der Schlacht von Stalingrad wurde der deutsche Vormarsch im Osten endgültig gestoppt. Doch noch bis Sommer 1943 konnte Deutschland in einem gewissen Ausmaß auch an der Ostfront die militärische Initiative behalten, schildert der Historiker.
Die beiden entscheidenden Ereignisse des letzten Kriegsjahres 1944/45 waren die Landung der Westalliierten in der nordfranzösischen Normandie im Juni 1944 ("Operation Overlord") und die sowjetische Sommeroffensive 1944 ("Operation Bagration"). Bei beiden Durchbrüchen spielte eine Täuschung des deutschen Kriegsgegners eine maßgebliche Rolle. Während die Westalliierten mit der Simulation einer ganzen Heeresgruppe an der englischen Küste - inklusive aufblasbarer Panzer- und Schiffsattrappen - erfolgreich eine geplante Invasion über den schmalsten Abschnitt des Ärmelkanals zwischen Dover und Calais vortäuschten, statt in der weiter südlich gelegenen Normandie, machten die Sowjets Hitler glauben, sie würden nach Süden, in Richtung der Heeresgruppe Nordukraine und der rumänischen Ölfelder, vorstoßen. Stattdessen erfolgte der sowjetische Angriff jedoch im heutigen Belarus (Weißrussland) frontal auf die Heeresgruppe Mitte, die völlig vernichtet wurde. Erst an der Weichsel, kurz vor Warschau, machte die Rote Armee im August vorerst halt, da ihre Versorgungswege überdehnt waren, berichtet Schneider.
Der Gedanke, dass die Sowjets zu den rumänischen Ölfeldern vorstoßen wollten, war laut dem Historiker verständlich angesichts der Tatsache, dass Deutschland zuletzt immer schlechter mit Treibstoff versorgt war. Auch in dieser Hinsicht saßen die Alliierten von Beginn an am längeren Hebel - die USA waren bereits vor dem Krieg der größte Erdölproduzent der Welt gewesen. Ihre Nachschubsituation in Westeuropa verbesserte sich zudem nach der Eroberung des bedeutenden belgischen Tiefseehafens Antwerpen Ende November noch weiter. Obwohl in Deutschland "der Ausstoß an Rüstungsgütern nie so groß war wie 1944", sorgte zu diesem Zeitpunkt vor allem der Mangel an Treibstoff dafür, dass diese neuen Panzer, Flugzeuge und Lkws nicht ausreichend einsatzfähig waren. Und das, obwohl die Deutschen, im Gegensatz zu den ausschließlich motorisierten Briten und Amerikanern, noch hunderttausende Pferde zum militärischen Transport einsetzten.
Das nächste Ziel der Westalliierten war die Überquerung des Rheins und die Einnahme des Ruhrgebietes, aus dem 30-40 Prozent der deutschen Rüstungsgüter stammten. Doch der Vorstoß in das Ruhrgebiet gelangt erst im Frühjahr 1945 - nach der gescheiterten Luftlandeaktion "Operation Market Garden" im September 1944 in den Niederlanden, wo die alliierten Truppen unter anderem an der Rheinbrücke von Arnheim scheiterten, und einer letzten deutschen Offensive im Winter 1944/45 in den belgischen Ardennen.
Der britische General Bernard Montgomery ("ein eitler Pfau") wäre eigentlich gerne als erster mit seinen Truppen in Berlin einmarschiert. Doch statt im Frühjahr 1945 in Richtung Berlin vorzustoßen, ließ der Oberkommandierende der alliierten Truppen, der US-General Dwight D. Eisenhower, diese zunächst Richtung Südosten abschwenken. Eisenhower befürchtete nämlich, dass die Deutschen in den österreichischen Alpen heimlich ein fast uneinnehmbares Festungssystem errichtet hatten, und wollte deutsche Truppen daran hindern, sich dorthin zurückzuziehen. Freilich erwies sich diese angebliche Alpenfestung als "Chimäre", so Schneider. Montgomery "tobte vor Wut" ob Eisenhowers Entscheidung.
Die deutsche Hauptstadt wurde letztlich nach sehr schweren Kämpfen am 2. Mai von sowjetischen Truppen eingenommen. Da Hitler bereits seit dem 30. April tot war, kapitulierten in den letzten Kriegstagen führende militärische Vertreter Deutschlands sogar mehrfach, bis der sowjetische Diktator Josef Stalin die Kapitulation in Berlin in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai als gültig anerkannte.
Im pazifischen Raum ging der Krieg zwischen den USA und Japan freilich noch weiter. Schneider weist darauf hin, dass die Art zu kämpfen in diesem Krieg eine ganz andere war als in Europa: "Die Amerikaner kämpften gegen ein japanisches Heer, das buchstäblich bis zum letzten Mann kämpft. Denn Aufgeben hieß, Schande über sich und seine Familie oder Schande über den Kaiser zu bringen." Nach den aus diesem Grund äußerst verlustreichen Schlachten um die kleinen japanischen Inseln Iwo Jima und Okinawa befürchteten die USA bereits ein Blutbad bei einer Invasion der beiden japanischen Hauptinseln, mit mindestens 500.000 toten US-Soldaten. "Das untermauerte dann den Entschluss, die Atombombe einzusetzen", die erst kurz zuvor, im Juli 1945, beim Trinity Test überhaupt erstmals ausprobiert worden war.
Neben dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August durch die USA war die Kriegserklärung der Sowjetunion gegen Japan am 8. August einer der entscheidenden Faktoren, warum sich Tokio für eine Kapitulation entschied. Die noch von Japan besetzten Gebiete in China und Korea wurden von sowjetischen Truppen regelrecht "überrollt", schildert der Historiker. So verkündete am 15. August Kaiser Hirohito die Kapitulation, die am 2. September auf dem US-Schlachtschiff "Missouri" unterzeichnet wurde.
(Das Gespräch führte Petra Edlbacher/APA)
PARIS - FRANKREICH: FOTO: APA/APA/AFP/JEAN AYISSI/-