News Logo
ABO

152 Jahre bis zur Geschlechtergleichstellung

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
9 min
Frauen prägen die Landwirtschaft so wie hier in Sambia
©APA/APA/GUNTHER LICHTENHOFER/GUNTHER LICHTENHOFER
  1. home
  2. Leben
  3. Technik
152 Jahre: So lange wird es laut einem Bericht der Hilfsorganisation CARE ("The Cost of Inequality", Die Kosten der Ungleichheit, Anm.) beim derzeitigen Tempo dauern, bis die wirtschaftliche Lücke zwischen Frauen und Männern geschlossen wird. Und dass sie überhaupt geschlossen wird, scheint keineswegs sicher. Gerade Frauen geraten durch den technischen Fortschritt und die Möglichkeiten, welche die Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet, zusätzlich unter Druck.

von

Das Problem ist nämlich, dass Frauen deutlich seltener in sogenannten STEM-Jobs, also in den Sparten Mathematik, Engineering, Naturwissenschaft und Technik arbeiten als Männer. Das Verhältnis liegt etwa bei einem zu zwei Drittel. Geht es um den traditionellen Energiesektor, beträgt der Frauenanteil gar nur 16 Prozent. 785 Millionen Frauen weltweit bleiben bei der Arbeit offline. Und umgekehrt: An den Arbeitsplätzen, die durch die KI ersetzt werden können, befinden sich etwa um 21 Millionen mehr Frauen als Männer.

Frauen in den Staaten Afrikas südlich der Sahara sind von Ungleichheit seit jeher massiv betroffen. Und das wurde mit der Zeit schlimmer, meint etwa Dolika Banda, Vorstandsmitglied von CARE USA und Expertin für Entwicklungsfinanzierung, im Gespräch mit der APA. "Jede Frau hat heute zumindest sechs Menschen in einem Haushalt zu versorgen, und bis zu zehn", schilderte Banda ihre eigenen Erfahrungen. "Sie hat keine Wahl und muss umsichtig und kreativ sein, um jeden Tag das Essen für alle auf den Tisch zu stellen, um die Kinder in die Schule zu schicken und um in vielen Fällen mit einem dysfunktionalen Partner umzugehen. Und dann gibt es noch den Nachbarn, der kein Geld hat, aber auch vier Kinder, und ihre Mutter sowie Schwiegermutter, um die sie sich auch zu kümmern hat."

Frauen tragen in weiten Gebieten der afrikanischen Staaten südlich der Sahara die Versorgungslast der Familien praktisch alleine. "Ich weiß nicht, ob Sie es registriert haben. Aber wenn Sie durch die Dörfer Sambias fahren und die Frauen sehen, die Obst und Gemüse verkaufen oder generell mit Konsumgütern handeln, sitzen dort Männer unter den Bäumen, jung, alt, Teenager, die offensichtlich gar nichts tun", erzählte Banda, selbst in Sambia geboren. "Und das ist nicht auf Sambia beschränkt: Uganda, Südafrika, praktisch überall. Sogar in den Städten." In Mosambik bekam die APA erst kürzlich zu hören, dass 98 Prozent der Männer in dem Land komplett nutzlos sind. "Das ist ein bisschen eine starke Formulierung. Ich weiß auch nicht, ob es 98 oder 90 Prozent sind. Aber die große Mehrheit der Männer in unseren Ländern sind nicht gerade konstruktiv, wenn es um die täglichen wirtschaftlichen Notwendigkeiten geht", so Banda.

"Ich glaube, dass Männer in Afrika südlich der Sahara es schwieriger finden als Frauen, sich an Situationen anzupassen und sich von der Position zu verabschieden, die tief in ihnen verwurzelt ist. Deshalb finden Frauen sehr schnell Lösungen für auftauchende Probleme - etwa bei der Frage, es gibt nichts zu essen, also was kann ich tun. Männer finden es sehr schwierig, sich von einer Position der Autorität und des Wartens, dass das Essen für sie zubereitet wird, zu lösen. Selbst wenn sie auf die Universität gehen, suchen sie sich als erstes eine Freundin für die Hilfe beim Waschen und Kochen, weil sie das nicht selbst können", schilderte Banda. Dementsprechend könnten sie auch nicht mit einfallsreichen, starken, autonomen und unabhängigen Frauen umgehen.

Der CARE-Bericht untermauert, was Banda schilderte: Frauen stellen die Mehrheit unter den Kleinbauern weltweit, die insgesamt ein Drittel der Nahrungsmittel weltweit produzieren. In den afrikanischen Staaten südlich der Sahara stellen die Frauen 66 Prozent der Arbeitskraft in der Landwirtschaft, in Südasien sind es gar 71 Prozent.

"Wenn wir ein CARE-Projekt machen - wie etwa das (auch von der APA besuchte, Anm.) Projekt WAYREP in Uganda -, liegt der Fokus auf der Stärkung der Stellung von Frauen", erläuterte Banda. Für Männer bedeutet dies ihren Denkschemata jedoch Kontrollverlust. "Wie kann ich am besten meine Autorität über diese Frau wiederherstellen? Sie hat nun Geld, sie ist unabhängig, sie kann mir Kontra geben, sie beeinflusst die Kinder. Die Antwort ist Missbrauch: Das ist die einzige Möglichkeit, wie ich ihr ihren Platz wieder zuweisen kann." Das führe zur geschlechtsspezifischen Gewalt.

Banda sprach auch männliche Strategien an, die beim Besetzen bestimmter Posten hilfreich sind: "Sie gehen Fußball schauen, sie treffen sich auf dem Golfplatz. Und da werden die Deals ausgemacht." Ihre Conclusio: "Wir müssen unsere eigenen Golfplätze schaffen."

Der CARE-Report gibt auch konkrete Hinweise, was der Weltwirtschaft durch die Benachteiligung von Frauen entgeht. Durch fehlende Investitionen in die Bildung und das Training von Mädchen entgehen der Weltwirtschaft rund zehn Billionen Dollar (9.472,39 Mrd. Euro), davon allein 210 Milliarden in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara.

Und besser dürfte es nicht werden. Frauen und Mädchen drohen nämlich den Anschluss an die Wandlung der Arbeitswelt, die sich durch die KI, aber auch durch die massiv steigende Nachfrage nach "Green Jobs" ergibt, völlig zu verlieren. Das liegt zum Teil daran, dass gerade das Internet ein Ort ist, wo sie sich nicht sicher fühlen und daher die Zeit ihrer Online-Präsenz limitieren. Das betrifft laut CARE beinahe neun von zehn Frauen. Damit verlieren sie aber den Zugang zur Arbeit, Bildung und Gesundheitswesen, was mit höheren Kosten bei niedrigerem Einkommen verbunden sei, so die Hilfsorganisation in ihrem Bericht.

Die untergeordnete Stellung der Frau im Wirtschaftsleben spielt auch eine große Rolle bei der Resilienz gegenüber Krisen etwa, wie Dolika Banda erläuterte. Während das obere oder einkommensstärkste Drittel sowohl von einer florierenden Wirtschaft mehr profitiert als das untere Drittel, so ist es auch widerstandsfähiger gegen Krisen. Und das betrifft im unteren Drittel besonders Frauen: "Sie werden viel härter getroffen."

Was man dagegen tun kann: "Ich weiß es nicht. Wüsste ich es, wäre ich Teil des oberen Drittels", sagte die Finanzexpertin. "Das einzige, was hilft, ist die Interessensvertretung. Das ist ein Mittel, das uns hilft, ökonomische Werkzeuge zu schaffen, mit denen Frauen wirtschaftlich gedeihen können." Es gibt ein paar Fonds in Afrika, unter anderem ist einer in Südafrika, ein anderer in Sambia, erläuterte Banda weiter. "Ihre Mission ist es, Geschäfte, die von Frauen betrieben werden, zu subventionieren. Und andere Fonds zu unterstützen, die Geschäftsideen von Frauen fördern."

Banda plädiert dafür, im nächsten Schritt Frauen in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara, denen in vielen Projekten die Möglichkeit gegeben wurde, sich selbstständig zu machen - beispielsweise aus Friseurin oder Schneiderin -, die Produktionsmittel in die Hand zu geben. "Also auch die Maschinen", betonte sie. Dazu ist aber auch die Weiterentwicklung des Finanzsystems notwendig, um die Gründung von Klein- und Mittel-Unternehmungen zu ermöglichen.

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER