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Reuters-Reporter berichten von mindestens zehn zeitgleichen Angriffen auf Vororte von Beirut - die bisher größten dieser Art. Das Militär hatte zuvor den bisher umfassendsten Evakuierungsbefehl für Vororte der libanesischen Hauptstadt ausgegeben. Betroffen seien 20 Gebiete, teilt ein Sprecher der Armee auf X mit. Rauchwolken stiegen auch über dem Zentrum auf. Laut Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurden mindestens drei Menschen getötet und mindestens 26 weitere verletzt.
Zuvor hatte die "Times of Israel" unter Verweis auf einen Beamten vermeldet, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu werde am Abend das Sicherheitskabinett einberufen, um eine 60-tägige Waffenruhe mit der proiranischen Schiiten-Miliz zu billigen. Auch libanesische Regierungsquellen in Beirut äußerten sich optimistisch: Laut Außenminister Abdullah Bou Habib stand Vereinbarung kurz bevor. Im Prinzip hätten Netanyahu sowie die libanesische Regierung zugestimmt, sagte Bou Habib dem italienischen Fernsehsender Rai. "Aber die endgültige Entscheidung liegt beim israelischen Kabinett", betonte der Minister.
Man sei nahe dran an einer Einigung über eine Waffenruhe, man habe gute Gespräche geführt, sagte auch der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. Es gehe in die richtige Richtung. "Aber es ist noch nicht geschafft", sagte Kirby. Er wolle sich aber nicht zu Details äußern, um die Chance auf eine Einigung nicht zu gefährden.
Die vorliegende Vereinbarung sehe einen 60-tägigen Umsetzungszeitraum vor, der es Israels Militär ermöglichen solle, sich zurückzuziehen, berichtete unterdessen das "Wall Street Journal" unter Berufung auf libanesische Beamte. Die libanesische Armee solle zugleich im Grenzgebiet zu Israel stationiert werden, um zu verhindern, dass Kämpfer der Hisbollah dort wieder Fuß fassen. Eine internationale Kommission solle mit der schon seit Jahren im Libanon stationierten UNO-Friedenstruppe UNIFIL die Einhaltung der Vereinbarung überwachen, hieß es.
Israel wird nach Angaben von Regierungssprecher David Mencer bei einer Vereinbarung seine Handlungsfreiheit behalten. Es werde weiterhin die Bedrohung durch die Hisbollah abwenden können, sagt er der Nachrichtenagentur Reuters. Die Bewohnerinnen und Bewohner im Norden Israels würden in ihre Häuser zurückkehren können.
Vorerst setzten Israel und die Hisbollah ihre gegenseitigen Angriffe jedoch fort. Israels Luftwaffe griff ein Ziel im Herzen der Hauptstadt Beirut an. Dabei sei ein Gebäude in der Gegend der dicht besiedelten Stadtteile Nuweiri und Ras Al Naba bombardiert worden, berichteten Augenzeugen und Quellen im Sicherheitsbereich. Laut vorläufigen Angaben des Gesundheitsministeriums wurde dabei mindestens ein Mensch getötet, mindestens zehn weitere seien verletzt worden. Israels Militär hatte keine Warnung für den Angriff veröffentlicht.
Unterdessen veröffentlichte ein israelischer Militärsprecher Warnungen für rund 20 Gebäude in den als Dahiya bekannten Vororten der Hauptstadt, einer Hochburg der Hisbollah-Miliz. Bereits am Wochenende hatte die Luftwaffe dort ihre Angriffe intensiviert und nach eigenen Angaben unter anderem Kommandozentralen der proiranischen Hisbollah zerstört. Entsprechende Evakuierungsaufrufe gab es auch für die südlibanesische Stadt Nakura, wo sich auch das Hauptquartier der UN-Beobachtermission UNIFIL befindet.
Die Attacken sollen demnach vor allem die Fähigkeit der Hisbollah schwächen, sich von den schweren Schlägen der vergangenen Monate zu erholen, sich erneut zu bewaffnen und neu zu organisieren. Die Miliz schoss trotzdem erneut Raketen auf Israel ab. Im Norden Israels wurden die Sicherheitsvorschriften verschärft, in einigen Gebieten sollen die Schulen heute geschlossen bleiben, weil verstärkter Raketenbeschuss befürchtet wurde. In der Nacht heulten im Norden des Landes erneut die Warnsirenen. Bei einer neuen Raketensalve sei ein Haus in der grenznahen Stadt Kiriat Shmona direkt getroffen und beschädigt worden, berichteten israelische Medien.
Die vom Iran finanzierte Hisbollah wollte nach eigenen Angaben mit den Angriffen ein Ende der israelischen Offensive gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen erzwingen. Die Terrorgruppe hatte am 7. Oktober 2023 ein Massaker in Israel verübt, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und 250 weitere als Geiseln verschleppt wurden. Der Angriff löste den seit mehr als einem Jahr andauernden Gaza-Krieg aus. Seither hat die mit der Hamas verbündete Hisbollah mehr als 17.000 Raketen auf Israel abgefeuert, wie die Armee auf Anfrage mitteilte.
Im selben Zeitraum habe Israels Militär rund 12.000 Terrorziele im Libanon angegriffen, hieß es. Die Hisbollah gilt seit den intensiven Luftangriffen und einer von Israel Mitte September gestarteten Bodenoffensive inzwischen als angeschlagen. Ein Großteil ihrer Anführer wurde getötet. Insgesamt starben im Libanon durch Israels Gegenangriffe mehr als 3.000 Menschen. In beiden Ländern warten Zehntausende Menschen darauf, nach einem Ende der Kämpfe in ihre Wohnorte zurückkehren zu können. In Israel war die Rückkehr der aus dem Norden des Landes vor dem Beschuss geflohenen Bewohner erklärtes Kriegsziel.
Der von der "Times of Israel" zitierte Regierungsbeamte betonte, Israel akzeptiere zwar eine Einstellung der Feindseligkeiten, nicht aber ein Ende des Krieges gegen die Hisbollah-Miliz. Man wisse nicht, wie lange die Waffenruhe dauern werde. "Es könnte ein Monat sein, es könnte ein Jahr sein", sagte der israelische Beamte der Zeitung.
Die israelische Armee gewährte unterdessen erstmals einen genaueren Einblick in ihren jahrelangen Kampf gegen den Schmuggel von Waffen aus dem Iran zur Hisbollah-Miliz. Für den Schmuggel seien verdeckte Routen durch den Irak und Syrien in den Libanon eingerichtet worden. Dabei seien im Laufe der Jahre Tausende Lastwagen und Hunderte Flugzeugen eingesetzt worden, um Tausende Raketen und weitere Waffen in den Libanon zu bringen, mit denen Israel angegriffen werde. Die syrischen Behörden wirkten dabei stillschweigend mit. Israel habe diese Routen nicht erst in den vergangenen Monaten ins Visier genommen, sondern seit Jahren, erklärte die Armee. Israel werde auch in Zukunft gegen jeden Versuch des Irans vorgehen, Verbündete im Nahen Osten Waffen zu liefern.
Die USA als Israels wichtigster Verbündeter drängen seit Wochen auf eine Waffenruhe zwischen der Hisbollah und Israel. Ihr Vermittler Amos Hochstein war diese Woche für Verhandlungen erneut in den Libanon und nach Israel gereist. Derweil wird der Nahost-Koordinator des Weißen Hauses, Brett McGurk, heute in Saudi-Arabien erwartet.
Dort will McGurk nach Angaben aus Washington darüber sprechen, wie ein mögliches Abkommen über eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon als Katalysator für eine mögliche Waffenruhe auch im Gazastreifen sowie für mehr Stabilität in der Region genutzt werden kann. Die Beendigung des Gaza-Kriegs gilt als deutlich komplizierter, auch weil die Hamas noch immer aus Israel entführte Geiseln festhält.