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Zwei Tage lang machte man sich in Salzburg in Vorträgen, Diskussionen und Workshops Gedanken über die Situation des Theaters. Am Samstag ging es etwa programmatisch um kulturelles Erbe und künftige Narrative, praktisch aber um wesentliche Fragen zeitgenössischer Dramaturgie und kulturpolitischer Linie. Als Schwarzmaler betätigte sich der Autor Albert Ostermaier, der seine Generation von Theaterleuten im Bemühen um gesellschaftliche Relevanz "fundamental gescheitert" sah: "Viele Theater werden geschlossen werden. Es wird dramatisch in den nächsten zehn Jahren. Da müssen wir gemeinsam gegensteuern."
Wie das gehen soll, ist niemandem wirklich klar. Dass Shermin Langhoff (die am Samstag krankheitsbedingt absagen musste) 2008 am Berliner Ballhaus Naunynstraße und fünf Jahre später am Maxim-Gorki-Theater das postmigrantische Theater ins Zentrum gerückt habe, müsse weiter als die wichtigste Initiative der vergangenen Jahre gelten, sagte Tobias Schuster. Der künftige Chefdramaturg des Wiener Volkstheaters versprach für die Direktion von Jan Philipp Gloger "lustvolles Theater, aber gleichzeitig eine klare politische Haltung", und gab zu: "Natürlich blickt man mit großer Sorge auf die Nationalratswahl."
Autor Amir Gudarzi zog gegen Ignoranz und Scheuklappen des deutschsprachigen Theaters zu Felde, das sich international gebärde, in Wahrheit aber provinziell sei. Auf den Bühnen werde nicht die Welt mit ihren heutigen Problemen, sondern eine eurozentristische Selbstbespiegelung gezeigt: "Die Theaterleute glauben, dass sie auf einer Insel sind." Gerade die abendländische Tradition, die heute als "Leitkultur" verkauft werde, habe im Osten angefangen.
Nuran David Calis, der das Symposium kuratiert hatte, konnte da nur beipflichten: Der 1976 in Bielefeld geborene Theatermann wurde zu Beginn seiner Karriere immer als "türkischstämmig" tituliert, obwohl sein Vater Armenier ist. Politisiert mit den ausländerfeindlichen Anschlägen in Hoyerswerda und Solingen, fühle er sich heute in die Zeit von damals zurückversetzt. Calis hatte sich vorgenommen, seine eigene Geschichte mit ihren "Verwerfungen, Brüchen und Wendepunkten" in die "Odyssee" einzuarbeiten. Entscheidendes hatte er damit jedoch nicht beizutragen.
Der Regisseur hat auf die Homer-Übersetzung von Johann Heinrich Voß zurückgegriffen und baut gelegentliche eigene Text-Einsprengsel, bei denen sprachlich jeweils eine ordentliche Fallhöhe zu verkraften ist. Was der Motor für eine Neuerzählung der "uralten Geschichte von Odysseus' Irrfahrten und seiner Heimkehr" sein soll, wird nie ganz klar, bloß dass er hochtourig fährt: In 55 Minuten hat man zu pulsierenden Rave-Rhythmen in schwarzen Lackleder-Dressen schon die Lotophagen links liegen gelassen, den Kyklopen geblendet und ist bei Kirke eingekehrt.
Dass man trotz dieses Tempos nicht weiterkommt und sich dabei ein weißes trojanisches Pferd als Mahnmal im Kreis dreht (Bühne: Anne Ehrlich), zählt zu den Ungereimtheiten dieser Inszenierung, die nach der Pause immerhin eine deutliche Kursänderung vornimmt: Weg vom Erzähltheater, hin zu echten Spielszenen, was dem Ensemble Gelegenheit zur Differenzierung gibt. Gregor Schulz als mehr zappeliger als heldischer Odysseus, Nikola Jaritz-Rudle als sehr junge Penelope, Aaron Röll als stürmischer Telemachos und Maximilian Paier als auftrumpfender Zeus wissen das zu nutzen. Zwischen ihnen entwickelt sich ein Handlungsstrang, den Calis gegen Ende herausarbeitet: die (Selbst-)Ermächtigung des Menschen. "Wir sollten das Zeitalter der Götter beenden und die Macht den Menschen geben", verlangt Göttin Athene, die Odysseus bei seiner Heimkehr unter die Arme greift, von ihrem Vater. Der will nicht: "Ein Gott kann nicht abdanken!"
Das Theater der Zukunft hat man an diesem Abend nicht gesehen, nicht nur, weil die gewählte Bildersprache für jene Generation, die man erst dazu bringen muss, sich für das Theater zu begeistern, wohl reichlich antiquiert wirkt. Es liegt aber auch daran, dass man bei der Annäherung an die wohl berühmteste Irrfahrt der Literaturgeschichte selbst ein wenig die Orientierung verloren hat: Wollte man den Helden menschlich zeigen? Seine Frau aufwerten? Das Unvermögen des Menschen, mit seiner Selbstverantwortung umzugehen, zeigen? Frühe Fragen von Heimat und Fremde, Egoismus und Solidarität diskutieren? Und so zeigte die Inszenierung dasselbe Problem wie schon die vorangegangenen Diskussionen: Nur wer in der Lage ist, präzise Fragen zu formulieren, kann auch konzise Antworten liefern.
"Welche Ordnung?", lautet die Schlussfrage des Abends. Es ist eine große, eine politische Frage, zumal an einem Wahltag. Das Theater hat da einen großen Vorteil: Man kann sie immer wieder neu stellen - und jedes Mal bei Null beginnen.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "Odyssee" von Homer, mit Texten von Nuran David Calis, Regie: Nuran David Calis, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüme: Anna Sünkel, Musik: Vivan Bhatti. Mit Gregor Schulz, Nikola Jaritz-Rudle, Aaron Röll, Maximilian Paier, Sarah Zaharanski, Leyla Bischoff, Matthias Hermann. Salzburger Landestheater, Nächste Vorstellungen: 3., 4., 8., 15., 18.10., https://www.salzburger-landestheater.at)
Sarah Zaharanski, Matthias Hermann, Maximilian Paier, Gregor Schulz und Leyla Bischoff