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Surabischwili: "Vorfälle von Gewalt" bei Wahl in Georgien

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Georgien ist EU-Beitrittskandidat, Prozess liegt derzeit aber auf Eis
©APA/APA/AFP/GIORGI ARJEVANIDZE
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Bei der Parlamentswahl in Georgien ist es nach Angaben der proeuropäischen Präsidentin Salome zu Gewalt gekommen. "Ich möchte auf die zutiefst beunruhigenden Vorfälle von Gewalt in verschiedenen Wahllokalen hinweisen", erklärte Surabischwili am Samstag in Onlinediensten. Zuvor waren in den Internet-Netzwerken Videos verbreitet worden, die an mehreren Orten bei Wahllokalen heftige Konfrontationen zeigten.

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Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission verliefen die Urnengänge friedlich. Von anderen Beobachtern wurden jedoch mehrere Zwischenfälle gemeldet. Die "Vereinigung junger Anwälte" etwa berichtete von "erheblichen Wahlverstößen". Die Oppositionsparteien teilten zudem Aufnahmen von offenbar verstopften Wahlurnen im südöstlichen Dorf Sadachlo.

"Sie verstopfen Wahlurnen, schikanieren Wähler und schlagen Beobachter", sagte Tina Bokutschawa, eine der Spitzenpolitikerinnen der größten Oppositionspartei UNM, der pro-europäischen Vereinigten Nationalen Bewegung des inhaftierten Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili.

"Bidzina Iwanischwilis Schlägertrupps versuchen verzweifelt, sich an die Macht zu klammern und sind zu allem bereit, um den Wahlprozess zu untergraben", sagte die Politikerin mit Blick auf den mächtigen Milliardär Bidsina Iwanischwili, der die pro-russische Regierungspartei Georgischer Traum kontrolliert.

Eine führende Vertreterin der Regierungspartei, Mamuka Mdinaradse, wies die Anschuldigungen als eine von der Opposition inszenierte "Provokation" zurück, während die Wahlkommission die in dem Wahlbezirk des südöstlichen Dorfs Sadachlo abgegebenen Stimmen für ungültig erklärte.

Die Parlamentswahl, die entscheiden soll, ob die Südkaukasusrepublik künftig einen prorussischen oder prowestlichen Kurs einschlägt, wird international genau beäugt. Laut Zentraler Wahlkommission nehmen Vertreterinnen und Vertreter von über 60 internationale Organisationen, darunter der OSZE, des Europarates und der NATO sowie des Europäischen Parlaments an Wahlbeobachtungen teil.

"Man merkt, dass viele internationale, aber auch lokale Wahlbeobachter teilnehmen", erklärte auch der EU-Abgeordnete Reinhold Lopatka (ÖVP), der für das Europäische Parlament die Wahl verfolgt, am Samstag im Gespräch mit der APA.

Die Zahl der internationalen Wahlbeobachter übersteigt die Zahl der 48 internationalen Wahlbeobachter bei der letzten Wahl 2020. "An die 3.000 nationale und internationale Wahlbeobachter sollen im Land sein", so die Bundesratsabgeordnete Elisabeth Kittl (Grüne), die für die Parlamentarische Versammlung der OSZE die Wahl beobachtet.

Rund 3,5 Millionen Wähler sind aufgerufen, über die künftige Ausrichtung des Lands zu entscheiden. Die Regierungspartei Georgischer Traum, die für einen nationalkonservativen Kurs und eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland steht, will ihre Macht erhalten. Sie sieht sich als Favoritin. Umfragen geben aber der prowestlichen Opposition und ihrem Kurs auf Europa gute Chancen.

Die westlich orientierte Präsidentin Surabischwili, die mit der Regierungspartei im Streit liegt, sagte nach der Stimmabgabe, am Abend werde "ganz Georgien siegen". "Ich bin zuversichtlich, dass dieser Tag die Zukunft Georgiens bestimmen wird, die Zukunft, für die ich persönlich vor 22 Jahren in dieses Land zurückgekehrt bin", so die in Paris geborene Tochter von georgischen Emigranten, die nach der Annexion Georgiens durch Russland im Jahr 1921 nach Frankreich geflohen waren.

Die Regierung rechnet ihrerseits mit einem deutlichen Sieg. "Unsere Prognose ist optimistisch, wir erwarten von der Bevölkerung 60 Prozent der Stimmen", verkündete Regierungschef Irakli Kobachidse der Nachrichtenagentur Interpressnews zufolge bei der Stimmabgabe. Dabei betonte er einmal mehr die Bedeutung der Wahl für die künftige Ausrichtung des Landes.

Es gehe wie 2012 darum, die weitere Entwicklung des Landes festzulegen, sagte Kobachidse. Damals löste die bis heute herrschende Partei Georgischer Traum die zuvor regierende Vereinte Nationale Bewegung unter Saakaschwili ab. "Das ist ein Referendum über Krieg und Frieden, zwischen amoralischer Propaganda und traditionellen Werten; ein Referendum über die dunkle Vergangenheit und die lichte Zukunft des Landes", sagte Kobachidse nun.

Georgischer Traum vertritt zunehmend einen nationalistisch-konservativen Kurs und sucht die Annäherung an Russland. Parteipolitiker schrecken die Bevölkerung mit einem bevorstehenden Krieg ab, sollte die Opposition gewinnen, die Richtung EU strebt. Bei Erreichen einer Zweidrittelmehrheit will der in Russland zum Milliardär gewordene Parteigründer Bidsina Iwanischwili die größte Oppositionspartei verbieten lassen - die Vereinte Nationale Bewegung, die bis 2012 regierte. Iwanischwili gab seine Stimme ebenfalls in der Früh ab. Er schürte dabei erneut die Angst vor einem Krieg, in den ausländische Mächte das Land angeblich führen wollen.

Iwanischwili macht die Partei des inhaftierten Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili auch für den Krieg mit Russland 2008 verantwortlich. Moskau erkannte die abtrünnigen georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien damals als unabhängige Staaten an. So verlor Georgien 20 Prozent seines Staatsgebiets.

Gela Vasadse vom georgischen Zentrum für strategische Analyse warnte vor der Gefahr von Unruhen. "Wenn die Regierungspartei ungeachtet des Wahlergebnisses versucht, an der Macht zu bleiben, besteht die Gefahr von Unruhen nach der Wahl."

Der Georgische Traum, der seit 2012 an der Macht ist, verfolgte zunächst einen liberalen, pro-westlichen Kurs. In den vergangenen zwei Jahren wandte die Regierung sich jedoch nach Einschätzung von Kritikern verstärkt Moskau zu. In der jüngeren Vergangenheit ähnelten die Aussagen von Milliardär Iwanischwili, der selbst bei der Parlamentswahl nicht auf dem Stimmzettel steht, mehr und mehr denen des Kremls. Im Wahlkampf verbreitete er eine Verschwörungstheorie über eine mysteriöse "globale Kriegspartei", die Georgien in den russischen Krieg gegen die Ukraine hineinziehen wolle.

Die Verabschiedung eines Gesetzes der Regierung gegen angebliche "ausländische Einflussnahme" löste in diesem Jahr Massenproteste in dem Vier-Millionen-Einwohner-Land aus. Es ähnelt dem russischen Gesetz zu "ausländischen Agenten", das der Unterdrückung Oppositioneller dient. Brüssel fror daraufhin den EU-Beitrittsprozess mit Georgien ein, und die USA verhängten Sanktionen. Anfang des Monats sorgte ein weiteres Gesetz für Spannungen, das die Rechte der LGBTQ-Minderheit einschränkt.

Georgien hat rund 3,7 Millionen Einwohner. Die Wahllokale sind bis 20.00 Uhr (18.00 Uhr MESZ) geöffnet. Aussagekräftige Ergebnisse werden für den späten Samstagabend erwartet. Nach der Abstimmung will auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die mit 500 Wahlbeobachtern im Einsatz ist, den Urnengang nach demokratischen Gesichtspunkten beurteilen.

A protester waves Georgian national (top) and European union flags as he protests the "foreign influence" law crowd outside the parliament building in central Tbilisi on May 28, 2024. Georgia's parliament on Tuesday adopted a controversial "foreign influence" law, which has sparked weeks of mass protests and a blizzard of international condemnation. Lawmakers voted 84 to 4 to pass the bill after overriding a veto lodged by President Salome Zurabishvili's. The move came despite ongoing street protests and warnings from Brussels and the US that the measure undermines Georgia's European Union membership bid. (Photo by Giorgi ARJEVANIDZE / AFP)

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