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Regieduo sieht "Veni Vidi Vici" als "Trojanisches Pferd"

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Niemann und Hoesl setzen in "Veni Vidi Vici" verstärkt auf Humor
©APA/APA/Ulrich Seidl Filmproduktion/Elsa Okazaki
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Daniel Hoesl und Julia Niemann machen mit ihren Filmen etwas, das beinahe aus der Zeit gefallen scheint: Sie werfen die Klassenfrage auf. Es geht in ihren Arbeiten nicht um Identitäts-, sondern schlicht um Schichtfragen - so auch in der neuen, bitterbösen Satire "Veni Vidi Vici". Aus diesem Anlass sprach das Regieduo mit der APA über den ausbleibenden Aufstand der 99 Prozent, den Charme der obersten Klasse und die Frage, warum "Kill the Rich" nicht so leicht umzusetzen ist.

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APA: Ihre Hauptfigur in "Veni Vidi Vici" kommt mit allem durch. Weshalb hält ihn niemand auf?

Daniel Hoesl: Amon, die Hauptfigur in "Veni Vidi Vici", lernt nichts dazu - ganz wie in der Realität. Menschen kommen mit den unmöglichsten Dingen durch und müssen auch nicht dazulernen. Satire besteht darin, die Realität zu überspitzen, und insofern war an dieser Grunddisposition für uns nicht zu rütteln. Wir wollen unser Publikum wütend machen - und zwar auf die Richtigen: Diejenigen, die mit allem durchkommen. Bei uns gibt es keine Auflösung der Situation. Und das führt hoffentlich zu einem Unbehagen. Vielleicht gibt es ja doch irgendwann einen Aufstand.

APA: Weshalb bleibt dieser Aufstand bis dato in der Gesellschaft aus?

Hoesl: Ich bin da von uns allen selbst enttäuscht. Weshalb bleibt man lieber im Jammertal, als aktiv zu werden? Die Wut baut sich in die falsche Richtung auf: In Richtung derjenigen, denen es ohnedies schon schlechter geht. Dabei wäre genügend Geld vorhanden - es ist nur auf eine kleine Gruppe an Menschen konzentriert. Es geht um Gerechtigkeit und Chancengleichheit in puncto Bildung. Die Klassen müssten wieder durchdringbar werden.

Julia Niemann: Es ist schwer, "Die da oben" in die Mangel zu nehmen, denn in Wahrheit wollen die meisten Menschen "Die da oben" sein.

APA: Zugleich besitzt "Veni Vidi Vici" mehr Humor als Ihre früheren Filme. Ein bewusster Akt?

Hoesl: Wir wollten als Lehre aus unseren vorherigen Filmen ein breiteres Publikum erreichen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir mit unseren Werken bisher nur diejenigen erreichen, die eh schon wissen, worum es geht. Dieses Mal haben wir einen Film gemacht, der mit seinem Statement hoffentlich mehr Menschen erreicht.

Niemann: Wir haben uns vorgenommen, quasi ein Trojanisches Pferd zu bauen: Einen Film, der unterhaltsam ist, aber eine Botschaft hat, die bleibt, auch lange nach dem Film.

APA: Welche Lehren haben Sie in dieser Hinsicht aus den vorherigen Filmen gezogen?

Niemann: Wir hatten damals schlicht nicht den Vorsatz, ein breites Publikum anzusprechen, sondern wollten im Wesentlichen unseren Idealen treu bleiben. Jetzt wollen wir zwar unserer Handschrift treu bleiben, aber trotzdem weiter ins Publikum ausgreifen. "Veni Vidi Vici" spielt mit Thriller-, vielleicht sogar Horrorelementen. Wir haben einer Figur ein Voice-Over gegeben, um die Menschen an der Hand zu nehmen. Und wir haben auch mit Filmmusik experimentiert, um den satirischen Aspekt zu unterstützen. Uns beeindruckt etwa ein Film wie "Joker", der auf der einen Seite ein Film für die Massen ist, andererseits aber trotzdem eine politische Botschaft transportiert.

APA: Da war die Weltpremiere beim Sundance-Festival ja schon einmal ein guter Anfang...

Niemann: Wir haben uns für "Veni Vidi Vici" von Anfang an Sundance gewünscht. Und dass dieser Wunsch wahrgeworden ist, war ein Lottosechser!

Hoesl: Mit Sundance adressiert man ein viel internationaleres Publikum. "Veni Vidi Vici" kam beim angelsächsischen Publikum besonders gut an.

APA: Weshalb?

Niemann: Es gibt bei Daniels Filmen immer diese Figur des Investors: Der Superreiche, der immer die Wahrheit sagt, auch wenn er lügt, der nichts falsch machen kann, der alles in Gold verwandelt, was er anfasst. Und diese Person des Billionaire-Superstars als Projektionsfläche, Vorbild, Neidobjekt, die gibt es eher im Angelsächsischen. Die spannendsten Publikumsgespräche nach dem Film haben wir immer an Orten, an denen viele Reiche leben.

APA: Sie gehören zu den wenigen Filmschaffenden, die derzeit nicht nur soziale oder Identitätsfragen in Ihren Werken stellen, sondern tatsächlich die Klassenfrage adressieren. Fühlen Sie sich da bisweilen als einsame Rufer in der Wüste?

Hoesl: Nachdem wir beide Arbeiterkinder sind, hat uns dieses Thema immer begleitet. Wir machen uns ja aber nicht lustig über die Superreichen, sondern über uns selbst, die 99 Prozent, die die Dinge nicht in die Hand nehmen. Wir nehmen die Milliardäre ernst. Es geht darum, Leute zu irritieren, wütend zu machen und diese Wut in die richtige Richtung zu lenken. Wenn wir alle aufstehen und sagen, dass sich die Steuergesetze ändern müssen, dann werden sie sich ändern. Wenn die EU die Steueroasen für beendet erklärt, dann sind sie am Ende.

Niemann: In "Saltburn" etwa bringt der arme Protagonist die reiche Familie um. Das ist vielleicht unterhaltsam, entspricht aber nicht der Realität. Und wir nennen unsere Arbeit Hyperrealismus, nicht Satire, weil wir versuchen, die Realität nur ein klein bisschen zu übertreiben. Deshalb bringt es nichts, die Fantasie zu nähren, dass das Motto "Kill The Rich" leicht umzusetzen wäre. Es ist nämlich umgekehrt: "The Rich Kill Us".

APA: Zugleich schildern Sie Ihre Superreichen keineswegs eindimensional. Die sind über weite Strecken eigentlich sympathisch, weder homophob noch rassistisch. Sie sind klassistisch...

Niemann: Das wollten wir nicht, denn das entspricht der Realität. Wir haben in den Jahren der Recherche für unseren Dokumentarfilm "Davos" viele Superreiche kennengelernt, und davon waren viele belesen, polyglott, Familienmenschen, hatten das Herz am rechten Fleck. Da gibt es die Oberfläche der schönen Welt, die natürlich auch uns fasziniert. Diese Menschen sind alle sympathisch, gewinnend und haben es nicht nötig, homophob oder rassistisch zu sein. Das sind Menschen, die Kritik an ihrer eigenen Klasse sehr gut damit vereinen können, ihren Lebensstil nicht zu ändern. Die haben das schöne Leben - da muss man kein Bösewicht im engeren Sinne sein.

Hoesl: Es gibt natürlich auch diejenigen, die trotzdem Bösewichte sind. Denen würde man es aber nie anmerken. Das findet sich hinter der Fassade.

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Ulrich Seidl Filmproduktion/Elsa Okazaki

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