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Referendum in Moldau: EU-Kurs mit Mehrheit knapp angenommen

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Sandu unzufrieden mit Wahlergebnis
©APA/APA/AFP/DANIEL MIHAILESCU
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In der Ex-Sowjetrepublik Moldau hat die Bevölkerung bei einem Referendum mit hauchdünner Mehrheit für die Verankerung des EU-Kurses in der Verfassung gestimmt. Nach Auszählung aller Wahlzettel stimmten laut Wahlkommission 50,46 Prozent der Teilnehmer dafür, einen proeuropäischen Kurs unabänderlich als strategisches Ziel in der Verfassung festzuschreiben. Das waren 751.235 Ja-Stimmen gegen 737.639 Nein-Stimmen (49,54 Prozent).

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Laut moldauischen Medien stimmten die Menschen in der Mehrheit der Regionen im Land gegen die Verfassungsänderung. Den Ausschlag in die andere Richtung gaben die Hunderttausende Moldauer, die im Ausland leben - vor allem in der EU. Die prowestliche Staatschefin Maia Sandu dankte der Diaspora, die die Abstimmung gerettet habe.

Moldau, mit 2,5 Millionen Einwohnern, ist zwischen dem Westen und Russland traditionell hin- und hergerissen. Das verarmte Agrarland, gelegen zwischen EU- und NATO-Mitglied Rumänien und der von Russland angegriffenen Ukraine, ist ein EU-Beitrittskandidat.

Die 52 Jahre alte Sandu, die auch die Präsidentenwahl im ersten Wahlgang gewann, hatte mit einem deutlich besseren Ergebnis gerechnet. Sie ging nach Meinung von Beobachtern nicht gestärkt aus dem Wahlsonntag hervor.

Das Referendum ist zwar gültig, muss aber durch das Verfassungsgericht bestätigt werden. Die Richter könnten es etwa wegen Unregelmäßigkeiten noch kippen. Wenn sie es bestätigen, wird die Verfassung geändert.

Sandu kam bei der zeitgleich abgehaltenen Präsidentenwahl unter den insgesamt elf Kandidaten zwar als erste durch Ziel, verfehlte aber die absolute Mehrheit und muss deshalb in zwei Wochen in eine Stichwahl. Sandu bat um die Stimmen jener Wähler, die für einen der vier anderen proeuropäischen Kandidaten gestimmt hätten.

Die russische Regierung zweifelte die Resultate an. Die Abstimmungen in Moldau seien nicht frei gewesen, und die Ergebnisse zeigten mit zunehmender Auszählung einen "schwer zu erklärenden" Anstieg der Stimmen zugunsten von Präsidentin Sandu und der Europäischen Union, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag. Peskow bezeichnete den Wahlkampf in Moldau als "unfrei" und beklagte, dass der Opposition die Möglichkeit zum Wahlkampf verwehrt worden sei und sie von den Behörden unterdrückt worden sei. "Sie wurden verfolgt, in Gefängnisse gesteckt, verhört, durften nicht ins Land, die Medien wurden geschlossen, das Internet wurde blockiert und so weiter", ergänzte Peskow. Internationale Organisationen und Regierungen übten dagegen Kritik an der Führung in Moskau und warfen Russland Einmischung vor. Sowohl die EU als auch Russland ringen um Einfluss in der ehemaligen Sowjetrepublik.

Die doppelte Abstimmung sei gut organisiert gewesen - gerade auch angesichts der versuchten Einflussnahme von außen, befanden hingegen Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Kritisiert wurden aber kurzfristige Gesetzesänderungen vor der Wahl. Das Werben der moldauischen Führung für ein Ja zur EU, verknüpft mit Sandus Kampf um eine Wiederwahl, habe für andere Kandidaten einen Nachteil bedeutet, teilten die OSZE-Beobachter mit.

Die Beteiligung an der Abstimmung über das Präsidentenamt lag nach Angaben der Wahlkommission bei 51,68 Prozent. Nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Wahlzettel kam Sandu auf rund 42,3 Prozent der Stimmen. Bei der zweiten Runde am 3. November wird der frühere Generalstaatsanwalt Alexandru Stoianoglo ihr Gegner sein. Er erhielt 26 Prozent der Stimmen und trat für die traditionell starke Sozialistische Partei des prorussischen Ex-Präsidenten Igor Dodon an.

Es gebe Beweise, dass 300.000 Stimmen gekauft worden seien, sagte Sandu bei einem nächtlichen Auftritt in der Hauptstadt Chisinau. Dutzende Millionen Euro seien von kriminellen Gruppierungen im Zusammenspiel mit ausländischen Mächten ausgegeben worden, um Lügen und Propaganda zu verbreiten. "Wir haben es mit einem beispiellosen Angriff auf die Freiheit und die Demokratie in unserem Land zu tun", sagte Sandu.

Details nannte die Staatschefin nicht. Allerdings hatten moldauische Sicherheitskräfte schon vor der Abstimmung Wählerbestechung und prorussische Desinformation aufgedeckt. Der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, Peter Stano, sprach am Montag in Brüssel von einer gezielten russischen Kampagne zur "Einschüchterung" und "Einmischung" in dem südosteuropäischen Land. Russland fordere Beweise für die von Sandu erhobenen schweren Anschuldigungen, sagte hingegen Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Die SPÖ-Nationalratsabgeordnete Petra Bayr, die eine Wahlbeobachtermission der Parlamentarischen Versammlung des Europarats leitete, warnte davor, dass Desinformationskampagnen, illegale Finanzierung und Stimmenkauf eine Bedrohung für den demokratischen Fortschritt in Moldau. Auch wenn es am Wahltag keine gröberen Unregelmäßigkeiten gegeben habe, fordere man die moldauischen Behörden auf, ihre Bemühungen zur Aufklärung der Bürger über diese Bedrohungen im Vorfeld der Parlamentswahlen im nächsten Jahr zu verstärken.

"Trotz russischer Einschüchterungen, Bestechungsversuche und Desinformationskampagnen haben die Menschen in Moldau ihre Entscheidung getroffen: Ihre Zukunft liegt in Europa, nicht im "Russkij mir", betonte der NEOS-EU-Abgeordnete Helmut Brandstätter. Jetzt liegt es an der EU, Moldau nicht nur symbolisch, sondern auch tatkräftig auf ihrem Weg nach Europa zu unterstützen. Auch Lena Schilling, EU-Abgeordnete der Grünen, begrüßte den positiven Ausgang des Referendums. "Das ist ein wichtiger Schritt zur Abkehr von Putin (Russlands Präsident Wladimir, Anm.) und seiner Einflussnahme auf das Land. Besonders wichtig ist und bleibt die Unterstützung der demokratischen Zivilgesellschaft. Sie tragen einen essenziellen Teil zu den notwendigen Reformen bei", so Schilling.

Als einflussreicher Akteur in der moldauischen Politik gilt neben Russland der ins Ausland geflüchtete moskautreue Oligarch Ilan Shor. Er wurde in seiner Heimat wegen Geldwäsche und Betrug in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt und ist zur Fahndung ausgeschrieben. Russischen Staatsmedien zufolge warf Shor seiner Rivalin Sandu vor, bei der Wahl gescheitert zu sein - Moldau brauche die EU nicht.

Russland wirft der Europäischen Union vor, mit Versprechen in Milliardenhöhe Einfluss auf die Abstimmung genommen zu haben. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bei einem Besuch in Chisinau und einem Treffen mit Sandu kurz vor der Abstimmung 1,8 Milliarden Euro an Fördergeld in Aussicht gestellt. Die Finanzspritze soll erklärtermaßen vor allem das Wachstum ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen sowie Dienstleistungen und Infrastruktur verbessern.

Von der Leyen zeigte sich erleichtert über das Ergebnis des EU-Referendums. Das mit russischen Beeinflussungsversuchen konfrontierte Land habe gezeigt, dass es unabhängig und stark sei und eine europäische Zukunft anstrebe, kommentierte sie im sozialen Netzwerk X.

Auch am Wahlsonntag gab es teils scharfe Kritik daran, dass Sandu die Präsidentenwahl und das EU-Referendum miteinander verknüpfte. Mehrere Politiker von Parteien aus dem russlandfreundlichen Lager boykottierten das Referendum und sprachen von einem rechtswidrigen Prozess. "Die Gespräche mit der Europäischen Union sollen fortgesetzt werden, doch die Entscheidung über eine Mitgliedschaft in der EU sollten erst nach dem Abschluss dieser Verhandlungen getroffen werden, wenn alle Bedingungen klar sind", sagte Ex-Präsident Dodon. Erst dann sei ein Referendum möglich.

Das Bewerberfeld bei der Präsidentenwahl dürfte auch deshalb so groß gewesen sein, weil viele Menschen mit Sandus Politik unzufrieden sind. Sie sehen seit ihrer Wahl 2020 zu wenig Fortschritte - etwa im immer wieder proklamierten Kampf gegen Korruption. Weil sie einen Verzicht auf russisches Gas durchsetzte, stiegen die Energiepreise, was viele Verbraucher ärgert.

Um Reformen umzusetzen, ist Sandu auf eine Mehrheit im Parlament angewiesen, die sie derzeit noch hat. Der politische Machtkampf in Moldau könnte seinen Höhepunkt bei der Parlamentswahl im kommenden Sommer erreichen. "Für eine starke, politikgestaltende Rolle als Präsidentin ist ein loyaler Premierminister und eine Mehrheit im Parlament notwendig", sagte Expertin Brigitta Triebel von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Chisinau. Sie erwartet nicht, dass Russlands versuchte Einflussnahme in Moldau nachlassen wird.

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