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Nach Pager-Angriffen: Warten auf die Reaktion der Hisbollah

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Hochbetrieb in libanesischen Spitälern nach Explosionen
©APA/APA/AFP/-
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Nach einer offensichtlich koordinierten Attacke auf technische Geräte der Hisbollah mit mindestens 37 Toten und mehr als 3.000 Verletzten besteht die Sorge vor einem großen Angriff der libanesischen Miliz auf Israel. Nach den Explosionen Hunderter Pager und Funkgeräte, hinter denen Militär- und Geheimdienstexperten Israel vermuten, könnte die Hisbollah erneut Ziele in dem verfeindeten Nachbarland angreifen. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah wollte am Abend eine Rede halten.

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Zuvor hieß es, allein am Dienstag habe es rund 2.800 Verletzte gegeben. Die Zahl wurde vom Gesundheitsministerium "nach eingängigen Untersuchungen" herunter korrigiert. Einige der Verwundeten hätten sich bei verschiedenen Krankenhäusern vorgestellt, bevor sie behandelt werden konnten. Daher sei es zu Doppelungen gekommen. Die Zahl der Verletzten vom Dienstag beliefe sich nach derzeitigem Stand auf 2.323, sagte der Minister. Am Mittwoch habe es 608 Verletzte gegeben.

Die vom Iran unterstützte Hisbollah macht Israel verantwortlich und kündigte Vergeltung an. Israel äußerte sich bisher nicht zu den Explosionen im Nachbarland.

Die Hisbollah greift seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast einem Jahr Ziele in Israel an, nach eigener Aussage aus Solidarität mit der islamistischen Hamas. Sie will die Angriffe erst bei einer Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel einstellen. Der fast tägliche Beschuss hat sich zu einem niedrigschwelligen Krieg entwickelt. Im Libanon wurden etwa 600 Menschen getötet, die meisten davon Hisbollah-Mitglieder.

Bei Raketenbeschuss aus dem Libanon wurden am Donnerstag in Nordisrael Medienberichten zufolge mindestens acht Menschen verletzt. Zwei weitere Verletzte habe es zudem bei einem Drohnenangriff aus dem Libanon im Nordwesten Israels gegeben, meldeten mehrere israelische Medien übereinstimmend. Insgesamt seien bei beiden Vorfällen zwei Personen schwer verletzt worden.

Israels Armee teilte mit, in der Nacht erneut Stellungen der Hisbollah in mehreren Orten im Libanon attackiert zu haben. Darunter sei ein Waffenlager gewesen. Das Militär bestätigte zugleich, dass am Morgen Geschosse aus dem Libanon Richtung Israel gefeuert worden seien. Israels Armee meldete zudem zwei Fluggeräte aus dem Libanon, die auf israelischem Gebiet abgestürzt seien.

Bei einem möglichen größeren Angriff der Hisbollah auf Israel würde die ranghohe Führung der Miliz eine "gemäßigte Vergeltung" wählen, sagte indes David Wood, Libanon-Experte der Crisis Group. "Diese Haltung deckt sich mit der bewährten Herangehensweise der Hisbollah: den Druck auf Israel erhalten bis zu einer Waffenruhe in Gaza und zugleich die Risiken eines voll umfassenden Kriegs im Libanon gering halten."

Bei der Wahl ihrer Reaktion steht die Hisbollah - mit schätzungsweise 150.000 Raketen der stärkste nicht-staatliche Akteur in der Region - erneut vor einem Dilemma. Sie will das Prinzip der Abschreckung gegenüber dem Erzfeind Israel erhalten, ist zu einem so komplexen Angriff wie mit explodierenden Pagern und Funkgeräten aber nicht fähig. Bis sie einen ihrer Ansicht nach angemessenen Angriff auf Israel beginnt, könnten deshalb Wochen vergehen.

Die in den 1980er Jahren gegründete Hisbollah ("Partei Gottes") verfügt ihrem Generalsekretär Nasrallah zufolge über 100.000 Mitglieder. Andere Schätzungen sprechen dagegen eher von halb so vielen Kämpfern. Sie hat großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Die Hisbollah will einen neuen großen Krieg mit Israel wie zuletzt 2006 aber vermeiden. Die Mehrheit der Libanesen betrachtet die politische Macht der Hisbollah in dem kleinen Mittelmeerland mit Unmut.

Israels Verteidigungsminister kündigte eine "neue Phase" des Kriegs an. "Der Schwerpunkt verlagert sich nach Norden", sagte Yoav Galant. "Wir stellen Kräfte, Ressourcen und Energie für den nördlichen Bereich bereit". In der Nacht habe er auch mit seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin über die Einsätze im Süden und Norden gesprochen, teilte Galants Büro mit. Schwerpunkt sei die Verteidigung gegen die Bedrohung der Hisbollah im Norden Israels.

Berichten zufolge verlegte die israelische Armee auch eine Einheit, die monatelang im Gazastreifen im Einsatz war, an die Grenze zum Libanon. Sie soll israelischen Medien zufolge aus rund 10.000 bis 20.000 Soldaten bestehen. Die Einheit war Ende August aus der Stadt Khan Younis abgezogen worden.

Im Gazastreifen löste die Nachricht über die Verschiebung des Kriegs-Fokus der Israelis Skepsis aus. Israels Armee setze ihre Einsätze in dem Küstengebiet noch immer fort, berichteten Anrainer der Deutschen Presse-Agentur. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde werden weiterhin viele Palästinenser getötet. Menschen im Gazastreifen sagen, sie hofften, dass das Militär die Kämpfe nicht nur reduziert, sondern vollständig beendet.

Kürzlich hatte Israels Sicherheitskabinett neben der Befreiung der Geiseln aus dem Gazastreifen und der Zerstörung der Hamas auch ein weiteres Kriegsziel festgelegt: die Rückkehr geflüchteter israelischer Bürger in das Grenzgebiet. Seit Beginn der fast täglichen Gefechte zwischen Israel und der Hisbollah sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) rund 110.000 Menschen aus dem libanesischen Grenzgebiet geflohen. Auf israelischer Seite sind es Regierungsangaben zufolge rund 60.000.

In Israel wächst der Druck auf die Führung, die Rückkehr der Anrainer in den Norden zu ermöglichen. Viele Israelis nehmen den andauernden Beschuss aus dem Nachbarland, der auch in Israel immer wieder Opfer fordert, als untragbar wahr. Teile Israels seien nicht mehr bewohnbar, ihr Land habe sich praktisch verkleinert, erzählen Menschen in Tel Aviv.

Als Schlüssel, um auch den Konflikt in Nordisrael zu befrieden, galt lange ein Abkommen mit der Hamas über ein Ende des Gaza-Kriegs. Die Hisbollah im Libanon handelt eigenen Angaben nach aus Solidarität mit der Hamas und will ihre Angriffe auf Israel erst bei Erreichen einer Feuerpause im Gazastreifen aussetzen. Da ein Deal mit der Hamas seit Monaten nicht zustande kommt, will Israel mit militärischem und diplomatischem Druck erreichen, dass sich die Hisbollah wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht - so wie es eine UN-Resolution vorsieht.

Israels Armee teilte mit, in der Nacht erneut Stellungen der Schiitenorganisation in mehreren Orten im Libanon attackiert zu haben. Darunter sei ein Waffenlager gewesen. Das Militär bestätigte zugleich, dass am Morgen Geschosse aus dem Libanon Richtung Israel gefeuert worden seien. Israels Armee meldete zudem zwei Fluggeräte aus dem Libanon, die auf israelischem Gebiet abgestürzt seien.

Ob ein größerer Militäreinsatz im Libanon, vielleicht auch mit Bodentruppen, dem Ziel dient, darüber gibt es dem Vernehmen nach innerhalb der politischen und sicherheitspolitischen Führung in Israel Meinungsverschiedenheiten. Im Libanon ging nach den Explosionswellen am Dienstag und Mittwoch die Sorge vor weiteren Attacken um. Reisende dürfen ab sofort keine Pager oder die als Walkie-Talkie bekannten Funkgeräte mehr mit an Bord eines Flugzeuges nehmen. Die Geräte würden am Flughafen beschlagnahmt, teilte die Behörde für zivile Luftfahrt mit.

Menschen in Beirut und anderen Teilen des Landes, wo es zu den Explosionen kam, berichteten der Zeitung "L'Orient Le Jour" von schrecklichen Szenen. "Ich sah Blutpfützen überall, Finger und Hand-Fetzen am Boden", sagte eine. Ein anderer berichtete von "Fingerspitzen, zerrissener Kleidung und Organen am Boden". Eine Frau im Süden sagte der Zeitung, die Attacke sei ein "Angriff auf den gesamten Libanon" gewesen.

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