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"Jedermann"-Regisseur Carsen setzt auf "Kraft des Domes"

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Regisseur Carsen holt für "Jedermann"-Szene 90 Leute auf die Bühne
©APA/APA/SF/NEUMAYR/LEO
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Am Dienstagabend findet bei den Salzburger Festspielen der erste Probedurchgang für die Neuinszenierung des "Jedermanns" 2024 statt. Der für die Produktion gewonnene kanadische Regisseur Robert Carsen hat am Vormittag in einem Pressegespräch erste Details zur Neuproduktion bekannt gegeben und über seine Interpretation des Stücks gesprochen. Eine minimalistische Aufführung dürfte dabei nicht bevorstehen: In einer Feierszene sollen rund 90 Personen auf der Bühne stehen.

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Viel zu lange sei der "Jedermann" in halb folkloristischer Anmutung über die Bühne gegangen, sagte Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser zur Einleitung. Darum habe man den Entschluss gefasst, einen Neuanfang zu wagen und ein neues Team zu bitten, sich des Stücks anzunehmen. Und wie Regisseur Carsen gleich darauf erklärte, sei er mit dem Stoff durchaus vertraut. "Ich habe den Jedermann als mittelalterliche Moralität im Zuge meiner eigenen Schauspielausbildung studiert. Aber ich hätte nie gedacht, ihn je zu inszenieren."

Über das Alter des Stoffs, die Tradition der jährlichen Aufführung bei den Salzburger Festspielen und die vielen Regisseure, die sich vor ihm schon am Stück versucht haben, denke er dabei nicht nach. Den "Jedermann" seines Regie-Vorgängers Michael Sturminger (2017 bis 2023) habe er nicht gesehen. "Ein Regisseur sollte zwar das Rad stets neu erfinden. Aber ich will keine Neuerung nur um der Neuerung willen. Die Vergangenheit sollte die Gegenwart ermutigen, nicht blockieren."

Er könne sich kein einziges Stück vorstellen, das so eng mit einer Stadt zusammenhängt, wie der "Jedermann" mit Salzburg, betonte Carsen. Eine besondere Rolle falle dabei dem Dom zu. "Wir wollen die Kraft des Gebäudes nutzen. Darum habe ich mit meinem Ko-Bühnenbildner Luis Carvalho beschlossen, den Dom als Kulisse zu nutzen, anstatt ein anderes Bühnenbild vor ihm aufzubauen. Es ist, als wäre der Dom selbst eine weiter Figur."

Zu viel Information zu seiner Inszenierung wollte Carsen dann aber doch nicht verraten. In einer Szene - "es ist eine große Party" - sollen aber insgesamt 90 Personen auf der Bühne stehen. "Details wie das Kleid der Buhlschaft sind Teil des Spiels, genauso wie Jedermann-Rufer, die rufen, und Glocken, die läuten. Das steht im Text. Das müssen wir haben. Der Fokus wird aber auf dem liegen, über das in unserer Gesellschaft nicht gesprochen wird: dem Tod."

Einer der Gründe für die Popularität des Stück sei, dass alle Menschen wissen, dass sie sterben werden. "Diese Tatsache bestimmt unser Leben. Das verbindet uns alle, das ist aber für viele schwer zu akzeptieren. Der Tod ist etwas, was anderen Menschen widerfährt, nicht uns." Jede Szene in Hofmannsthals Stück erinnere daran, wie kurz das Leben ist. Und Carsen zeigte sich überzeugt, "dass es im Jedermann eher darum geht, wie man lebt, als darum, wie man stirbt."

Hofmannstahl spiele durch, was passiere, wenn ein Mann, der jenseits des Materiellen keine Werte hat, seinen Irrtum erst kurz vor dem Tod erkennt. "An dieser Stelle kommen die ganzen Vorstellungen von Reue, Vergebung und Erlösung zum Tragen." Der, der bisher nur an sein Geld und seinen Status geglaubt hat, erkenne schließlich, dass er sich zuerst selbst vergeben müsse.

Hofmannsthal sei besorgt über den zunehmenden Materialismus gewesen, über die Geldbesessenheit in der Gesellschaft, in der er sich bewegte, und dem damit einhergehenden Verfall der geistigen Werte. "Eine der ersten Fragen, die ich mir gestellt habe, war daher, woher kommt Jedermanns Geld?" Beim Rosenkavalier Hofmannsthals gebe es Hinweise, dass der frisch geadelte Baron von Faninal sein riesiges Vermögen als Waffenhändler gemacht hat. "Beim Jedermann fehlten diese Hinweise. Für mich ist Jedermann klar ein Neureicher. Er hat - entschuldigen Sie den Ausdruck - den Arsch voll Geld".

Ob der "reiche Mann" nun ein René Benko oder ein Sam Bankman-Fried ist, ob er sein Geld mit Krypto-Währungen oder als Investment-Banker gemacht hat, das sei dabei nicht so wichtig. "Klar ist, er hat sein Geld sehr schnell gemacht." Dabei wolle er als Regisseur versuchen zu erklären, wie "Jedermann" denkt: "Die Frage ist, wie würde jeder einzelne von uns agieren, wenn er diese Menge Geld hätte."

Wichtig sei für ihn, dass sich das Publikum mit dem "Jedermann" identifiziere. "Seine Wertvorstellungen sind falsch, aber er weiß es - anders als die Zuseher - nicht. Er entdeckt das erst später im Stück, wo er zu ahnen beginnt, wie ein sinnvolles Leben aussehen könnte." Er sei einmal gefragt worden, ob der "Jedermann" ein gutes Stück sei, sagte Carsen heute und meinte: "Ich halte es für ein starkes Stück. Ja, sogar ein großartiges Stück."

(S E R V I C E - Salzburger Festspiele: "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal, Regie, Bühne und Licht: Robert Carsen, Bühne und Kostüm: Luis F. Carvalho, Choreografie: Rebecca Howell. Premiere am 20. Juni auf dem Domplatz, bei Schlechtwetter im Großen Festspielhaus. 13 weitere Vorstellungen bis 28. August. )

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