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EU-Kommission will Entwaldungsverordnung verschieben

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Die EU-Kommission will die umstrittene Entwaldungsverordnung verschieben: Sie schlug am Mittwoch in Brüssel eine zusätzliche Übergangsfrist von zwölf Monaten vor, "um eine ordnungsgemäße und wirksame Umsetzung zu gewährleisten", so die Kommission in einer Mitteilung. Auch Agrarminister Norbert Totschnig (ÖVP) hatte immer wieder darauf bestanden, dass die Umsetzung verschoben wird. Sie sollte mit 1. Jänner 2025 gelten. Umweltschützer treten für die Verordnung ein.

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Die EU-Entwaldungsverordnung soll verhindern, dass Produkte auf den europäischen Markt kommen, für deren Herstellung es zu Entwaldung kam - also eine Waldfläche dauerhaft in Agrarfläche umgewandelt wurde. Als betroffene Waren werden neben Holz auch Rinder oder Soja genannt. Bauern oder Waldbesitzer müssten demnach eine Sorgfaltserklärung inklusive Geodaten abgeben, bevor sie ein Produkt auf den Markt bringen können. Für kleine und mittlere Unternehmen gibt es aber Ausnahmeregelungen.

Zudem sieht die Verordnung vor, dass Länder von der Kommission in unterschiedliche Risikokategorien (mit Bezug auf Entwaldung; Anm.) eingeteilt werden. Das Maß an Regulierung hängt dann von der jeweiligen Kategorie ab. Die Brüsseler Kommission hat die EU-Staaten aber noch nicht in die Risikogruppen eingeteilt. Zur besseren Information der Interessentragenden wurden heute auch Leitlinien veröffentlicht.

Wenn das Europäische Parlament und der Rat (der Mitgliedstaaten, Anm.) der Kommission folgen, würde das Gesetz für große Unternehmen am 30. Dezember 2025 und für Kleinst- und Kleinunternehmen am 30. Juni 2026 in Kraft treten. Mehrere globale Partner hätten drei Monate vor dem geplanten Umsetzungstermin wiederholt Bedenken hinsichtlich ihres Vorbereitungsstands geäußert, begründet die Kommission ihre Entscheidung in einer Aussendung. Die verlängerte Frist stelle "in keiner Weise die Ziele oder den Inhalt des Gesetzes in Frage".

In der Bundesregierung gingen die Meinungen der beiden Koalitionspartner ÖVP und Grüne mit Bezug auf die EU-Entwaldungsverordnung auseinander. Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) hielt Anfang des Jahres in einem Brief an die EU-Kommission fest, dass es sich bei Totschnigs Forderung nicht um die offizielle Position Österreichs handle. Totschnig habe sich wiederholt in Schreiben an die EU-Kommission (gemeinsam mit Wirtschaftsminister Martin Kocher) und im EU-Rat für Landwirtschaft und Fischerei für eine Verschiebung und Vereinfachung eingesetzt, betont sein Ministerium heute in einer Aussendung.

"Heute ist ein großer Erfolg gelungen: Die zurecht massiv kritisierte EU-Entwaldungsverordnung wird um ein Jahr verschoben", begrüßt Totschnig die Verschiebung. "Es ist uns ein großes Anliegen, die globale Entwaldung wie im Amazonas Regenwald zu stoppen. Gleichzeitig dürfen Länder ohne Entwaldungsrisiko, wie Österreich, nicht mit einer unverhältnismäßigen Regulierungswut und unnötigen Auflagen benachteiligt werden."

Alexander Bernhuber, Agrar- und Umweltsprecher der ÖVP im Europaparlament, begrüßt das "rechtzeitige Einlenken der EU-Kommission" in einer Aussendung. Aufgrund des weitreichenden Anwendungsbereichs, der Produkte wie Holz, Soja, Kakao, Kautschuk, Ölpalmen und Rinder umfasst, hätten die umfangreichen Nachweispflichten einen untragbaren bürokratischen Aufwand verursacht. "Hinzu kommt, dass die Einstufung der Länder in Risikokategorien bislang aussteht. Das benachteiligt besonders Länder mit geringem Entwaldungsrisiko, wie Österreich. Die Verschiebung um zwölf Monate ist daher absolut notwendig", sagt Bernhuber.

Bauernbund-Präsident Georg Strasser (ÖVP) dankt Totschnig und Bernhuber: "Es ist ihnen erfolgreich gelungen, Allianzen zu schmieden und großen Schaden von unseren Bäuerinnen und Bauern vorerst abzuwenden."Niederösterreichs Bauernbund-Direktor Paul Nemecek dankte Bernhuber für seinen Einsatz:"Gerade im Bereich der Land- und Forstwirtschaft gilt aufgrund des hochsensiblen Charakters und der systemrelevanten Einstufung besondere Vorsicht." Das "Bürokratie-Monster Entwaldungsverordnung geht zurück an den Start".

"Dass die EU-Kommission vorgeschlagen hat, die EU-Entwaldungsverordnung zu verschieben, ist unausweichlich, um ein absolutes Chaos in den europäischen Forst-, Holz-, Agrar- und Lebensmittel-Wertschöpfungsketten zu vermeiden", betont Landwirtschaftskammer Österreich-Präsident Josef Moosbrugger, der EU-Parlament und Rat auffordert, nun raschest zuzustimmen.

Für Herbert Jöbstl, Obmann des Fachverbands der Holzindustrie, bleiben trotz einer verlängerten Umsetzungsphase die Kernprobleme der Verordnung bestehen: "Natürlich unterstützt die Holzindustrie das Ziel, die globale Entwaldung zu stoppen. (...) Die Wertschöpfungskette Holz wurde nicht verstanden." "Die Waldfläche in der EU hat seit 1990 um 14 Millionen Hektar zugenommen. Von einem Entwaldungsproblem kann in der EU daher keine Rede sein", betont auch Konrad Mylius, Präsident der Land&Forst Betriebe Österreich.

Auch der österreichische Lebensmittelhandel und die Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) begrüßen die Aufschiebung. Zudem sollte der Aufschub genutzt werden, um die Verordnung noch einmal zu überarbeiten, heißt es in einer Aussendung der Bundessparte.

SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl, Mitglied im Umweltausschuss zeigt sich hingegen kritisch:"Ziel ist es, den Kahlschlag in vielen europäischen Wäldern aus Profitgier zu stoppen. Die Entscheidung der Kommission, die Regelung jetzt weiter aufzuschieben, ist ein schwerer Fehler." Thomas Waitz, EU-Abgeordneter und Landwirtschaftssprecher der Grünen, sagt: "Wälder sind unsere Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise. Mit der sehr großzügigen Verschiebung der EU-Entwaldungsverordnung gibt es keine Ausreden mehr für alle Unternehmen, diese bis nächstes Jahr nun zügig umzusetzen."

Die Umweltschutzorganisation WWF Österreich bewertet die beantragte Verschiebung als völlig falsches Signal: "Die geplante Verschiebung wäre ein unnötiger Kniefall vor der Forstlobby und eine kritische Aufweichung des Green Deals. Denn entwaldungsfreie Lieferketten sind ein wichtiger Hebel, um die importierte Naturzerstörung für unseren Konsum zu reduzieren und damit der Klimakrise und dem Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken", heißt es in einem Statement.

"Es ist skandalös, dass die laufende Blockadehaltung einiger Mitgliedstaaten - allen voran Österreich - nun dazu geführt hat, dass ein bereits beschlossenes EU-Umweltschutzgesetz sabotiert wird. Nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus demokratiepolitischer Sicht wäre die Verschiebung eine Katastrophe", kritisiert auch Ursula Bittner, Greenpeace-Waldexpertin. "Die Auswirkungen der Klimakrise waren selten so deutlich wie heuer und immer noch werden Menschen durch Abholzungsprojekte gewaltsam vertrieben", sagt Maria Hammer, Südwind-Sprecherin für Waldschutz.

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