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APA: Weshalb erachteten Sie es als angemessen, einen lebenden Politiker zum Helden oder "Helden" Ihres Filmes zu machen? Gewöhnlich würde man doch das Abtreten der jeweiligen Person von der politischen Bühne abwarten.
Patryk Vega: Nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt hängen Zukunftsszenarien mit Wladimir Putin zusammen. Meine Idee bestand darin, Erläuterungen zu geben, die ihn verständlich und lesbar machen. So kann man sich auf eine Zukunft vorbereiten und weniger Angst dabei haben. Damit will ich der Menschheit mehr Frieden bringen.
APA: In einer der Schlussszenen Ihres Film suggerieren Sie, dass Putin sich noch nicht endgültig zwischen Christen- und Heidentum, zwischen Gut und Böse entschieden hat. Dass alles vielleicht auch noch positiv ausgehen könnte. Das verwundert doch.
Vega: Als Katholik glaube ich daran, dass jede Person zumindest in einem ganz kleinen Ausmaß gute Seiten hat. Niemand ist völlig auf der dunklen Seite - auch nicht Putin. Aber wenn man so viele Jahre lang mit dunklen Mächten zusammengearbeitet hat, ist es schwer, diese "Straße des Verderbens" wieder zu verlassen. Aber ich will glauben, dass seine Taufe vor seiner Zeit als Präsident (in Vegas Interpretation in der Grabeskirche von Jerusalem, Anm.) ein Augenblick dieser guten Seiten war und nicht bloß PR. Und Menschen lieben Geschichten über Diktatoren, die wie alle anderen irgendwann auch ein unschuldiges Kind waren. Irgendwann läuft dann etwas schief. Im Fall von Putin wurde er von seinem Stiefvater geschlagen und von seiner Mutter zu einem Onkel nach Leningrad geschickt.
APA: Das ist freilich ein sehr umstrittener Aspekt einer alternativen Biografie, die auch relevante oppositionelle Historiker in Russland anzweifeln. Glauben Sie wirklich daran?
Vega: Ich bin mir da sicher. Das grundlegende Problem besteht aber in Folgendem: Wenn ich einen Film über einen US-amerikanischen Politiker drehen würde, würde ich alle Informationen in Bibliotheken finden. In Russland sind aber nur jene Dinge gezeigt worden, die man auch zeigen wollte.
APA: In ihrem Film tauchen wiederholt zwei Tote aus Putins Vergangenheit auf. Ein Bub aus den 60er-Jahren und eine junge Frau aus den 80ern flüstern Putin und anderen Figuren zu, wie sie zu agieren haben. Weshalb magischer Realismus?
Vega: Ich war mir sicher, dass die historische Schicht alleine nicht ausreichen würde, um Putin zu verstehen. Voiceover im Kino ist schrecklich. Deshalb gab es die Entscheidung, als zweite Schicht die metaphysische Welt Russland darüber zu legen. Zudem verwende ich die biblische Geschichte von der Auseinandersetzung zwischen guten und bösen Mächten. Das ist eine universelle Wahrheit - das sehen wir seit Tausenden Jahren, und dieser Konflikt spielt sich in jedem von uns ab.
APA: Obwohl Sie ein polnischer Regisseur sind, kommt ihr Heimatland praktisch nicht vor - mit Ausnahme einer Szene mit Flüchtlingen, die sich an der polnisch-belarussischen Grenze abspielt. Warum so wenig Polen?
Vega: Putin ist ein globales Thema. Meine Idee war, dass ich als eine Person, die den Kommunismus erlebt hat und sich stundenlang anstellen musste, um Fleisch zu kaufen, ein Gefühl für russische Kultur habe. Gleichzeitig existiere ich aber auch in der audiovisuellen Kultur des Westens. Ich glaube, dass ich die Kultur Russlands in die Sprache des Westens übersetzen kann. Dabei ist das natürlich kein Film für russische Staatsbürger, sondern für den Rest der Welt.
APA: Welche Botschaft sollen die Betrachter und Betrachterinnen des Films mit nach Hause nehmen?
Vega: Sie sollten verstehen, dass Putin nicht verrückt ist, er ist verdorben, aber auch schwach. Unsere Strategie in Europa und auch in der Welt, ihm Zugeständnisse zu machen ist, ist dabei die schlechtestmögliche. Das führt zu einer noch größeren Aggression. Wir müssen unsere Strategie verändern, sonst wird er in ein paar Jahren wirklich in Europa sein.
APA: Wie hoch war das Budget ihres Films?
Vega: 15 Millionen Dollar.
APA: Und wie viel hätte er gekostet, wenn sie Künstliche Intelligenz nicht hätten verwenden können?
Vega: Für die Anwendung von künstlicher Intelligenz habe ich sicher etwa drei Millionen Dollar ausgegeben. Aber viele Szenen des Films sind auch ohne diese Technologie entstanden. Man kann Putin nicht in ein Studio einladen kann und 20.000 Aufnahmen von ihm machen. Und wenn man versucht, alle Videos mit ihm von der Homepage des Kreml zu nehmen, ist es unmöglich ein KI-Modell zu trainieren, da es zu wenig Daten gibt.
APA: Im Abspann Ihres Filmes werden nur wenige jener Personen konkret benannt, die inhaltlichen Input lieferten. Warum eigentlich?
Vega: Ich kooperierte etwa mit Personen aus Russland, die für uns russische Militäruniformen organisierten. Viele von ihnen haben im Zusammenhang mit möglichen Repressionen nach diesem Film aber Angst und wollten anonym bleiben.
APA: Was denken über Ihre eigene Sicherheit? Habe Sie selbst Angst?
Vega: Ich fürchte mich vor keiner Person. Ich bin Katholik, und das Wichtigste für mich ist meine Beziehung zu Gott.
(Das Gespräch führte Herwig G. Höller/APA)
WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/Herwig G. Hoeller