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In der Urteilsbegründung betonte der Vorsitzende des Schöffengerichts, dass es sich hierbei um einen einzigartigen Fall handeln würde. Rein juristisch sei ein Strafmaß von bis zu zehn Jahren Haft möglich gewesen. Es müssten jedoch mehrere mildernde Umstände berücksichtigt werden, so das Gericht. Ihr im Tatzeitraum großteils noch jugendliches Alter, die freiwillige Rückkehr nach Österreich sowie das reumütige und umfassende Geständnis wären in die Strafzumessung eingeflossen. Auch die beinahe acht Jahre, die die Angeklagte im Gefangenenlager Roj in Syrien verbracht hatte, hätten dazu beigetragen, die Strafe nur bedingt auszusprechen.
Das Gericht ordnete Bewährungshilfe an. Zudem wurde die 26-Jährige per Weisung zur Psychotherapie und einem Deradikalisierungsprogramm verpflichtet. Mit entsprechender Betreuung und Überwachung könne man eine gute Zukunftsprognose stellen, meinte der Richter. Evelyn T. wurde konkret die Betreuung durch die Beratungsstelle Extremismus auferlegt. Die entsprechenden Berichte wolle sich der Vorsitzende in diesem Fall "genauer anschauen".
Die Angeklagte und ihre Verteidigung nahmen das Urteil an. Unter Tränen bedankte sich die Angeklagte für "diese zweite Chance". Der Staatsanwalt gab noch keine Erklärung ab, das Urteil ist somit noch nicht rechtskräftig. Evelyn T. wird nach APA-Informationen vorerst zu ihrer Mutter ziehen und will möglichst bald wieder ihren Sohn bei sich haben, der sich derzeit in Obsorge der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) befindet.
Die 26-Jährige hatte vor Gericht ein umfassendes Geständnis abgelegt. Ihr war in der Verhandlung äußerlich ihre IS-Vergangenheit nicht anzusehen. Sie trug einen schwarzen Blazer, eine dazu passende schwarze Hose und offenes, langes Haar, als sie von der Justizwache in den Saal gebracht wurde. Interessiert blickte sie ins Publikum und nahm Augenkontakt zu anwesenden Angehörigen auf. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. Eine Schulklasse, die der Verhandlung beiwohnen hätte wollen, musste mangels Sitzgelegenheiten abgewiesen werden. Der Prozess wurde von maskierten und schwer bewaffneten Kräften der Justizwache Einsatzgruppe (JEG), mehreren Polizeibeamten und Verfassungsschützern bewacht.
Laut Anklage hatte Evelyn T. Anfang 2015 - sie war damals 16 Jahre alt - in Wien über gemeinsame Bekannte den gebürtigen Afghanen Qais Z. kennengelernt. Sie hegte schon damals Sympathien für die radikalislamische Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS). Qais Z. teilte dieses Gedankengut in ausgeprägter Form. "Er war wirklich stark radikalisiert", meinte Verteidigerin Anna Mair zu Beginn der Verhandlung. Ihre Mandantin habe zu dem um zehn Jahre älteren Mann, der "gut aussehend, charmant" gewesen sei, aufgesehen und ihn nach islamischem Recht geheiratet, sagte Mair. "Er hat mir ein perfektes Leben versprochen", bestätigte die Angeklagte, "er hat gesagt, wir können zum IS gehen." Sie sei davon zunächst "überfordert" gewesen, habe sich dann aber "ein schöneres Leben" ausgemalt: "Ich war wie in einer Grube, aus der ich nicht rausgekommen bin."
Mit 14 war die damals gerade Strafmündige in IS-Kreise geraten. Dabei war sie in einem nicht sehr religiösen Elternhaus aufgewachsen. Ihre Mutter ist Christin, ihr Vater Moslem, die Religion wurde zu Hause aber nicht praktiziert. Mit 15, 16 hätte ihre Mandantin einen ausschließlich aus IS-Sympathisantinnen und -Sympathisanten bestehenden Freundeskreis gehabt, erklärte Verteidigerin Mair. Auf "warnende, kritische Stimmen" hätte sie nicht gehört: "Sie war in einer Blase. Alle, die außerhalb dieser Blase waren, waren der Feind. Dabei sei ihrer Mandantin klar gewesen, "dass der IS eine Terrororganisation ist."
Nach der Trauung reiste der Mann im April 2015 nach Syrien, um sich unter dem Kampfnamen Abu Luqman al-Afghani dem IS anzuschließen. Er absolvierte in weiterer Folge in Mosul im Irak eine Kampfausbildung und war danach Teil des "Bataillons der Fremden", das sich aus ausländischen Foreign Fighters zusammensetzte, die in Nordsyrien aufseiten des IS kämpften. Im September 2015 wurde Abu Luqman al-Afghani vom IS zum Kämpfen nach Ramadi im Irak geschickt.
Laut Anklage versuchte Evelyn T. erstmals Ende April 2015 über die Türkei zu ihrem Mann zu gelangen. Sie wurde jedoch am Flughafen in Istanbul an der Weiterreise gehindert und zurück nach Wien geschickt. Im Juli desselben Jahres bediente sie sich des Reisepasses ihrer Schwester und flog erneut nach Istanbul, um in Syrien mit ihrem Mann zusammenzukommen - das klappte jedoch nicht, weil dieser ihr mitteilte, dass er in den Irak verlegt werden sollte. Am 17. September kehrte Evelyn T. daher zurück nach Österreich und kam für zwei Wochen in Haft - die Behörden hatten von der Reisetätigkeit der IS-Sympathisantin Kenntnis erlangt. Die Angeklagte habe im Gefängnis "die Radikalisierung in keinster Weise abgelegt", sagte der Staatsanwalt.
Wieder auf freiem Fuß, nahm Evelyn T. über Messenger-Dienste wieder Kontakt zu ihrem Mann auf. Dieser kehrte im Mai 2016 nach Syrien zurück und bezog in der Großstadt Raqqa, die als "Hauptstadt des IS" galt, Quartier. Um dort mit seiner Frau zusammenleben zu können, holte Luqman al-Afghani, der seinen Kampfnamen mehrfach änderte, das Einverständnis des Emir des IS-"Immigrationsbüros", Abu Yahya al-Rusi, ein und organisierte ihre Anreise.
Sie sei damals strenggläubige Muslima gewesen, "da tut man, was der Mann sagt", schilderte Evelyn T. dem Gericht. Sie habe außerdem Zuspruch von ihrem Freundeskreis gehabt, sich zu ihrem Mann nach Syrien zu begeben. Evelyn T. gelangte nach Raqqa, indem sie am 19. Juni mit dem Zug nach Athen reiste, sich per Bus an die türkische Grenze begab und sich von Schleppern mit rund 40 weiteren Personen, die zum IS wollten, nach Syrien bringen ließ.
Als sie ihren Mann wiedersah, erholte sich dieser von einer Schussverletzung, die er bei Kampfhandlungen gegen das syrische Regime erlitten hatte. Evelyn T. pflegte ihren Mann, kümmerte sich um den Haushalt - die beiden hatten eine Wohnung in Raqqa zugewiesen bekommen - und brachte am 21. Mai 2017 einen Sohn zur Welt. Evelyn T. habe dort "wie eine Gefangene gelebt", betonte Verteidigerin Mair: "Sie durfte nur vollverschleiert und in Begleitung ihres Mannes das Haus verlassen."
"Es war Gefängnis. Es hat mir nicht gefallen. Ich habe mich mehr im Gefängnis gefühlt als in Österreich", bestätigte die Angeklagte. Alles sei "Lüge, Manipulation" gewesen. Sie habe "keinen Hass gegen Andersgläubige" empfunden, davon sei ihr Mann "schockiert" gewesen und habe ihr mit "Geheimpolizisten des IS" gedroht. Ihr aufgrund einer erlittenen Schussverletzung rekonvaleszenter Mann sei im Krankenstand gewesen und habe "als Koch, in der Tankstelle" gearbeitet.
Sie sei "24 Stunden allein" und im Haus eingesperrt gewesen: "Ich durfte nicht aus dem Fenster schauen und die Vorhänge wegmachen. Ich habe Wäsche gewaschen, kochen konnte ich nicht. Das hab' ich ihm gesagt, das konnte er nicht erwarten". Sie habe manchmal mit dem Handy gespielt, "Internet war verboten", erinnerte sich Evelyn T. So seien "die Monate vergangen".
Ihre Schwangerschaft sei "so wie ein Weckruf" gewesen, legte die Angeklagte dar. Da sei "die Blase, in der ich die ganze Zeit war, geplatzt". Ihr sei klar geworden, dass sie das Leben, in das sie sich eingefügt hätte, "für mein Kind nicht will. Ich wollte nicht, dass mein Kind so aufwächst, in so einer radikalen Umgebung. Mit dem IS und so einem Vater." In dieser Phase habe sie ihren Mann als "größten Feind" empfunden.
Nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes habe sich ihr Mann geändert. "Ich werde dir helfen, zu gehen", habe er ihr versprochen und "Ich will auch gehen" erklärt. "Mein Kind war meine Rettung für mich", gab Evelyn T. zu Protokoll. Sie hätte gemeinsam mit ihrem Mann den IS verlassen: "Wir waren einen Monat unterwegs". Es sei sehr gefährlich gewesen, "wer vom IS raus wollte und erwischt wurde, das war die Todesstrafe". Ende 2017 habe es in Syrien aber schon "ein Durcheinander" gegeben, der IS hätte Niederlagen bezogen. Als sie und ihr Mann sich schließlich den Kurden ergeben hätten, sei das "eine Riesenerleichterung, dass ich raus war" gewesen.
Am 1. November 2017 hatte sich das Paar den alliierten Kräften der Freien Syrischen Armee (FSA) ergeben, nachdem diese dem IS eine herbe Niederlage zugefügt hatten. Evelyn T. war in weiterer Folge bis Ende Februar 2025 mit ihrem Sohn im Gefangenenlager Al-Roj in Syrien interniert, ehe sie vom Außenministerium zurückgeholt wurde.
Ausführlich beschrieb die 26-Jährige dem Gericht ihr Leben im Lager. Am Anfang habe es "gar nichts" geben: "Wir konnten nicht kochen. Man musste Feuer machen. Ich war wie ein Trottel. Ich habe von nichts eine Ahnung gehabt." Sie habe sich jede Woche Durchhalten suggeriert und auf ihre alsbaldige Rückholung nach Österreich gehofft: "Jede Woche wurde zu Monaten. Jedes Monat zu Jahren. Mit jedem Jahr wurde es immer schwieriger im Lager. Es wurden immer mehr IS-Anhänger."
Sie habe sich jedoch sofort vom IS losgesagt, sie habe gar "Hass gegen diese Menschen" empfunden. Aufgrund ihrer Einstellung sei es mehrmals zu Konflikten mit IS-Anhängerinnen gekommen. So sei sie einmal von einer Frau attackiert worden. "Die Narben habe ich noch heute auf der Hand.", so Evelyn T. Das Lager sei dann aufgeteilt worden, IS-Anhängerinnen- und -Anhänger seien in das "Schwarze Camp" gebracht worden. Wenn sich jemand nicht an die Regeln hielt, wurde die Person in das dritte Camp, das "Bestrafungscamp", gebracht. Auf Nachfrage des Staatsanwalts gab sie an, dass sie sich die ganze Zeit im ersten Camp aufgehalten habe.
Das Leben im Camp sei ein "Überlebenskampf" gewesen. Viele Menschen seien durch Krankheiten oder Brände gestorben. Aufgrund der mit Kerosin betriebenen Heizung in den Zelten, hätte man "keinen schweren Schlaf haben dürfen, da ein Zelt in fünf Minuten abbrennen kann", so die Angeklagte. Misshandlungen und Diebstahl durch Soldaten oder Polizisten seien an der Tagesordnung gewesen. Auch die medizinische Versorgung sei schwierig gewesen. Als ihr Sohn erkrankte, hätte sie nur hoffen können, "dass er nicht stirbt". Das Camp wäre schlimmer als das Gefängnis gewesen. "Diese Erfahrung wünsche ich niemandem", betonte Evelyn T.
Kontakt zu ihrem Mann hat Evelyn T. übrigens keinen mehr. Dieser wurde nach seiner Gefangennahme in den Irak überstellt und soll dort als ehemaliger IS-Kämpfer inzwischen gerichtlich zum Tod verurteilt worden sein.