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Bettina Emmerling: „Wir haben riesengroße Herausforderungen“

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13 min

Bettina Emmerling

©Bild: Matt Observe

Die neue Wiener NEOS-Vizebürgermeisterin Bettina Emmerling will in der Sprachförderung „den Turbo zünden“ und für besseren Spracherwerb in den Kindergärten sorgen. Dabei müssen aber auch die Eltern mithelfen, meint sie. Für Gesamtschulen, wie die neue Bundesregierung sie in Modellregionen umsetzen möchte, ist sie offen: „Wir sind sicher vorne mit dabei“.

Es war ein politischer Blitzstart, den Bettina Emmerling in den letzten Wochen hinlegte – zumindest in den Augen der Öffentlichkeit. Mit Christoph Wiederkehrs Wechsel ins Bildungsministerium stand die 45-Jährige plötzlich in der ersten politischen Reihe. Hinter den Kulissen war sie als Klubobfrau freilich schon lange federführend in die Regierungsarbeit der Wiener NEOS eingebunden. Im News-Interview erklärt Emmerling, wie ihre weiteren Pläne aussehen und wo sie bildungspolitisch hinmöchte.

Sie waren bisher Klubobfrau von NEOS in Wien, jetzt stehen Sie statt Christoph Wiederkehr – seit Anfang März Bildungsminister – in der ersten politischen Reihe und sind Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Bildung und Integration. Wie war der Wechsel?

Ich war als Klubobfrau ja auch massiv in die Regierungsarbeit eingebunden, ich habe jedes einzelne Projekt mitverhandelt und strategisch mitentschieden. Jetzt kommt die Öffentlichkeit dazu, das hatte ich vorher nicht, aber es fühlt sich richtig an, und es freut mich sehr, dass ich jetzt in dieser Rolle bin.

Sie kennen also auch den Koalitionspartner, die SPÖ, gut.

Wir haben viereinhalb Jahre sehr, sehr gut zusammengearbeitet. Wir haben uns wöchentlich über neue Projekte ausgetauscht – und natürlich auch Meinungsverschiedenheiten ausgetragen. Aber wichtig war uns immer, dass wir das Fortschrittsprogramm, das wir versprochen haben, gemeinsam abarbeiten. Insofern gibt es keine großen Veränderungen in der Zusammenarbeit. Ich finde ja, dass Stabilität ein ganz wesentlicher Faktor in der Politik ist. Die letzten Bundesregierungen haben uns mit der politischen Auseinandersetzung alle ordentlich durchgerüttelt, insofern bin ich froh, dass wir hier einen neuen, konstruktiven Stil geprägt haben.

In den letzten Umfragen standen Sie überraschend gut da. Welches Ergebnis erhoffen Sie sich?

Das „überraschend gut“ überrascht mich.

Der ursprünglich vorgesehen Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr ist sehr plötzlich in die Bundespolitik gewechselt.

Es war ein bisschen unklar, wie es weitergeht, ja. Regierende haben in krisenhaften Zeiten, wie wir sie gerade erleben, bisher eher an Zustimmung verloren, wie man bei der letzten Bundesregierung gesehen hat. Dementsprechend stolz bin ich, dass uns die Umfragen ein Plus ausweisen. Es ist eine Bestätigung und auch ein Auftrag, die Arbeit weiterzuführen.

Wir haben riesengroße Herausforderungen, die nicht erst in den letzten Jahren entstanden sind, wenn man sich die Bevölkerungsentwicklung Wiens anschaut.

Bettina Emmerling

Geht die SPÖ/NEOS-Koalition in Wien aus Ihrer Sicht weiter?

Wenn es nach mir geht, natürlich. Wir haben noch viel zu tun. Wir haben auch immer gesagt, gerade in Zukunftsbereichen wie Bildung braucht es einen Marathon. Wir haben riesengroße Herausforderungen, die nicht erst in den letzten Jahren entstanden sind, wenn man sich die Bevölkerungsentwicklung Wiens anschaut. Wir waren als NEOS die Ersten, die das Bildungsthema in den Fokus gerückt haben. Ich bin sehr froh, dass die neue Bundesregierung sich dazu bekennt, in Bildung zu investieren und Lösungen umzusetzen. Vorher war das eher ein Gegeneinander. Dabei ist es extrem wichtig, hier an einem Strang zu ziehen.

Bei allen Erfolgen ist die Bilanz Ihres Vorgängers durchwachsen. Es ist ihm gelungen, Schwerpunkt zu setzen, trotzdem sind die Probleme im Wiener Bildungssystem groß. Wenn Sie die Lage ganz nüchtern analysieren – ohne Panikmache, aber auch ohne die Dinge schönzureden – wie ist die Situation?

Ich möchte schon ganz klar sagen, die Probleme sind keine Folge der letzten fünf Jahre. Wenn man Faktoren heranzieht wie die Anzahl der Kinder, die nicht Deutsch sprechen, dann hat das nichts mit Christoph Wiederkehr und seiner Arbeit zu tun. Wir haben massiv viele Maßnahmen gesetzt: Jede einzelne Pflichtschule in Wien hat jetzt zum Beispiel ein Sekretariat. Das hat es vorher einfach nicht gegeben.

Ich will seine Leistungen nicht schmälern, aber …

Aber genau das wird jetzt versucht. Doch die demografischen Herausforderungen – und damit die Probleme im Bildungssystem – entwickeln sich seit 15 Jahren in diese Richtung. Und das wird zusätzlich verschärft durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und durch den Familiennachzug. Wir haben in den letzten fünf Jahren massiv in die Bildung investiert, so viel wie noch nie, und es ist auch so viel weitergegangen wie noch nie.

Trotzdem: Wo stehen wir? Wie schlimm ist es?

Wir haben im Bereich des Deutsch-Erwerbs sehr große Herausforderungen. Die sind wirklich massiv. Darauf liegt auch mein voller Fokus, dass der Deutscherwerb vor dem Eintritt in die Schule besser gelingt. Mein Ziel ist es, in der Sprachförderung nochmal den Turbo zu zünden, zum Beispiel mit verpflichtenden Sommerdeutschkursen. Wir haben schon vor Jahren versucht, Minister Polaschek darauf hinzuweisen, dass wir hier eine Verpflichtung brauchen. Ich bin froh, dass das jetzt im Regierungsprogramm steht. Und ich glaube, dass wir auch die Familien – die Eltern – mitnehmen müssen. Ein Kind kann zwei, drei, vier Jahre in den Kindergarten gehen, wenn es zu Hause keine zusätzliche Sprachförderung bekommt, wenn auch nicht muttersprachlich vorgelesen wird und es keinerlei deutschsprachiges Umfeld gibt, dann wird das wahrscheinlich nicht reichen.

Wenn Sie Deutschförderung in den Kindergärten vorantreiben wollen – wo nehmen Sie die benötigten Fachkräfte her? Es gibt jetzt schon große Personalprobleme im Elementarbildungsbereich.

Wir versuchen hier, sehr unkonventionelle Wege zu gehen und neue Ideen auf den Boden zu bringen. Einerseits mit Lesepatinnen und Lesepaten. Da haben wir bereits ein sehr erfolgreiches Projekt in der Volksschule, das wir jetzt auch im Kindergarten ausrollen. Auf der anderen Seite auch durch externe Vereine, die Sprachförderkräfte anstellen. Und der dritte Punkt ist, auch in der Ausbildung zu schauen, wie wir Sprachförderkräfte ausbilden.

Wie gefällt Ihnen das aktuelle Modell der Deutschförderklassen?

Ich habe immer gesagt, dass die Schulen im Rahmen der Schulautonomie entscheiden sollten, wie Deutsch gelehrt wird. In manchen Fällen ist eine eigene Förderklasse vielleicht hilfreich, aber man hat in den letzten Jahren gesehen, dass viele Schulen bereits andere Wege gegangen sind. Jetzt haben wir im Regierungsprogramm die Möglichkeit geschaffen, das individueller zu gestalten, und das finde ich wichtig.

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 © Bild: Matt Observe

Auf den NEOS-Wahlplakaten steht: „Deutsch ist kein Wahlfach.“ An wen wendet sich dieses Plakat? Wer behauptet denn, dass Deutsch ein Wahlfach ist?

Das Plakat soll unterstreichen, wie wichtig der Deutscherwerb für den Schuleintritt ist – und darüber hinaus. Und dass jegliche Integration in unsere Gesellschaft auf der gemeinsamen Sprache aufbaut.

Im Umkehrschluss sagt Ihr Plakat aber aus: Deutsch ist Pflicht. Halten Sie es für sinnvoll, in diesem Bereich mit Pflicht, mit Zwang zu arbeiten? Ist nicht gerade Sprache etwas, das man frei und lustvoll lernen muss?

Man muss da sicher auch mit dem positiven Anreiz hineingehen, dass Integration über die gemeinsame Sprache funktioniert. Dass eine geglückte Bildungslaufbahn über die gemeinsame Sprache funktioniert. Dass Freizeit mit unterschiedlichsten Herkünften und Kulturen in unserem Land über die gemeinsame Sprache funktioniert. Diese Sprache eint uns, und das ist eine durchaus positive Botschaft.

Auf einem anderen NEOS-Plakat ist zu lesen: „Wien ist Vielfalt statt Einfalt“. Gilt das auch für Sprache? Ist Mehrsprachigkeit für Sie erstrebenswert?

Absolut. Wir wissen aus der Wissenschaft, dass Kinder viel eher eine zweite Sprache lernen, wenn sie ihre Muttersprache gut beherrschen. Und deswegen ist die mehrsprachige Förderung sehr wichtig. Dazu gehört aber auch, den Eltern zu vermitteln, dass sie eine gute Grundlage in ihrer Herkunftssprache schaffen müssen. Denn viele meinen es gut, wenn sie mit ihren Kindern auch zu Hause Deutsch sprechen und die Kinder dann ihre Herkunftssprache verlieren. Wir haben viele Projekte, die darauf setzen, Mehrsprachigkeit und auch das Vorlesen in der jeweiligen Herkunftssprache zu fördern.

Christoph Wiederkehr, Ihr Vorgänger als Bildungsstadtrat, sitzt jetzt im Bildungsministerium. Wird es jetzt leichter für die Wiener Bildungspolitik?

Bisher war es leider nicht immer möglich, an einem Strang zu ziehen, um bei den großen Herausforderungen weiterzukommen. Christoph Wiederkehr hat im Blick, worauf es in den Ballungsräumen ankommt. Daher erwarte ich mir schon, dass es leichter wird.

Im Regierungsprogramm ist zum Beispiel von Gesamtschulmodellregionen die Rede. Ich nehme an, Wien ist interessiert, eine solche zu werden?

Die Diskussion über die Gesamtschule gibt es schon ewig und sie wurde bisher nicht sehr produktiv geführt. Aber für uns ist klar, dass eine Trennung mit zehn Jahren keinem Schüler hilft. Keiner kann im Alter von zehn Jahren sagen, wo er später einmal hin will. Insofern ja, ich bin froh, wenn wir gute neue Sachen ausprobieren.

Gibt es schon Details, wie das genau aussehen könnte?

Dafür ist es einfach noch zu früh. Wiederkehr ist seit fünf Wochen im Amt, ich seit vier. Es wird sicher viele Gespräche geben. Jetzt ist es einmal wichtig, erste, schnell umsetzbare Schritte im Bildungsbereich zu setzen. Für die großen Dinge braucht man natürlich die Bundesländer – und da muss man alle mitnehmen. Das wird viel Überzeugungsarbeit brauchen. Ich kann versprechen, dass wir aus Wien sicher vorne mit dabei sind.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 15/25 erschienen.

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