2016 während des Wahlkampfes Clinton gegen Trump lebte ich in Chicago. Trump kündigte ein paar Wochen vor der Wahl eine Veranstaltung an. Gemeinsam mit meinem damals 17-jährigen Sohn wollten wir uns diesen eigenartigen Kandidaten ansehen. Wir registrierten uns online und machten uns auf den Weg. Chicago war schon immer eine Hochburg der Demokraten. Ex-Präsident Obama unterrichtete hier an der Universität und im Stadtparlament sitzt ein einziger Vertreter der Republikaner.
Wir nahmen den L-Train, die einzige ‚U-Bahn‘, die hoch auf Stelzen durch die Stadt fährt und in Dutzenden Action-Filmen wie „Ricky Business“, „Spider-Man“, „Midnight Run“, „Code of Silence“ und „Above the Law“ vorkommt. Bereits der Zug war so voll, dass wir kaum durch die Türen kamen. In der Station bewegte sich die Menschenmenge langsam wie eine zähe Flüssigkeit über die Stiegen in die Straßen.
Beim Eingang zeigten wir unsere Karten, doch der Sicherheitsdienst schickte uns an das Ende der Wartenden. Ein Polizist, den wir fragten, wo wir uns anstellen könnten, antwortete: „Geht einfach nach Hause, die Warteschlange ist etwa eine Meile lang.“ Wir hätten ein Ticket, versuchte ich meinen Eintritt zu retten, doch er sagte: „Die haben alle ein Ticket, die Veranstalter haben einfach das Interesse unterschätzt.“
Rhetorik
In den letzten Monaten erinnerte ich mich an dieses Wort ‚unterschätzen‘, als würde die ganze politische Karriere von Trump von ‚Unterschätzung‘ begleitet werden. Er gewann 2016 völlig überraschend gegen Hillary Clinton, die in den Umfragen weit voraus lag und angeblich nach Bekanntgabe ihrer Niederlage stundenlang geweint hatte.
Doch der chaotische Eindruck seiner Auftritte, seiner spontanen, einfach formulierten und oft überraschenden Rhetorik täuscht, oder soll täuschen. Alles sieht ungezwungen und impulsiv aus – ist es jedoch nicht. Dahinter steht eine straff organisierte Truppe von Fachleuten und Strategen. Laut eines ehemaligen Mitarbeiters arbeitet Trump am liebsten mit Gruppen, eher selten mit einzelnen Beratern in Zweiergesprächen. Er braucht die Auseinandersetzung, den Widerspruch und die Diskussionen. Von Wahlkampf zu Wahlkampf, von einer Rede zur nächsten, versammelt er im vorderen Teil seines Flugzeuges mit weißen Ledersitzen und vergoldeten Schnallen der Sicherheitsgurten etwa sieben bis neun seiner engsten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, mit denen er sich in einem offenen Schlagabtausch, einer Art Brainstorming, auf den nächsten Auftritt vorbereitet. „Trump braucht den persönlichen Kontakt zu seinem Team“, beschrieb sein ehemaliger Mitstreiter Rudy Giuliani die Arbeitsweise.
Seine zwei wichtigsten Berater sind Susie Wiles und Chris LaCivita. Wiles, eine 66-jährige Großmutter, die Interviews meist ausweicht, immer im Hintergrund bleibt und einem Reporter auf die Frage, wie sie denn ihre Freizeit verbringe, antwortete: „Vögel beobachten!“ – ‚birdwatching‘ ist ein beliebtes Hobby in den USA. Die unterschätzte Oma repräsentiert als ‚Chief of Staff‘ des Trump-Teams die Ordnung hinter dem Chaos des Bosses, eine eiskalte, berechnende und strukturierte Strategin mit totaler Kontrolle über den engen Kreis der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Florida
Bereits 2016 organisierte sie erfolgreich den Wahlkampf Trump gegen Clinton in Florida, den Trump überraschend gewann. Schloss sich später Trump’s Konkurrenten Ron DeSantis an. DeSantis feuerte sie nach ein paar Monaten, sein wahrscheinlich schlimmster Fehler. Wiles ging zurück zu Trump, der DeSantis mit ihrer Hilfe in den Vorwahlen so weit überlegen war, dass DeSantis seine Kandidatur zurückzog. „Man sollte die alte Dame nie zu seinem Feind machen“, sagte einer ihrer Kollegen.
Nummer zwei im Team ist der 57-jährige Chris LaCivita, ein freundlicher, bärtiger Herr, Ex-Marine Soldat, der 1991 im Golf-Krieg verwundet wurde – einst beschrieben als ‚a friendly Bulldog, unless you are bullshitting‘. LaCivita betreut einerseits das Einsammeln der Spenden, ist jedoch auch der ‚Mann an der Front‘, der zum Beispiel 1.600 Helfer in Iowa trainierte, die von Tür zu Tür gingen und Unterstützer für die Vorwahl mobilisierten. Er ist Chef von ‚MAGA Inc.‘ (Make America Great Again), einer Super PAC (Political Action Committee) – das sind Organisationen, die steuerfrei Spenden sammeln können.
Der Dritte im engeren Kreis ist der 48-jährige PR-Spezialist Jason Miller, der Trump’s Reden schreibt und schon 2016 Sprecher der ‚Donald Trump Presidential Campaign’ war. Er beschäftigt ein ganzes Team, das Schmutz-Kampagnen über Konkurrenten entwickelt und ist der Mann hinter den oft zweifelhaften Attacken, die sowohl Trump in seine Reden einbaut als auch in Radiound TV-Werbesendungen veröffentlicht werden. In seinem Team arbeitet Dan Scavino, ein Spezialist für Social Media, der Trump monatelang trainierte, Twitter und Facebook einzusetzen. Der Ex-Präsident hatte eine ausgesprochene Phobie gegenüber modernen Kommunikationstechniken.
Europäische Medien überbieten einander mit zynischen und verächtlichen Kommentaren über das oft absurde Auftreten von Trump und die angebliche Dummheit seiner Anhänger. Hohn und Spott gehören zur Lieblingsbeschäftigung einiger Journalisten. Sie übersehen dabei die Perfektion der geschickt strukturierten Provokationen, die Trump nie zufällig oder unabsichtlich hinausschreit. Das legere, scheinbar zufällige und natürliche Auftreten ist vorbereitet und einstudiert. Hinter Brüskierungen und Kampfansagen steht eine erzkonservative politische Ideologie. Trump setzt diese Theorie in gefährliche Realität um.