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Tarek Leitner denkt über 80 Jahre Republik nach

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Tarek Leitner

©Bild: Matt Observe

Der ORF-Journalist Tarek Leitner legt mit „Augenblicke der Republik“ ein neues Buch vor, in dem er ausgehend von teils privaten Fotos die Geschichte der Zweiten Republik reflektiert. Gegliedert nach Themenbereichen wie Migration, Medien, Verkehr oder Tourismus. Wo kommen wir her – und wo stehen wir heute?

Er hat es wieder getan. Ein Buch geschrieben. Tarek Leitner, im Hauptberuf Politikjournalist und prominenter ORF-News-Anchor, legt seit einigen Jahren immer wieder Bücher vor, oft (zeit-)historischen Inhalts. Pünktlich zum Republiksjubiläum am 27. April erscheint „Augenblicke der Republik“, eine persönlich gefärbte Betrachtung großer Entwicklungslinien der letzten 80 Jahre. Schon die Einleitung regt zum Nachdenken an. Er habe einmal, schreibt Leitner, die Anregung bekommen, das Lebensalter ab Geburt nicht nur in die Gegenwart, sondern auch in die Vergangenheit zurückzurechnen. Er selbst lande damit in der Ersten Republik.

Ein Gedankenexperiment, das zeigt, wie kurz und lang geschichtliche Abläufe sind, wie schnell und langsam zugleich. Die Auseinandersetzung mit Geschichte, das ist ein Thema, das Leitner lebenslang begleitet, erklärt er beim Treffen in einem Wiener Café, während im Hintergrund eine Touristengruppe fröhlich plaudert und das Geschirr klimpert und klingt – ein deutlicher Kontrast zu den Entstehungsumständen seines letzten Buches, über das News groß berichtete: Es erschien mitten in der Stille der Coronapandemie.

Persönliche Tangenten

„Bei all meinen Büchern ist es so, dass sie sozusagen gleichsam ein Leben lang geschrieben werden, weil ich mir zu allem Notizen mache, was ich beobachte oder an der Welt interessant finde,“ erzählt Leitner. „Ich habe mehrere Themen. Die Verwandlung unserer Welt in gebauter Hinsicht zum Beispiel, aber natürlich auch historische Themen. Und dann gibt es natürlich auch immer noch die persönliche Tangente, weil ich das Glück habe, ein gutes Privatarchiv des 20. Jahrhunderts zu haben. Ich habe mich im Familien- und Verwandtenkreis immer darum gekümmert, alte Fotoalben oder Filmrollen zu bekommen.“

Ein Foto aus diesem Privatarchiv ist Ausgangspunkt von „Augenblicke der Republik“: Es zeigt Leitners Mutter und deren Prager Cousin im Jahr 1966. „Für mich hat es eine schöne Symbolhaftigkeit,“ sagt Leitner. „Sie schauen ins Licht auf den Sender des österreichischen Rundfunks am Linzer Lichtenberg.“ Der Sender strahlte damals auch weit in die böhmische Tiefebene hinein. Leitner nimmt das Bild zum Ausgangspunkt, um über Ideologien nachzudenken, über Grenzziehung, das vermeintliche „Ende der Geschichte“ und antidemokratische Strömungen in der Gegenwart.

Bei allen meinen Büchern ist es so, dass ich sie sozusagen ein Leben lang geschrieben habe

Tarek Leitner

So ist das ganze Buch aufgebaut: Leitner nimmt Fotos, teils private, teils weniger bekannte aus öffentlichen Archiven, zum Anlass, um große Entwicklungen zu reflektieren. „Ich bin kein Historiker. Ich glaube auch, dass die Details der Vergangenheit bereits gut erforscht sind. Mir ist wichtig, ihre Ableitungen für die Gegenwart aufzuschreiben. Wie sich Migration entwickelt hat zum Beispiel, der Verkehr oder die Medien. Für letzteres habe ich ein grandioses Bild gefunden, das Bruno Kreisky vor einem TV-Duell in der Maske zeigt. Das Lustige ist, es sieht alles genauso aus wie heute – bin hin zum Haarspray. Aber 1969, als das Foto entstanden ist, war die Idee des Fernsehduells wirklich noch ganz neu.“

80 Jahre sind eine lange Zeit – und zugleich nicht. Hat sich seitdem viel verändert oder ist das Wesentliche gleichgeblieben? „Meine Kinder sind immer fasziniert, wenn ich ihnen von den Rahmenbedingungen meiner Kindheit erzähle.

Aber wenn man selbst dabei war, erlebt man die Veränderungen nicht als so groß. Eine Veränderung, die aber schon tiefgreifend ist, ist die Verschiebung vom Wettbewerb zweier großer Weltanschauungsblöcke – Konservative und Sozialdemokraten, Kräfte, die auf einer gemeinsamen Wirklichkeit mit akzeptierten Spielregeln aufbauen und nur unterschiedliche Lösungswege für gesellschaftliche Herausforderungen und Gestaltung von Staat haben – hin zu solchen, die nicht auf einer gemeinsamen Wirklichkeit mit akzeptierten Spielregeln aufbauen. Diese Verschiebung ist tatsächlich eine wesentliche Veränderung in der Zweiten Republik.“

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ORF-Star: Tarek Leitner moderiert seit über 20 Jahren die wichtigste Nachrichtensendung des Landes, die „Zeit im Bild“.

 © Walter Wobrazek

Ein faszinierendes Foto aus Leitners Buch zeigt das kriegszerstörte Wien 1945, durch das ein fröhliches junges Paar flaniert. Ein Bild, das immensen Überlebenswillen ausdrückt. Und auch zeigt, wie schnell die Dinge sich entwickeln können. Vor 80 Jahren – nur vor 80 Jahren! – stand Österreich am Ende eines verheerenden Weltkriegs. „Zerstörung geht viel schneller als Aufbau“, sagt Leitner. „Auf diesem Bild sehen wir keine metaphorische Zerstörung, sondern tatsächlich Trümmer, Staub. Aber das gilt natürlich jetzt für viele mühsam aufgebaute institutionelle Strukturen, deren Zerstörung wir gerade sehen.

Wenn der Impetus ist, die institutionelle Struktur, die wir in den Demokratien westlichen Zuschnitts seit 1945 aufgebaut haben, zu zerstören, geht das, glaube ich, relativ schnell. Und diese Zerstörung ist nachhaltig. Dass ausgerechnet die USA, das Land, das uns nicht nur von den Nationalsozialisten befreit hat, sondern neben Kaugummi und Popmusik auch die Demokratie und den Forschungswillen gebracht hat, jetzt die Wirklichkeitserkennung zerstört, ist eine merkwürdige Widersprüchlichkeit.“

Faszination Geschichte

Was ihn an Geschichte eigentlich so fasziniere? Zweierlei, antwortet Leitner, während die Touristengruppe am Nebentisch zum Hauptgang schreitet.

„Das erste ist der Reiz dieser alten Fotos, Dokumente und Urkunden aus der Familie, die mir für einiges Grundlage sind. Ich finde es faszinierend, sie in der Hand zu halten und bei diesem An- und Begreifen eine ganz enge Verbindung zur Vergangenheit zu haben. Das zweite Faszinierende ist, dass doch letztlich so manche menschlichen Dynamiken immer die gleichen waren. Und dass Ursache und Wirkung immer zu erkennen sind. Das Erkennen von Wirklichkeit war immer wichtig: Je mehr Leute an Öffentlichkeit beteiligt waren und daher Wirklichkeit verstanden und erkannt haben, desto besser ist es in der Regel gegangen. Je mehr Propaganda im Spiel war, desto schlechter. Egal ob im digitalen Zeitalter oder im Römischen Reich. Das ist doch faszinierend an der Geschichte und daher, glaube ich, ist es so wichtig, sie zu erzählen.“

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Das Buch: ORF-Journalist Tarek Leitner begibt sich in „Augenblicke der Republik“ (Brandstätter Verlag) auf einen persönlichen Streifzug durch die Geschichte Österreichs und nimmt Fotos zum Anlass, über die Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart nachzudenken.

 © Brandstätter Verlag

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