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Syrien: Was der Sturz Assads für Syrer in Österreich bedeutet

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Jubelnde Syrerinnen und Syrer am Sonntag in Wien.

©APA/Max Slovancik
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Österreich hat als Reaktion auf den Umsturz in Syrien laufende Asylverfahren für Syrerinnen und Syrer ausgesetzt. Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich erklärt, wie es für sie nun weitergeht – und warum er einen Vorschlag von Jens Spahn für "populistischen Müll" hält.

© Asylkoordination Österreich

Steckbrief

Lukas Gahleitner-Gertz

Lukas Gahleitner-Gertz ist Jurist und Sprecher der Asylkoordination Österreich. Nach jahrelanger Tätigkeit in der Rechtsberatung und -vertretung im Asylbereich war er in einer Rechtsanwaltskanzlei und bei Amnesty International Österreich tätig.

Wie viele syrische Flüchtlinge befinden sich aktuell in Österreich?

Ende 2023 haben sich ca. 95.000 Syrer:innen in Österreich befunden, knapp über 50.000 davon in Wien. Es ist davon auszugehen, dass mittlerweile ca 100.000 Syrer:innen in Österreich leben. Das ist etwa 1% der Bevölkerung in Österreich. 2012 gab es nur rund 2.000 syrische Staatsangehörige in Österreich.

Wie viele exakt welchen Aufenthaltstitel haben kann nicht erhoben werden. Es ist aber davon auszugehen, dass mit wenigen Ausnahmen die Allermeisten in den letzten 12 Jahren über das Asylverfahren einen Status in Österreich erhalten haben.

Wie viele davon haben ein laufendes Asylverfahren, wie viele sind bereits anerkannt?

Seit 2012 haben etwa 80.000 Menschen aus Syrien den Asylstatus in Österreich erhalten, etwa 15.000 subsidiären Schutz. Momentan sind ca. 13.000 Verfahren syrischer Staatsangehöriger in Österreich anhängig.

Einzelfallprüfungen jedenfalls nötig

Was bedeuten die aktuellen Ereignisse für laufende Asylverfahren, was für bereits Schutzberechtigte?

Das Innenministerium hat medial angekündigt, die Verfahren zu "stoppen" bzw. "auszusetzen". In der Realität bedeutet das, dass momentan keine Entscheidungen in Verfahren syrischer Staatsangehöriger getroffen werden können. Grund dafür ist, dass derzeit Feststellungen zur Lage und Sicherheitssituation in Syrien schwer getroffen werden können: Es ist noch nicht absehbar, in welche Richtung sich Syrien nach dem Sturz Assads entwickelt. Fraglich ist, ob es zu grundlegenden Änderungen des repressiven Staatsapparats kommt, oder ob es personelle Kontinuitäten gibt. Bevor keine vertrauenserweckenden Informationen zur Situation in Syrien vorliegen, können keine Entscheidungen getroffen werden.

Für Schutzberechtigte stellt sich eine ähnliche Frage: Hier ist ausschlaggebend ob der ursprüngliche Flucht- bzw. Schutzgrund weggefallen ist und es zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation in Syrien im Vergleich zum Zeitpunkt, als der Status gewährt wurde, gekommen ist. Auch hier kann derzeit noch keine seriöse Aussage getroffen werden.

Für den Fall des Vorliegens von Umständen, die darauf hindeuten, dass der Schutzgrund weggefallen ist, ist in jedem Einzelfall ein formelles Aberkennungsverfahren einzuleiten und durchzuführen.

Freude und Hoffnung, aber auch Ungewissheit

Wie schätzen Sie die Stimmung unter den Syrerinnen und Syrern ein? Gibt es viele, die jetzt wieder zurückwollen?

Grundsätzlich herrscht ein Gefühl der Freude: Die von vielen verhasste Assad-Diktatur ist Geschichte. Aber es stellt sich schon die Frage, was nachfolgt. Einerseits gibt es hier stark religös eingestellte Milizen, andererseits gibt es sehr viele Sicherheitskräfte, die das Assad-System mitgetragen haben.

Es besteht jedenfalls Hoffnung, aber auch sehr viel Ungewissheit, wie sich die Situation in Syrien entwickeln wird. Dazu kommt noch die Ungewissheit aufgrund der innenpolitischen Debatte in Österreich, ob hier Aberkennungen möglich sind. Es gibt hier bei vielen – wie auch bei den Ukrainerinnen und Ukrainern – den großen Wunsch ins Herkunftsland zurückzukehren, wenn die Bedingungen insbesondere die Sicherheitssituation es zulassen. Gleichzeitig haben aber auch viele hier Fuß gefasst, Arbeit gefunden und sich ein neues Leben aufgebaut. Hier ist der Wunsch, das neu begonnene Leben hier weiterzuführen, sehr groß.

"Populistischer Müll"

Jens Spahn von der deutschen CDU hat bereits Charterflüge und ein Startgeld von 1.000 Euro für Ausreisewillige gefordert. Was halten Sie von solchen Vorschlägen?

In der derzeitigen Phase sind derartige Vorschläge wie von Spahn populistischer Müll. Syrien erlebt gerade eine Riesentransformation nach über einem halben Jahrhundert Diktatur. Der Fokus muss darauf liegen, dass sich tatsächlich ein demokratisches, sicheres Syrien bilden kann. Es ist fraglich, ob das gelingen und eine Entwicklung wie im Irak nach Saddam Hussein oder in Libyen nach Gaddafi vermieden werden kann. Syrien ist in einer schwierigen geopolitischen Lage. Ziel muss es sein, Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu fördern, und nicht im ersten Moment Jugendliche außer Landes zu bekommen, die vielfach ja auch schon Fuß gefasst haben und hier Teil des gesellschaftlichen Lebens geworden sind.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 50/2024 erschienen.

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