Die FPÖ ist bei der EU- und der Nationalratswahl auf Siegeskurs, doch die Goldgräberstimmung ist vorbei. Die ÖVP erreicht einen historischen Tiefstand. Und die Kleinparteien liegen im Clinch um die urbanen Wähler. Die große Analyse von Triple-M und News.
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Blauer Montag. So heißt seit Jahren jener Tag nach Wahlen, an dem die Freiheitlichen ausschlafen. Weil sie am Tag davor ausgiebig feiern konnten. Wahlsiege. Hohe Zuwächse an Prozentpunkten und Stimmen. Die betretenen Gesichter der politischen Konkurrenz. Auch am 10. Juni und am 30. September werden die Freiheitlichen wohl im mehrfachen Wortsinn unerreichbar sein. Die große News/TripleM-Umfrage zu den Europa- und Nationalratswahlen zeigt: Beide Wahlgänge wird die FPÖ aus heutiger Sicht mit Abstand gewinnen.
Vor genau fünf Jahren lag die blaue Welt nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos in Trümmern. Man sah, wie sich der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache und sein Parteifreund Johann Gudenus vor einer angeblichen Oligarchennichte aus ihren politischen Ämtern schwadronierten. Die Blauen stürzten 2019 sowohl bei der EU-Wahl als auch bei der Nationalratswahl ab. Doch die Krisen der anderen – von Corona über die Inflation bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine – halfen der Rechtsaußenpartei in den Jahren danach wieder auf die Beine.
Die Schwäche der einstigen Großparteien ÖVP und SPÖ trägt das Ihre dazu bei. Die Kanzlerpartei stürzt in der Umfrage bei beiden Wahlgängen unter die 20-Prozent-Marke, die SPÖ kommt unter Andreas Babler nicht über die Wahlergebnisse seiner Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner hinaus.
Stagnieren auf hohem Niveau
Allerdings zeigen die Detailergebnisse der Triple-M-Umfrage eine für die FPÖ interessante Entwicklung. "Im Moment gibt es für die Freiheitlichen nicht mehr die große Goldgräberstimmung", sagt die Meinungsforscherin Christina Matzka von Triple-M. Die Blauen haben in den Rohdaten der Sonntagsfrage zur Nationalratswahl als einzige Partei signifikant verloren. Bei der News-Triple-M-Umfrage im Jänner kam sie da noch auf 27 Prozent, was in der Hochrechnung 31 Prozent bedeutete. Diesmal liegt sie bei 23 Prozent in den Rohdaten. "Trotzdem ist sie aus heutiger Sicht für Platz eins gesetzt", zerstreut Matzka Hoffnungen der politischen Mitbewerber.
Die Gründe für das Stagnieren auf hohem Niveau: Zum einen haben die blauen Lieblingsthemen nicht mehr Hochkonjunktur. Die Inflationsrate sinkt endlich. Laut jüngsten Daten der Statistik Austria sind vor allem die im Winter noch belastenden Energiepreise gesunken. Auch das Thema Corona gerät in den Hintergrund, es gibt nur wenige Fälle und im Sommer sowieso immer eine leichte Entspannung an dieser Front. Dazu kommt die unsichere Weltlage. Matzka: "Bedrohungslagen spielen nicht unbedingt einer Fundamentalopposition in die Hände. Die Leute haben ein größeres Bedürfnis nach Stabilität." Und: Obwohl Dominik Wlazny mit seiner Bierpartei am ganz anderen Ende des politischen Spektrums zu verorten ist, ist er für Protestwähler, die ihr Kreuz bei der FPÖ gemacht hätten, eine Option. Auf die Frage, welche andere Partei für sie wählbar wäre, antworten 26 Prozent der deklarierten FPÖ-Wähler: die Bierpartei.
"Für welche Partei ist die Stimmung besonders günstig?" Auf diese Frage antworten zwar immer noch 53 Prozent: die FPÖ. Allerdings waren es im Jänner sogar 66 Prozent. In der Zwischenzeit wurde das Image der Blauen durch verstärkte Berichte über den Finanzskandal der steirischen FPÖ, den SPÖ/FPÖ-Untersuchungsausschuss im Parlament und den blauen Anteil an der Spionageaffäre um Egisto Ott angekratzt.
Schwarzes Tief
Auf einem historischen Tiefstand könnte die ÖVP sowohl bei der EU- als auch bei der Nationalratswahl landen. In beiden Fällen sieht Matzka die Kanzlerpartei in der Hochrechnung bei nur 19 Prozent. Ihr Spitzenkandidat für Europa, Reinhold Lopatka, strahlt kaum über die Kernwählerschaft hinaus. Die Situation erinnert an die Bundespräsidentschaftswahl 2016, auch da musste die ÖVP nach der Absage des ursprünglich angepeilten Kandidaten Erwin Pröll auf einen verdienten, aber glanzlosen Schwarzen zurückgreifen. Andreas Khol kam damals im ersten Wahlgang sogar nur auf magere elf Prozent der Stimmen.
Ein derartiger Flop würde sich auch auf die Stimmung bei der Nationalratswahl auswirken. Die ÖVP versucht zwar, mit hektischem Rechtsblinken zu verhindern, dass Wähler, die Sebstian Kurz 2019 bei der FPÖ gefischt hat, wieder zu den Blauen zurückkehren. Doch ohne sichtbaren Erfolg. Auf Nachfrage zeigt sich, dass selbst deklarierte ÖVP-Wähler noch in Warteposition sind. Nur 53 Prozent von ihnen sind sich derzeit in ihrer Entscheidung für die Schwarzen "sehr sicher".
Entschlossener sind die Wählerinnen und Wähler von FPÖ und SPÖ, hingegen neigen die Grün-Wählerinnen und -Wähler immer schon immer dazu, "taktisch" zu wählen. Gäbe es etwa ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen FPÖ und SPÖ (das sich derzeit nicht abzeichnet) wären sie rasch bereit, für einen roten Kanzler zu votieren.
Wie geht es den NEOS?
Eine heikle Ausgangslage weist die Triple-M-Umfrage für NEOS aus. Zwar verbuchen sie auf EU-Ebene einen Zugewinn, der sich zum Teil auch aus der Schwäche der ÖVP erklärt. Spitzenkandidat Helmut Brandstätter verfügt über den nötigen bürgerlichen Habitus und ist überzeugter Europäer, während sich die frühere Europapartei ÖVP in einem Zick-Zack-Kurs versucht: Sie will einerseits proeuropäisch sein, schielt andererseits auch hier Richtung FPÖ. Das schwarze EU-Aushängeschild Othmar Karas kandidiert nicht mehr. Und offenbar steckt für viele Bürgerliche in Helmut Brandstätter mehr Karas als in der Volkspartei.
Allerdings schätzen die Befragten die Stimmung für die NEOS insgesamt kaum als günstig ein. Wahlniederlagen bei den jüngsten Landtags- und Gemeinderatswahlen verdüstern das Bild. Nur 29 Prozent der deklarierten NEOS-Wähler sind sich Stand heute in ihrer Entscheidung für die Pinken sehr sicher. Und Detailergebnisse der Umfrage zeigen, dass NEOS bei der Nationalratswahl Stimmen Richtung Bierpartei abhanden kommen könnten.
Beide Parteien sind im urbanen Wiener Umfeld stark. Von Dominik Wlazny kennt man im Gegensatz zu NEOS zwar kein politisches Programm, dennoch liegen die beiden Parteien in der Sonntagsfrage gleichauf. In der – fiktiven – Kanzlerdirektwahl-Frage hat Wlazny sogar knapp die Nase vorn. Er sammelt hier von überall ein, punktet bei jenen, die sich noch im Jänner für keinen der damals feststehenden Kanzlerkandidaten entscheiden konnten. "Das zeigt, die Leute wollen den frischen Wind und wählen selbstgefällige Traditionspolitik ab", sagt Christina Matzka.
Unwägbare Grüne
Der Befragungszeitraum für die News-Triple-M-Umfrage lag zwischen 3. und 7. Mai, also vor dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Lena Schilling. Insofern zeigen die 14 Prozent in der Sonntagsfrage EU-Wahl vor allem den Möglichkeitsraum, den die Grünen mit Schilling gehabt hätten. Das gute Ergebnis von 2019 wäre jedenfalls in Reichweite gewesen. Im erst später durchgeführten APA/OGM-Vertrauensindex stürzt Schilling ab. (Sie liegt etwa in den Sphären von Herbert Kickl, der gleichzeitig in der Kanzlerfrage führt.) Allerdings haben sie und ihr Parteichef Werner Kogler Ende der Vorwoche versucht, das verunglückte Krisenmanagement nach Bekanntwerden der Affäre geradezubiegen. Den Grünen bleibt die Hoffnung, dass das Angebot für jene Wählerinnen und Wähler, denen Klimapolitik wichtig ist, überschaubar ist. Und: Es gibt neben Schilling niemanden, der junge Wählerinnen und Wähler anspricht.
Die Hochrechnung für die Nationalratswahl zeigt aber jedenfalls, dass die Grünen weitgehend auf ihre Kernwählerschaft zurückgeworfen werden. Nur noch neun Prozent der Wählerinnen und Wähler bekennen sich zur Öko-Partei. Den polternden Parteichef als Kanzler wollen gar nur vier Prozent gerne sehen. 40 Prozent der Befragten finden, die Stimmung für die kleinere Regierungspartei sei besonders ungünstig, nur die Kanzlerpartei ÖVP liegt mit 48 Prozent noch schlechter. Hier zeigt sich natürlich auch die Unzufriedenheit mit Regierungen in den Krisenjahren.
Bessere Stimmung
Möglicherweise schlägt sich der Frühsommer aufs Gemüt – aber jedenfalls erscheinen die von Triple-M und News Befragten mittlerweile in deutlich besserer Stimmung als im Jänner. Im Winter waren noch 70 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher der Meinung, das Land entwickle sich in die falsche Richtung, jetzt sind es 65 Prozent – immer noch ein bedenklicher Wert, aber immerhin. Eine Entwicklung in die richtige Richtung sehen 27 Prozent, im Jänner waren es nur 20 Prozent.
Ähnlich ist die Stimmungslage für die Entwicklung der EU, die erstmals abgefragt wurde: 60 Prozent sagen, sie entwickelt sich in die falsche Richtung, 24 Prozent sind positiv gestimmt. Unter den FPÖ-Wählern sind 89 Prozent mit der Entwicklung der EU unzufrieden. Die größten Europa-Fans sind hingegen die Grünen: 51 Prozent ihrer Wählerinnen und Wähler finden, sie gehe in die richtige Richtung. Auch bei der Frage, ob die EU-Mitgliedschaft Österreichs für sie in den letzten 30 Jahren an Bedeutung gewonnen oder verloren habe, scheren die Grün-Sympathisanten aus: 70 Prozent sagen, die Mitgliedschaft sei wichtiger geworden. Der "Green Deal" für Klimapolitik der aktuellen EU-Kommission könnte dabei eine Rolle spielen.
Jene Befragten, die der EU-Mitgliedschaft größere Bedeutung zumessen, führen als Argumente dafür am häufigsten das Wirtschaftswachstum, den europäischen Zusammenhalt und die Vorteile, die ein kleines Land durch eine größere Gemeinschaft hat, an. Bei den Unzufriedenen sieht man ein indifferentes Bild vieler Faktoren: Entscheidungen, die dem Land aufgezwungen würden, Bürokratie, Geldverschwendung, unnötige Gesetz usw.
Ermüdungserscheinungen
54 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben derzeit vor, am 9. Juni wählen zu gehen. Bei der Wahl 2019 waren es knapp 60 Prozent, untypisch hoch, aber wenige Tage nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos mit der politisch aufgeheizten Stimmung im Land erklärbar. Bei früheren EU-Wahlen lag die Wahlbeteiligung zum Teil deutlich unter 50 Prozent. Ausgerechnet die Wählerschaft der beiden selbsternannten Europaparteien, ÖVP und NEOS, schwächelt, wenn es um die Bedeutung dieser Wahl geht. Nur 34 der ÖVP-Wähler und 27 Prozent der NEOS-Wähler sagen, sie sei "sehr wichtig". Aber immerhin: Die Jungwählerinnen und -wähler, für die die EU-Mitgliedschaft schon längst selbstverständlich ist, sind sich der Bedeutung der Wahl bewusst. 75 Prozent halten sie für wichtig.
Für die Nationalratswahl im Herbst sagen derzeit 68 Prozent der Befragen, dass sie sicher wählen wollen. Doch bis Ende September zieht sich der Wahlkampf noch. Hört man die Debatten im Parlament, sieht man, welche Themen im Wahlkampf diskutiert werden und welche unter den Tisch fallen, könnte es bis dahin Ermüdungserscheinungen geben. Dabei geht es – wie bei jeder Wahl – um viel.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 21/2024 erschienen.