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Wolfgang Sobotka: "Ich würde es sofort wieder machen"

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Seit 24. Oktober Wolfgang Sobotkas Amtszeit als Erster Nationalratspräsident vorbei. Mit ihm verlässt ein umstrittener – und streitbarer – Protagonist die erste Reihe der Politik. Ein Abschiedsinterview

Er übernahm eine prominente und nicht immer sympathische Rolle bei der Machtergreifung Sebastian Kurz‘ innerhalb der eigenen Partei. Er macht oft klar, dass seine Loyalität mit der ÖVP groß ist – zu groß für einen Nationalratspräsidenten, fanden viele Kritiker. Auf der anderen Seite erfährt Wolfgang Sobotka als Charakterkopf und leidenschaftlicher Kämpfer gegen antidemokratische Umtriebe parteiübergreifende Wertschätzung.

Als News ihn zum Abschiedsinterview in seinem Büro im Parlamentsgebäude am Ring trifft, wird schon gepackt. Am Tag der Wahl des neuen Präsidenten oder der neuen Präsidentin sind auch die Räumlichkeiten besenrein zu übergeben. In Sobotkas hellem Eckbüro, mit Blick über den Volkgarten, sind noch Gastgeschenke zu bewundern, die er in seiner Amtszeit stellvertretend für die Republik entgegengenommen hat. Und ein Stehpult, eine Leihgabe der Basilika Sonntagberg. Die Frage nach Alter und Herkunft inspirieren Sobotka zu einer Inspektion des Stücks, samt kurzer kunsthistorischer Einordnung. Er schreibt an diesem Pult. „Ich bin ein Steher“, meint Sobotka. „Im doppelten Wortsinn“, ergänzt sein Pressesprecher. Dann muss er seinem Chef hinterherlaufen, der schon auf dem Weg in Richtung Reflektorium zum News-Fotoshooting ist – und es sich dabei nicht nehmen lässt, einen Teil der Fotoausrüstung zu tragen.

Nation

Ihre Amtszeit geht zwei Tage vor dem Nationalfeiertag zu Ende. Was bedeutet dieser Tag für Sie? Herbstferien und Gulaschkanone, so wie für die meisten Österreicher?

Die Bedeutung hat sich im Lauf der Zeit gewandelt. Der Nationalfeiertag soll uns daran erinnern, dass die letzten Soldaten Österreich verlassen haben und im Nationalrat das Neutralitätsgesetz beschlossen wurde. Aber auch daran, dass man zu einem Identitätskern findet, der uns ausmacht. Ich glaube, dass wir bis heute auf dieser Suche sind. Viele haben ihre dörfliche oder städtische Herkunft im Blickfeld, wenn sie an Heimat denken, die Sprache oder den Dialekt, den sie sprechen. Ich denke, dass uns das Momentum der Befreiung definiert, also die Selbstständigkeit Österreichs, die Rolle als Brückenbauer. Man identifiziert sich auch mit dem Musikgut, mit den Liedern. Flagge und Wappen sind identitätsstiftend, auch unsere Kulturgemeinschaft. Hier kommen mehrere Momente zusammen.

Sie haben gesagt, wir sind noch auf der Suche nach einem Identitätskern. Was suchen wir denn noch?

Eine große Frage ist, wie identifizieren sich jene mit diesem Land, die nach Österreich gezogen sind? Es gibt aber auch viele hier geborene Menschen, die leider nicht einmal mehr den Text der Bundeshymne kennen. Wir sind auf der einen Seite durch die Digitalisierung in einem ungeheuren Ausmaß international geworden. Und auf der anderen Seite wird die Sehnsucht der Menschen immer größer, ihre Wurzeln zu finden. Aus diesem Spannungsverhältnis ergibt sich natürlich eine Suche.

Welche Werte machen Österreich aus?

Die liberale Demokratie und alles, was die Demokratie beinhaltet, wie Freiheit und Sicherheit. Unsere lange kulturelle Tradition im Geist des Christentums und des Judentums. Es ist sicherlich ein Wert, dass der Österreicher etwas schaumgebremster und vorsichtiger ist als deutschsprachige Menschen im Norden. Schauen wir, warten wir ab, man verwendet gerne Verkleinerungsformen. Und er hat eine ungeheure Beziehung zur Natur und zu dem, was ihn umgibt. Der Großteil der Menschen in Österreich will in Einklang damit leben.

Ändert sich mit der Zeit, was man als typisch österreichisch erlebt?

Es wird sich immer wieder verändern, und dagegen ist auch nichts einzuwenden, wenn die Grundprinzipien der liberalen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit erhalten bleiben. Ich sehe dort ein Problem, wo versucht wird, aus religiöser Motivierung Parallelgesellschaften zu errichten. Das ist eine Gefahr, gegen die man massiv auftreten muss.

Aber ansonsten sind Sie tolerant, was die Auslebung des Österreichertums betrifft?

Man darf das nicht nur an der Lederhose und dem Krügel Bier festmachen. Essen, Kleidung und Tracht gehören sicher auch dazu, aber sind nicht alles. Ich glaube, das Österreichertum spielt sich eher im Kopf und im Herzen ab.

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 © Matt Observe/news

Man darf das nicht nur an der Lederhose und dem Krügel Bier festmachen. Essen, Kleidung und Tracht gehören sicher auch dazu, aber sind nicht alles. Ich glaube, das Österreichertum spielt sich eher im Kopf und im Herzen ab.

Demokratie

Das Vertrauen in die Demokratie ist laut Sora-Demokratie-Monitor zwischen 2018 und 2023 von 48 auf 39 Prozent zurückgegangen. Das deckt sich mit Ihrer Amtszeit. Was ist in dieser Zeit passiert?

Diese Vertrauensindizes gehen schon viel länger sukzessive zurück. Und das Misstrauen gilt nicht dem Parlament an sich, sondern den Repräsentanten, den Parteien. Denn die Zustimmung zur Demokratie ist mit 80 Prozent immer noch gleichbleibend hoch.

Was sagt uns dieser Widerspruch?

Dass wir mehr tun müssen, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu erhalten und zurückzugewinnen. Das gelingt nur mit Transparenz, sehr großer Offenheit und Diskussionsbereitschaft. Darum forcieren wir das offene Parlament. 540.000 Besucherinnen und Besucher haben das Hohe Haus im vergangenen Jahr besucht, etwa im Rahmen der Demokratiewerkstatt, Parlament on Tour und vielem mehr.

Laut Demokratie-Monitor 2022 stimmten 59 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Politik und Medien unter einer Decke stecken. Wo kommt dieses Misstrauen her?

Wir sind viel transparenter als in den Zeiten der 1950er- und 60er-Jahre, wo die Anerkennung der Politik aber viel höher war. Unsere Zeit hat sich massiv verändert. Wir erleben mit der Digitalisierung gerade einen Umbruch, dessen Auswirkungen und Breitenwirkung uns noch gar nicht bewusst sind. Wenn man von der Hirnforschung ausgeht, sieht man, dass 55 bis 60 Prozent der Menschen keine Veränderung wollen. Veränderung macht den Menschen Angst, und Angst ist ein schlechter Begleiter. Früher sind die Menschen nicht in einen Zug eingestiegen, weil sie sich vor der Geschwindigkeit gefürchtet haben. Wir müssen sehen, dass wir immer wieder Zeiten totaler Umbrüche erleben, in denen das Vertrauen vorübergehend sinkt.

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 © News/Matt Observe

Wir müssen sehen, dass wir immer wieder Zeiten totaler Umbrüche erleben, in denen das Vertrauen vorübergehend sinkt.

Persönliche Bilanz

Sie waren sehr lange in der Politik. Wie hat sie sich in den letzten
42 Jahren verändert?

Als ich 1982 in der Kommunalpolitik begonnen habe, war das Tempo ein ganz anderes. Aber auch in anderen Hinsichten waren die Veränderungen enorm, etwa in der Landwirtschaft. Dazu kommt die europäische Perspektive. Ich bin noch am Eisernen Vorhang aufgewachsen und sogar einmal in der Tschechoslowakei inhaftiert worden, wegen eines versehentlichen Grenzübertritts beim Schwammerlsuchen. Heute wissen viele junge Menschen nicht einmal mehr, was der Eiserne Vorhang war. Denken Sie an die ganze technologische Entwicklung, Handy, Smartphone und so weiter, die auch die Verfügbarkeit des Menschen enorm verändert hat. Die Steigerung der Produktivität. Alle die Berufsgruppen, die verschwunden sind. Das riesige Thema Migration. Vieles in diesem Land hat sich im Laufe der Zeit total verändert.

Bereuen Sie irgendetwas in Ihrem langen politischen Leben?

Nein. Fehler sind natürlich passiert, und wenn das der Fall war, habe ich mich immer dafür entschuldigt. Aber bereuen? Das ist ein sehr kirchlicher Begriff. Anders machen würde ich das eine oder andere sicher.

Wenn Sie in Österreichs Zukunft blicken, was überwiegt, Optimismus oder Pessimismus?

Immer Optimismus. Mit Pessimismus ist man noch nie weitergekommen. Immer das Glas halb leer zu sehen, bringt Sie nur in eine depressive Stimmung.

Es ist einfach unerträglich, den jungen Menschen ständig Angst vor dem Zukünftigen zu machen. Was hätten unsere Großmütter getan, als damals alles zerschlagen war?

Aber es gibt viele Parameter, die nicht gut aussehen im Moment. Machen Sie sich Sorgen?

Das ist immer eine Frage der Statistik. Wer macht sie? Wer interpretiert die Zahlen? Natürlich wird in einem Konjunkturzyklus immer wieder mal die Wirtschaft weniger brummen, dann läuft sie wieder besser. Ich glaube, wir sind in einer mittleren Performance. Das erkennt man auch am Wohlstand.

Der geht langsam, aber doch zurück.

Natürlich gibt es auch immer Seitbewegung. Aber genau das habe ich auch bei „Fridays for Future“ immer kritisiert, diese ewige apokalyptische Endzeitstimmung. Das überlasst bitte der Religion. Es ist einfach unerträglich, den jungen Menschen ständig Angst vor dem Zukünftigen zu machen. Was hätten unsere Großmütter getan, als damals alles zerschlagen war? Wir leben heute in der Fülle, und sind zugleich so ängstlich. Wir leben in einer der besten Zeiten, aber wir reden nur über die Krisen. Natürlich, es gibt immer noch Leute, die arm sind oder ungerecht behandelt werden. Aber das Paradies gibt’s nicht mehr, an den Gedanken mussten sich schon Adam und Eva gewöhnen.

Positiv denken, ist das Ihr Leitsatz?

Ich glaube, wenn wir das aufgeben, hören wir auf, uns zu behaupten und unseren Mann und unsere Frau zu stehen. Das ist das Zentralste. Darum bin ich ja in die Politik gegangen. Und ich würde es sofort wieder machen.

Politik Inland

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