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Sebastian Enskat: „Deutschland ist von österreichischen Verhältnissen nicht mehr allzu weit entfernt“

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14 min

Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger

©APA/HELMUT FOHRINGER
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Der Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Wien, spricht im News-Interview über zulässige und unzulässige Vergleiche zwischen österreichischer und deutscher Politik. Eines sei beiden Ländern jedenfalls gemeinsam, sagt er: Die politische Mitte ist geschwächt. Die neuen Regierungen müssen liefern – und ihre letzte Chance nutzen, das Ruder noch herumzureißen.

In Österreich wurde gerade eine Dreierkoalition angelobt, in Deutschland ist eine ähnliche Konstellation vor wenigen Monaten krachend gescheitert. Kann man daraus ableiten, dass so eine Zusammenarbeit auch in Österreich keine gute Idee ist – oder ist das nicht so einfach zu vergleichen?

Ich denke, man muss mit solchen Verallgemeinerungen vorsichtig sein. Es sind natürlich Parallelen zu beobachten, aber vieles ist doch nicht so ohne Weiteres übertragbar. Nimmt man Umfragen zum Maßstab, gibt es tatsächlich eine relativ einhellige Meinung darüber, dass die Performance der Ampelregierung in Deutschland alles anderes als gut war. Das Wahlergebnis war auch entsprechend, und die wesentlichen Protagonisten der Ampel haben sich auch alle aus der Politik zurückgezogen oder übernehmen zumindest keine Führungsrolle mehr. Ob das jetzt ausschließlich oder hauptsächlich daran liegt, dass es eine Dreierkonstellation war, würde ich aber doch hinterfragen. Da spielen auch viele andere Faktoren eine Rolle. Ich denke, die österreichische Regierung hat durchaus die Chance zu zeigen, dass Dreierkonstellationen funktionieren können.

Die NEOS sind in Österreich bereits einmal vom Verhandlungstisch aufgestanden, weil sie mit ihren Grundsätzen und ihrem politischen Stil nicht durchgekommen sind. Von ähnlichen Prinzipien geleitet hat Christian Lindner in Deutschland die Koalition gesprengt. Glauben Sie, in Österreich könnte es auch dazu kommen?

Es ist sicher schwierig für den kleinsten Partner in einer Dreierkoalition, sichtbar zu sein und politisch vorzukommen. Aber die NEOS unterscheiden sich doch in einigen Punkten von der FDP, so ähnlich sie auf den ersten Blick sein mögen. Die NEOS haben den Vorteil, dass sie programmatisch in der Mitte zwischen ihren beiden Partnern stehen. Wirtschaftspolitisch haben sie vieles mit der ÖVP gemeinsam, gesellschaftspolitisch mit der SPÖ. Von daher gibt es, glaube ich, in Österreich durchaus die Chance, dass das besser funktioniert. Die FDP war dagegen immer nur das kleine Stützrad am rot-grünen Wagen und hatte es schwer, sich mit ihren deutlich anderen Vorstellungen durchzusetzen.

In Deutschland wurde im Wahlkampf viel vor „österreichischen Verhältnissen“ gewarnt. Was ist damit genau gemeint?

Ich glaube, es geht dabei vor allem um zwei Dinge: Das eine ist, dass die rechtspopulistische österreichische Partei noch einmal deutlicher stärker ist als die AfD in Deutschland. Und das andere ist die Frage der Kompromissfähigkeit der Mitte. Österreich befindet sich hier bereits auf einer deutlich abschüssigeren Bahn. Die Tatsache, dass es der ­„Zuckerlkoalition“ beim ersten Versuch nicht gelungen ist, sich zu einigen, zeigt das, denke ich, recht deutlich. So weit sind wir in Deutschland noch nicht. Allerdings, wenn ich an den doch sehr schrillen Wahlkampf der letzten Wochen denke, gibt es durchaus Grund zur Sorge, dass wir von österreichischen Verhältnissen in Deutschland nicht mehr allzu weit entfernt sind.

Die Mitte ist in Österreich also geschwächter als in Deutschland?

Was den politischen Diskurs angeht, ist das so. Allerdings muss man sagen, dass Deutschland kräftig aufgeholt hat. Bei dieser Wahl war zu beobachten, dass die Parteien der politischen Ränder 20 Prozent Zugewinne erzielt haben. Besonders alarmierend ist, dass den populistischen Parteien bei den Erstwählern ein regelrechter Erdrutschsieg gelungen ist. Ähnlich alarmierend sind die Zahlen in Ostdeutschland – in Thüringen und Sachsen kratzt die AfD inzwischen an der 40-Prozent-Marke. Wenn man in Deutschland glaubt, wir seien noch weit entfernt von österreichischen Verhältnissen, würde ich einwenden, dass der Trend außerordentlich besorgniserregend ist.

Warum erodiert die Mitte so stark?

Ein wesentlicher Faktor ist, dass die letzte Regierung in der Wahrnehmung der Leute nicht geliefert hat. Viele Pro­bleme, die ihnen auf der Seele brennen, wurden nicht angegangen. Und in bestimmten Bereichen, wenn es um Standortpolitik oder Wettbewerbsfähigkeit geht, sind offensichtlich keine befriedigenden Lösungen gefunden worden. Aber Deutschland und auch Österreich sind damit ja nicht allein. Es gibt europaweite Trends, gegen die Parteien der politischen Mitte ankämpfen: Polarisierung, Fragmentierung, ein hohes Maß an Unzufriedenheit und Verunsicherung. Wenn ich das Kernproblem skizzieren sollte, würde ich sagen, dass wir in der Demokratie Bereitschaft zum Kompromiss brauchen, wir brauchen Geduld, wir brauchen Verständnis für komplizierte Aushandlungsprozesse und auch dafür, dass dabei nicht immer die besten Lösungen herauskommen. Und gleichzeitig, wenn ich mir den politischen Diskurs – und dabei vor allem den Diskurs in den sozialen Medien – ansehe, dann wird dort eigentlich genau das Gegenteil befördert: Kompromisslosigkeit, Schwarz-Weiß-Denken, vermeintlich einfache Lösungen, eine immer schrillere Sprache, Hysterie und Hass. Im Ergebnis driften die Erwartungen der Leute und das, was Politik tatsächlich leisten kann, immer weiter auseinander.

Wir befinden uns auf einer derart schiefen Bahn, dass wir uns ein weiteres Scheitern nicht leisten können

Sebastian Enskat

Könnte man sagen, dass die Gesellschaft regrediert und wir alle immer ein bisschen kindischer werden? War das Bewusstsein dafür, dass nicht immer alles genauso sein kann, wie man es gerne hätte, früher vielleicht ausgeprägter als heute?

Der Anteil der Leute, die einfache Antworten auf komplizierte Fragen möchten, nimmt jedenfalls ganz offensichtlich zu. Es ist den Populisten von rechts und von links gemeinsam, dass sie vorgeben, einfache Lösungen parat zu haben. Offensichtlich sehnen sich viele Menschen danach. Aufgabe der Parteien der politischen Mitte ist es dagegen, darauf hinzuweisen, dass die Dinge komplizierter sind und gleichzeitig überzeugend darzulegen, dass man trotzdem in der Lage ist, Antworten zu liefern.

Was den Aufstieg der Rechtspopulisten betrifft, hat man ganz besonders stark den Eindruck, dass sich in Deutschland gerade etwas wiederholt, das in Österreich schon vor Jahrzehnten passiert ist. Auch hier die Frage: Kann man das so einfach vergleichen?

Auch hier würde ich sagen, man muss mit solchen Vergleichen vorsichtig sein. Im europäischen Vergleich ist Deutschland aber in der Tat ein Nachzügler. Die Tatsache, dass die AfD so stark abschneidet wie jetzt bei der Bundestagswahl, ist ja ein relativ neues Phänomen. Das hat in der Zeit, in der die Ampel regiert hat, ganz erheblich zugenommen. Insofern ja, was die reinen Zahlen angeht, holt man hier einen Prozess nach.

Wie sehr sind FPÖ und AfD inhaltlich zu vergleichen?

Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben, die zu dem Schluss kommt, dass die beiden Parteien im Wesentlichen sehr ähnlich sind. Unterschiedlich ist dagegen der Umgang mit den beiden ­Parteien in Deutschland und Österreich. In Österreich ist die FPÖ schon sehr lange in Regierungsverantwortung eingebunden, während die AfD in Deutschland außen vor gehalten wird. Der Clou ist aber: Das Ergebnis ist in beiden Ländern sehr ähnlich. Wer also glaubt, eine dieser beiden Varianten des Umgangs mit rechtspopulistischen Parteien – Einbindung oder Ausgrenzung – wäre allein schon die Lösung, muss feststellen, dass es so einfach ganz offenbar nicht ist.

Wie könnte eine dritte Lösung aussehen, die diese beiden Varianten vermeidet, glauben Sie?

Es wäre schon einmal viel gewonnen, wenn sich alle eingestehen, dass es auch für dieses Problem keine einfachen Lösungen gibt. Ich bin deshalb auch immer irritiert, wenn manche in Deutschland glauben, man müsse nur laut genug „Nazi“ schreien und die Brandmauer hochhalten, dann erledige sich das Problem schon irgendwie von selbst. Es irritiert mich aber auch, wenn es in Österreich nach wie vor Stimmen gibt, die sagen, die Einbindung werde irgendwann doch noch zur erhofften Entzauberung führen. Es gab zwar Phasen, in denen das funktioniert hat, aber die sind aus meiner Sicht lange vorbei. Auch weil diese Parteien viel besser darin geworden sind, sich nicht einbinden und zähmen zu lassen. Man sieht das auch daran, dass FPÖ und AfD sich in den letzten Jahren sogar noch weiter radikalisiert haben.

In Österreich hat die Einbindung der FPÖ dazu geführt, dass auch die anderen Parteien – etwa die ÖVP – immer weiter nach rechts gerückt sind, um der FPÖ das Wasser abzugraben. Beobachten Sie diesen Effekt in Deutschland auch?

Die Frage nach Ursache und Wirkung ist in diesem Zusammenhang nicht ganz leicht zu beantworten. Man konnte in den letzten Jahren ja beobachten, dass das gesamte europäische Parteiensystem gewissermaßen nach rechts gerückt ist. Es stimmt: Die CDU steht bei Migrations- und Wirtschaftsfragen heute deutlich konservativer da als noch vor einigen Jahren. Aber ich möchte anmerken, dass das auch für viele andere Parteien gilt. Die bundesdeutschen Grünen vertreten in Migrationsfrage heute beispielsweise Positionen, die sie noch vor fünf Jahren als vollkommen inakzeptabel abgelehnt haben. Die Frage ist immer: Hat das mehr mit parteiinternen Prozessen oder mit dem europäischen Zeitgeist zu tun? Bei der letzten Wahl ging es ja noch maßgeblich um die Bekämpfung des Klimawandels, jetzt um Migration. Da hat sich insgesamt etwas verändert.

Beenden wir unser Gespräch dort, wo wir es begonnen haben, bei der gerade angelobten Dreierkoalition in Österreich. Welche Chancen geben Sie dieser Konstellation?

Ich lag in den vergangenen Monaten mit meinen Prognosen schon das eine oder andere Mal daneben, von daher würde ich jetzt nicht allzu viel Geld verwetten. Aber ich glaube in der Tat, dass extrem viel davon abhängt, dass diese Konstellation funktioniert. Sowohl in Österreich als auch in Deutschland starten jetzt neue Regierungen und viele Beobachter sprechen schon von der letzten Chance für die Parteien der politischen Mitte, das Ruder nochmal herumzureißen. In gewisser Hinsicht sind diese Parteien also zum Erfolg verdammt. Wir befinden uns bereits auf einer derart schiefen Ebene, dass wir uns ein weiteres Scheitern schlicht nicht leisten können. Aber ich werte es mal als gutes Zeichen, dass man es geschafft hat, sich in der gleichen Dreierkonstellation, die schon einmal gescheitert ist, doch noch zusammenzuraufen.

Und wie geht es nach der Bundestagswahl in Deutschland weiter? Wann einigt man sich dort auf eine neue Regierung?

Ich glaube und hoffe, dass es nicht ganz so lange dauern wird wie in Österreich, bis die neue Regierung steht. Friedrich Merz hat angekündigt, dass er das bis spätestens Ostern hinbekommen will. Der Unterschied zu Österreich ist, dass es dazu eigentlich keine Alternative gibt. Auch CDU/CSU und SPD sind also zum Erfolg verdammt, insbesondere wenn man sich die weltpolitischen Entwicklungen der letzten Wochen anschaut. Die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind derart groß, dass die Kompromiss- und Handlungsfähigkeit der politischen Mitte heute vielleicht entscheidender ist als je zuvor.

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Sebastian Enskat

leitet seit August 2023 den Multilateralen Dialog Wien der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung. Bis April 2022 leitete der Politikwissenschafter die Abteilung „Demokratie, Recht und Parteien“ in der Hauptabteilung „Analyse und Beratung“ der Konrad-Ade­nauer-Stiftung.

 © Foto: Konrad Adenauer Stiftung

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 11/25 erschienen.

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