Ruanda wirbt auf dem Trikot des FC Bayern München – und um Einfluss in der Welt. 31 Jahre nach dem Völkermord will das Land Investoren anziehen, internationale Sportevents ausrichten, Vorzeigestaat werden. Dafür regiert Präsident Paul Kagame mit harter Hand – und großem Plan. Doch was ist Schein, was Fortschritt?
Der Rundruf ergibt ein klares – und vertrautes – Bild. Welche Schlagworte fallen zum Thema Ruanda? Genozid. Kindersoldaten. Berggorillas. Karin Krobath und Hans Stoisser von der afrikanisch-europäischen Initiative NextAfrica kennen diese Schlagworte nur allzu gut. „Es ist genau das Bild, das viele von dem Land haben“, sagt Krobath. Doch welche Begriffe würde sie dagegenhalten? „Frauenwunderland, Zipline, Umuganda und Imihigo.“
Umuganda und Imihigo – bitte, was? „Umuganda ist der Gemeinschaftstag, der einmal im Monat stattfindet, wo alle mitarbeiten. Das heißt: Straßen kehren oder Blumen pflanzen. Man tut etwas für die Community, für das große Ganze. Das hat den Aufbau der letzten 30 Jahre bestimmt. Am Anfang hieß das: Menschen begraben. Trümmer beseitigen. Heute hat sich das verändert“, erklärt Krobath. Und Imihigo? „Imihigo ist in der Tradition der Schwur der Krieger. Wenn man früher in den Krieg gezogen ist, hat man geschworen, für das Land zu kämpfen. Heute übernehmen das Beamte. Zu Beginn ihrer Amtszeit erklären sie öffentlich, was sie erreichen wollen. Daraus wurde ein modernes Management-System – Führen mit Zielen“, erklärt Hans Stoisser. „Das wird ziemlich durchgezogen. Denn ein Jahr später muss man Rechenschaft ablegen.“ Das zeigt sich im Alltag. Kigali, die Hauptstadt, sei gemütlich, sagt Stoisser. Geordnet. Sauber. Spürbar anders. Ruanda ist klein – 14 Millionen Menschen leben auf einer Fläche so groß wie Oberösterreich und die Steiermark zusammen.
Schatten der Vergangenheit
Es ist dieser andere Blick auf Ruanda, den Krobath und Stoisser vermitteln wollen. Ein Land, das in vielen Köpfen noch immer für den Genozid steht – oder wie gerade aktuell mit den Kämpfen im Ostkongo von sich Reden macht. Geschärft wird der Blick bei „Learning Journeys, die Unternehmen und Menschen mit einem unternehmerischen Denkansatz oder einfach nur aus Neugier nach Afrika führen – z. B. vom 12. bis 15. Mai in die Hauptstadt Kigali. Die Reise soll den Teilnehmern neue Märkte erschließen, Einblicke geben, Verständnis fördern. Im Januar 2026 folgt Nairobi. Der Fokus dort: Zahlungsökosysteme und Fachkräftemigration. (Infos und Anmeldung: www.nextafrica.cc)
Doch warum halten sich stereotype Bilder über Afrika so hartnäckig? Eine Erklärung ist die oft eurozentristische Denkweise. Ein eingeengtes Bild. Dazu viele Vorurteile. Bestes Beispiel: der sogenannte „Ruanda-Deal“, den Großbritannien plante, um Geflüchtete nach Afrika abzuschieben. Stoisser hat eine weitere Erklärung: „Man verbindet Afrika immer zuerst mit Armut und Entwicklungshilfe. Gefährlich sowieso. Und im Fall von Ruanda: der Genozid.“
Das Morden dauerte 100 Tage. In Kigali allein wird 250.000 Toten gedacht. Und doch: Der Völkermord wird offen aufgearbeitet. „Man verweist immer auf diesen Tag X vor mittlerweile 31 Jahren“, sagt Stoisser und ist überzeugt: „Diese Verarbeitungskultur kann als gelungen gesehen werden.“ Noch heute finden auf dem Land Vergebungsrituale statt – zwischen Familien, die einander einst ausgelöscht haben.




Krieg im Ostkongo: Ruandas umstrittene Rolle
Tausende Tote, unzählige Verletzte, Hunderttausende auf der Flucht – seit zwei Monaten eskaliert die Gewalt im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Es ist der schwerste bewaffnete Konflikt in der Region seit über einem Jahrzehnt. Auf der einen Seite steht die Rebellengruppe M23, unterstützt von schätzungsweise bis zu 7.000 Soldaten aus dem benachbarten Ruanda. Auf der anderen Seite: die kongolesische Armee. Friedensverhandlungen sind bislang gescheitert.
Die kongolesische Regierung wirft Ruanda vor, sich mithilfe der M23-Rebellen an den reichen Bodenschätzen im Ostkongo zu bereichern. Ruanda liefere Waffen und entsende Tausende Soldaten, um die Rebellengruppe zu stärken. Präsident Paul Kagame weist alle Vorwürfe zurück. Fakt ist aber auch: Ruanda exportiert pro Jahr Rohstoffe im Wert von über einer Milliarde US-Dollar – doppelt so viel wie noch vor zwei Jahren. Experten sind überzeugt: Ein Großteil dieser Exporte stammt aus dem Kongo. Auch die Vereinten Nationen schlagen Alarm. Ihr Vorwurf: Ruanda und die M23 beuten im Ostkongo systematisch Gold, Coltan und Seltene Erden aus.
Drohnen und Verbote
31 Jahre nach dem Genozid gilt Ruanda – das „Land der tausend Hügel“ – als eines der sichersten und fortschrittlichsten Länder Afrikas. Die Hauptstadt Kigali ist eine Musterstadt: saubere Straßen, funktionierende Verwaltung. Wer zu schnell fährt, bekommt das Strafmandat aufs Handy geschickt. Eine zentrale Figur in diesem Wandel ist Präsident Paul Kagame. Identifikationsfigur – und vor allem im Ausland umstritten. „Natürlich ist er autokratisch“, sagt Stoisser. „In der New York Times wird Kagame permanent als Diktator bezeichnet.“ Ob er ein guter Präsident war oder nicht – das werde die Geschichte zeigen.
Krobath und Stoisser lenken den Blick auf das, was gelingt. Ein Beispiel: Zipline. Das US-Unternehmen betreibt in Kooperation mit dem ruandischen Gesundheits- und Justizministerium ein Drohnen-Liefersystem für medizinische Güter. „Statt in mehreren Stunden ist man jetzt mit einer Drohne in 20 Minuten in entlegenen Gebieten. Das hat mit Blutkonserven begonnen. Mittlerweile werden auch Medikamente so ausgeflogen“, sagt Stoisser. Auch politisch zeigt das Land Haltung. Ein Beispiel: Altkleiderimporte. „Ganz Ostafrika wollte die Einführung von alten Kleidungsstücken verbieten. Was tut man auch mit einem Pelzmantel in Kigali?“, erzählt Krobath. Die erste Trump-Administration sah darin ein Problem. Mehr als
600 US-Unternehmen leben schließlich vom Second-Hand-Business. Die Drohung: Strafzölle. Uganda, Kenia und Tansania lenkten ein. Ruanda nicht. Plastiktüten? Seit 2008 verboten. Auch der Besitz ist strafbar – und wird kontrolliert.
Afrikas Zukunftslabor
Ruanda setzt zudem unternehmerisch Maßstäbe. Eine Firma lässt sich in einem Tag gründen. Das Land gilt längst für europäische Start-ups als attraktiver Standort. Der Frauenanteil im Parlament liegt bei 64 Prozent – weltweiter Spitzenwert. Und Ruanda denkt voraus: Als erster afrikanischer Staat hat es eine eigene KI-Strategie verabschiedet. Künstliche Intelligenz soll helfen, Armut, Hunger, Krankheiten und Klimakrise zu bewältigen.
Afrika wächst. Schon 2050 könnte laut UN jede vierte Person weltweit von hier stammen. Ruanda ist bereit, weiter aufzuzeigen. Nicht laut. Aber entschlossen.


Ruanda & der FC Bayern: Millionen für das gute Image
in Land, das zu den ärmsten der Welt zählt, investiert Millionen in europäische Spitzenklubs – auch der FC Bayern München ist Teil dieses umstrittenen Marketings. Seit 2023 wirbt der Verein mit dem Slogan „Visit Rwanda“ auf seinen Plattformen. Der Deal mit dem ruandischen Sportministerium soll dem Klub jährlich über fünf Millionen Euro einbringen und reiht ihn ein in die Liste großer europäischer Vereine wie Arsenal und PSG.
Ruandas Präsident Paul Kagame setzt seit Jahren gezielt auf Sport, um das internationale Image seines Landes aufzupolieren. Bereits 2018 sicherte sich Ruanda mit dem Slogan „Visit Rwanda“ einen Platz auf der Trikotbrust des FC Arsenal. Zwei Jahre später folgte Paris Saint-Germain, das laut Medienberichten rund 15 Millionen Euro jährlich aus Kigali erhält. Der Fünfjahresvertrag des FC Bayern mit dem ruandischen Sportministerium bringt dem Klub nicht nur Millionen ein, sondern beinhaltet auch ein Engagement im Jugendfußball – etwa durch den Aufbau einer Akademie in Ruanda. Doch genau diese Investitionen rufen zunehmend Kritik hervor. Beobachter sprechen von gezieltem „Sportswashing“. Der Vorwurf: Kagame nutze den internationalen Spitzensport, um von innenpolitischen Problemen abzulenken.
Gleichzeitig verfolgt Kagame ambitionierte sportpolitische Ziele. Heuer soll in Kigali erstmals eine Straßenrad-Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden stattfinden. Auch ein Formel-1-Rennen steht auf der Wunschliste des Präsidenten – der letzte Grand Prix in Afrika liegt über 30 Jahre zurück. Und warum nicht auch einmal Gastgeber einer Fußball-Weltmeisterschaft sein? Erste diplomatische Annäherungen gibt es bereits: 2023 fand der FIFA-Jahreskongress in Ruandas Hauptstadt statt.


Völkermord: Das blutige Erbe
Ruanda, 1994: Ein Völkermord erschüttert das Land. Innerhalb von nur 100 Tagen töten radikale Hutu bis zu eine Million Menschen – vor allem Tutsi, aber auch gemäßigte Hutu. Es ist ein beispielloser Gewaltexzess: Menschen werden gejagt, vergewaltigt, traumatisiert. Die Wurzeln dieses Konflikts reichen weit zurück – bis in die Kolonialzeit. Deutsche und später belgische Kolonialherren konstruierten eine ethnische Trennung zwischen Hutu und Tutsi, erklärten die Tutsi zur überlegenen Gruppe, gewährten ihnen Bildung und politische Macht, während die Hutu systematisch benachteiligt wurden.
Der unmittelbare Auslöser des Genozids: Am 6. April 1994 wird das Flugzeug des damaligen Präsidenten Juvénal Habyarimana abgeschossen. Das Regime der Hutu-Extremisten reagiert mit einem koordinierten, systematischen Massenmord.
Inmitten des Terrors marschiert Paul Kagame, damals General und Anführer der Tutsi-dominierten Rebellenarmee RPF, mit seinen Truppen in Kigali ein – und beendet das Morden. In den Jahren danach steigt er zum Verteidigungsminister, später zum Vizepräsidenten auf. Seit dem Jahr 2000 steht er an der Spitze des Staates.
Dass Täter und Opfer heute weitgehend friedlich zusammenleben, gilt international als eine der großen Leistungen Kagames – auch wenn sein autoritärer Führungsstil zunehmend in der Kritik steht.


Tor zu Afrika: Wie Katar sich Einfluss kauft
Ruanda ist klein, aber wirtschaftlich auf dem Vormarsch. Das Land gehört zu den am dichtesten besiedelten Staaten Afrikas – und verzeichnet seit Jahren ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum. Im Gegensatz zu vielen seiner Nachbarländer gilt Ruanda als vergleichsweise korruptionsfrei, was es für internationale Investoren zunehmend attraktiv macht. Das US-Unternehmen Zipline betreibt beispielsweise in Kooperation mit dem ruandischen Gesundheits- und Justizministerium ein Drohnen-Liefersystem für medizinische Güter (Bild). Einer der wichtigsten Partner aber ist Katar. Emir Tamim bin Hamad Al Thani unterhält enge Beziehungen zu Ruanda. Sein Golfstaat hält 49 Prozent an der nationalen Fluggesellschaft RwandAir und kontrolliert die Mehrheit am neuen internationalen Flughafen nahe der Hauptstadt Kigali. Das ambitionierte Infrastrukturprojekt, der Flughafen Bugesera, entsteht rund 40 Kilometer südlich von Kigali. Die Kosten: 1,2 Milliarden Euro. Bis zu acht Millionen Passagiere sollen dort künftig jährlich abgefertigt werden. Die erste Bauphase soll Ende 2027 abgeschlossen sein.


Der umstrittene Ruanda-Deal
Der sogenannte Ruanda-Asyldeal ist eines der umstrittensten migrationspolitischen Vorhaben Europas. Bereits 2022 unter dem damaligen Premierminister Boris Johnson angestoßen, wurde das Abkommen im April 2024 vom britischen Parlament verabschiedet. Die Idee: Migranten, die illegal nach Großbritannien einreisen, sollen nicht mehr dort Asyl beantragen dürfen, sondern direkt nach Ruanda ausgeflogen werden – unabhängig von ihrer Herkunft. Das Asylverfahren soll vollständig in Ruanda stattfinden; selbst bei einem positiven Bescheid bleibt eine Rückkehr nach Großbritannien ausgeschlossen. Für die Umsetzung zahlt London bis zu 584 Millionen Euro an Kigali – zusätzlich zu weiteren Zahlungen pro abgeschobenem Asylwerber. Die britische Regierung erhofft sich von dem Deal eine Abschreckungswirkung sowie eine Entlastung des stark überlasteten Asylsystems.
Doch das Abkommen sorgt für massive Kritik – juristisch wie moralisch. Der Oberste Gerichtshof in London erklärte es zunächst für rechtswidrig. Menschenrechtsorganisationen warnen vor gravierenden Verstößen gegen internationale Standards. Sie bezweifeln, dass das ruandische Asylsystem fair und zuverlässig ist. Kritiker sprechen von einem zynischen Modell, das auf Abschottung um jeden Preis setzt – auf Kosten der Schutzsuchenden. Besonders heftig kritisiert wird ein Passus, der britische Gerichte verpflichtet, Ruanda als sicheren Drittstaat anzuerkennen – und damit den Rechtsschutz für Geflüchtete massiv einschränkt. Ruanda wiederum erhofft sich durch das Abkommen wirtschaftliche Impulse und eine internationale Aufwertung. Die Gelder sollen in einen Fonds zur Förderung der Entwicklung fließen.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 15/25 erschienen.