Laut Klimaexperten ist das Renaturierungsgesetz der EU ein wichtiges Vorhaben zum Erhalt von Arten und Natur. Doch nun wird politisch gegen das Gesetz Stimmung gemacht. Katharina Rogenhofer und Franz Essl beantworten die wichtigsten Fragen
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Kommende Woche treffen sich die EU-Umweltministerinnen und -minister. Sie könnten dabei dem Renaturierungsgesetz zustimmen, das vom EU-Parlament längst beschlossen, von einigen Nationalstaaten aber auf die lange Bank geschoben wurde. Auf die Tagesordnung kommt das Vorhaben wohl nur, wenn eine Mehrheit für das Gesetz winkt. Doch dieses wichtige Element des Green Deal war Spielball im EU-Wahlkampf. In Österreich blockiert die ÖVP, Klimaministerin Leonore Gewessler, die für das Gesetz ist, darf wegen des Vetos der Landeshauptleute nicht zustimmen. Und weil nach der EU-Wahl vor der Nationalratswahl ist, wird das Gezerre weitergehen. Doch was ist dran an den Argumenten, die vor allem die ÖVP vorbringt? Klimaexpertin Katharina Rogenhofer (Kontext Institut) und der Biodiversitätsforscher Franz Essl (Uni Wien) beantworten die wichtigsten Fragen.
Wofür braucht Europa das Renaturierungsgesetz?
Es geht bei diesem Gesetz um den Stopp des Artenverlustes, den Kampf gegen den Klimawandel und die Sicherung der Ernährung. Die EU-Mitgliedsstaaten würden sich damit verpflichten, geschädigte Ökosysteme in ihrem Staatsgebiet wiederherzustellen. Dazu zählen Wälder, Moore, Wiesen, Seen, Flüsse und Meere. Es gibt einen Stufenplan, beginnend mit 30 Prozent der Ökosysteme 2030, endend mit 90 Prozent 2050. Angestrebt ist z. B. die Pflanzung von mindestens drei Milliarden Bäumen und die Schaffung von 25.000 Kilometern frei fließenden Flüssen. Mehr als 80 Prozent der Lebensräume in der EU sind in einem schlechten Zustand.
Österreich tut ohnehin so viel. Oder etwa doch nicht?
„In Österreich gibt es einen massiven Rückgang bei den Brutvögeln, knapp die Hälfte ist in den letzten 25 Jahren aus den Kulturlandschaften verschwunden. Auch das Insektensterben hat mittlerweile jeder wahrgenommen. Es stimmt einfach nicht, dass in Österreich alles wunderbar wäre“, sagt Essl. Was notwendig wäre, sehe man etwa bei den jüngsten Hochwässern. Wenn Feuchtgebiete und Auen abgetrennt oder zerstört sind, halten sie das Wasser nicht mehr zurück. „Vieles, was im Renaturierungsgesetz steht, müssen wir ohnehin tun“, sagt Klimaexpertin Katharina Rogenhofer, „etwa unsere Wälder klimafit zu machen. Die derzeit noch vorherrschenden Fichtenmonokulturen sind anfällig für den Borkenkäfer, gerade in Zeiten der Klimakrise. Man muss hier aktiv eingreifen, damit der Wald wieder natürlicher und widerstandsfähiger wird.“ Für ohnehin Notwendiges könnte sich Österreich durch das Renaturierungsgesetz künftig auch noch Geld von der EU holen.
Ist die Ernährungssicherheit bedroht, weil Ackerflächen stillgelegt werden?
Für Rogenhofer zählt das zu den ärgerlichsten Fake News rund um das Renaturierungsgesetz, „weil Menschen damit Angst gemacht wird. Im Gesetz steht nirgendwo, dass verpflichtende Außernutzungstellungen angeordnet werden. Die EU-Staaten können einmelden, welche Flächen sie renaturieren wollen. Das können Flächen sein, bei denen ohnehin schon Renaturierungen geplant sind.“ Essl ergänzt: „Gerade zur Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion in Europa ist es notwendig, den Zustand der Natur zu verbessern. Nur in einer einigermaßen intakten Landschaft, wo es Rückzugsräume für Bestäuberinsekten gibt und der Grundwasserspiegel nicht ins Bodenlose fällt, wird man langfristig gute Ernteerträge haben.“ Allerdings müsse die Politik im Land auch attraktive Angebote für Grundbesitzer machen. Rogenhofer verweist zudem darauf, dass jene Politiker, die das Renaturierungsgesetz ablehnen, keine Sorge um die Versorgungssicherheit haben, wenn sie Höchstquoten für die Bodenversiegelung torpedieren.
Ist das Renaturierungsgesetz ein Bürokratiemonster?
„Ganz klar: nein“, sagt Essl. Aber natürlich gebe es, wie bei jedem Gesetzesvorhaben, Berichtspflichten der Länder. „Wenn man überhaupt keine Kontrolle hat, hat man aus europäischer Sicht auch keine gemeinsamen politischen Ziele mehr“, sagt er. Die Berichtspflichten seien aber „relativ schlank“. Dass die Bauern Schmetterlinge zählen müssen, wie von der ÖVP im Wahlkampf angeprangert, stimme nicht, so Essl. Der Schmetterlingsindex sei einer von mehreren möglichen Indikatoren, an denen man erkennen könne, ob sich der Zustand der Natur verbessert habe. Die Länder können auswählen, ob sie diesen oder einen anderen Indikator einsetzen. Schon jetzt werde die Artenvielfalt an Schmetterlingen in Österreich an ausgewählten Zählstrecken beobachtet. Aber: „Das machen Experten und interessierte Laien. Das ist keine Verpflichtung für Bauern oder Grundbesitzer.“ Rogenhofer zeigt aber auch Verständnis für die Bedenken von Grundbesitzern. „Natürlich bringt die Stabilisierung des Ökosystems auch Arbeit. Aber da muss es auf Länderebene Ressourcen geben, damit die Landwirtinnen und Landwirte das nicht selber machen müssen.“ Zudem habe die Folgekostenabschätzung vor dem Beschluss des Gesetzes gezeigt, dass jeder Euro, der für die Renaturierung ausgegeben werde, im Durchschnitt etwa zwölffach zurückkommt – etwa durch vermiedene Umweltschäden oder höhere Ernteerträge.
Wie wird in Städten renaturiert, man kann ja nicht halb Wien rückbauen?
Auch in Städten gebe es Beispiele gelungener Flussrenaturierungen, erklärt Essl. München, in der Größe vergleichbar mit Wien, habe etwa in den letzten zehn Jahren die Isar renaturiert. Ein vollkommener Rückbau sei in einer Stadt natürlich nicht möglich, es wurden aber z. B. Schotterbänke geschaffen, die auch von der Bevölkerung als Erholungsplätze gut angenommen werden. Rogenhofer verweist bei den Flüssen auf eine Falschmeldung mancher Politiker: „Es wurde die Sorge verbreitet, dass die Wasserkraft rückgebaut werden muss. Das stimmt nicht. Nur Bauwerke, die keinen Nutzen mehr haben, könnte man rückbauen, damit der Fluss frei fließt.“
Wer sind die größten Blockierer in Sachen Renaturierung?
„Veränderungen erzeugen Ängste, Sorgen und Widerstände“, sagt Essl und verweist auf die Debatte über das Rauchverbot in Lokalen vor einigen Jahren. „Heute würde niemand den früheren Zustand zurückwollen.“ Solche Ängste und Sorgen gebe es auch jetzt, obwohl gleichzeitig in repräsentativen Umfragen drei Viertel der Befragten die Ziele des Renaturierungsgesetzes teilen. „Ängste lassen sich leider auch politisch bewirtschaften oder schüren, mit Aussagen, die in keiner Weise dem Inhalt des Gesetzes entsprechen. Das ist ein Zugang, der einer verantwortungsvollen Politik nicht angemessen ist.“ Die wissenschaftliche Evidenz und der Handlungsbedarf seien klar. „Aber manchmal gibt es nicht den ausreichenden politischen Willen, für das Notwendige engagiert einzustehen.“
Was passiert, wenn nichts passiert?
„In Österreich sind 80 Prozent der Arten und Lebensräume in einem schlechten Erhaltungszustand. Wenn dieses Gesetz auf die lange Bank geschoben wird, dann besteht die Gefahr, dass das so bleibt und dass wir weiter ein Artensterben und auch einen Rückgang von Kulturlandschaften wie Almen und Weiden sehen werden“, sagt Katharina Rogenhofer. Und mit Blick auf das neu gewählte Europaparlament: „In Zukunft ist es noch viel unwahrscheinlicher, dass nach diesem Green Deal ein noch ambitionierterer Green Deal 2 kommt, der Umwelt- und Naturschutzanliegen umsetzt.“ Essl sagt: „Die EU hat sich in den letzten Jahren international sehr klar für eine verantwortungsvolle Klimapolitik eingesetzt. Wenn man nun selbst nicht willens ist, die eigenen Ziele zu erreichen, verliert die EU ihre Glaubwürdigkeit. Dann kann man global von den anderen kaum mehr eine ambitionierte Klimapolitik verlangen. Und Österreich würde die unrühmliche Rolle einnehmen, zur Verhinderung des Renaturierungsgesetzes beigetragen zu haben.“
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 24/2024 erschienen.