News Logo
ABO

Regierungsverhandlungen: Harald Mahrers Wille geschehe

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
10 min

Harald Mahrer

©Bild: HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com
  1. home
  2. Aktuell
  3. Politik

Erst Blau-Schwarz, jetzt Schwarz-Rot. In welche Richtung es die ÖVP bei den Koalitionsverhandlungen zieht, richtet sich stark nach dem Willen von Harald Mahrer. Er ist Präsident der Wirtschaftskammer und Chef des ÖVP-Wirtschaftsbunds. In den Wirtschaftsverbänden anderer Parteien findet man die fließenden Grenzen zwischen seinen vielen Ämtern fragwürdig – nicht nur kurz vor der Wirtschaftskammerwahl im März.

Bis zuletzt war Harald Mahrer in den Regierungsverhandlungen mit der FPÖ sehr präsent. An deren letztem Tag wurde er von den Kollegen der APA erspäht, als er mit ÖVP-Chef Christian Stocker und dem schwarzen Klubobmann August Wöginger die Parteizentrale durch die Hintertür verließ.

Dass es dem Ende zuging, konnte man tags zuvor erahnen, als Mahrer der FPÖ via Kronen Zeitung ausrichtete: „Wer nicht konsensbereit ist und sich nur im Machtrausch befindet, der ist möglicherweise nicht regierungsfit.“ Das wog schwerer als die Wortmeldungen anderer Schwarzer. Denn „die Wirtschaft“ war es, die sich eine blau-schwarze Koalition wünschte (und, so sehen es manche, die Verhandlungen mit Rot und Pink auf die harte Tour ­betrieb).

Die vielen Hüte des Herrn Mahrer

In welcher seiner vielen Funktionen tritt Mahrer hier auf? Als Chef des ÖVP-Wirtschaftsbunds, der finanzstärksten Teil­organisation der Schwarzen? Als Präsident der Wirtschaftskammer? Und ist Mahrer womöglich in den Verhandlungen wenig kompromissbreit, weil im März die Wirtschaftskammerwahlen stattfinden und der Wirtschaftsbund eine satte Mehrheit verteidigen muss?

Bei der Kammerwahl 2020 erreichte der ÖVP-Wirtschaftsbund 69,6 Prozent der Stimmen. Der sozialdemokratische Wirtschaftsverband kam auf 10,8 Prozent vor der Grünen Wirtschaft mit 9,5, der Freiheitlichen Wirtschaft mit 6,2 und der Neos-Liste UNOS mit 2,7 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag allerdings bei nur noch 33,7 Prozent.

Grund für dieses Desinteresse der Wahlberechtigten? Klein- und Kleinstunternehmer fühlen sich durch die Kammer nicht wirklich vertreten, hört man oft. Dabei sind sie wie alle anderen Unternehmen Pflichtmitglieder und finanzieren die Wirtschaftskammer mit ihren Beiträgen. 2024 hat die Kammer (laut Voranschlag) etwas mehr als 1,3 Milliarden Euro eingenommen.

Die Wirtschaftskammer ist gar keine Interessenvertretung. Dort schaut man, wie es in der ÖVP Tradition ist, nur auf sich selbst.

Blurred image background
 © Bild: Matt Observe

Sepp Schellhorn: „Was ich von der Kammer halte? Nix.“

Der Hotelier, Gastronom und Neos-­Abgeordnete Sepp Schellhorn ist ein wortgewaltiger Kritiker der Wirtschafts­kammer. „Sogar ein hoher Kammerfunktionär, der zur Wahl nicht mehr antritt, hat mir letzte Woche gesagt: ,Ich muss ehrlich zugeben, dass die Wirtschaftskammer eine geschützte Werkstätte ist.‘ Ich muss sagen: Das trifft es ziemlich genau.“ Zu wenig Einsatz für die Unternehmen während der Coronazeit wirft Schellhorn der Kammer vor. Und: „Die ÖVP plakatiert ,Lohnnebenkosten senken‘ und ,Bürokratieabbau‘ – wo war sie bitte in den letzten 20 Jahren? In dieser Zeit ist alles nur schlimmer geworden. Die Wirtschaftskammer könnte ganz schnell auf die Kammerumlage 2 verzichten, dann sinken die Lohnnebenkosten sofort.“

Das System der Sozialpartnerschaft und der Pflichtmitgliedschaften sei anachronistisch, findet Schellhorn. „Die Sozialpartnerschaft und die Landeshauptleutekon­ferenz sind mit ein Grund, warum dieses Land unreformierbar geworden ist.“ Und: „Die Wirtschaftskammer ist noch dazu gar keine Interessenvertretung, sondern dort schaut man, wie es in der ÖVP Tradition ist, nur auf sich selbst.“ Was den Salzburger Unternehmer, der selbst früher beim Wirtschaftsbund war, stört: „In kleinen Gemeinden traut man sich kaum, sich für eine andere Partei als die ÖVP zu deklarieren.“ Es gebe Möglichkeiten des Drucks, erklärt er, von ausbleibenden Gästen bis zu schleppendem Tempo bei z. B. Widmungsverfahren. Fazit: „Was ich von der Wirtschaftskammer halte? Nix.“

Persönlich glaube ich, dass die ­Pflichtmitgliedschaft nicht mehr zeitgemäß ist. Vorrangig ist aber eine Reform bei Beiträgen und Organisation

Blurred image background
 © Philipp Horak

Sabine Jungwirth: „Kritik ist Majestätsbeleidigung“

Sabine Jungwirth ist Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft. Sie meint: „Die Rolle des Wirtschaftsbunds war in diesen Regierungsverhandlungen so offensichtlich wie noch nie.“ Jungwirth hat beim schwarzen Wirtschaftsflügel einen Meinungsschwenk beobachtet. „2023 hatte man den Eindruck, sie wollen eine schwarz-rote Koalition. Dann hat es bei den Kollektivvertragsverhandlungen und rund um die Arbeiterkammerwahl 2024 gekracht. Es gab scharfe Ansagen aus der Gewerkschaft. Der Wirtschaftsbund macht gerne auf beleidigte Leberwurst, Kritik ist Majestätsbeleidigung. Danach wurde deutlich: Es gibt ein Liebäugeln mit der FPÖ.“

Die Dominanz des Wirtschaftsbunds führt sie auf die „extrem komplizierte“ Organisation und das Wahlsystem in der Kammer zurück. Gewählt werde auf Berufsgruppenebene, „im Grunde sind das 800 Einzelwahlen in ganz Österreich. Gewählt wird oft jene Person, die man öftesten sieht. Logischerweise ist das immer der bisherige Obmann oder die Obfrau, weil das bezahlte Funktionäre sind und daher auch umtriebiger.“ Aus den einzelnen Wahlergebnissen werde dann hochgerechnet, wer WK-Präsident wird und im Wirtschaftsparlament sitzt. „Was im Wirtschaftsparlament diskutiert wird, ist dem Präsidenten ziemlich egal. Entscheidungen werden in ganz anderen Gremien getroffen, mit dem Argument ,Wir sind eh die Mehrheitsfraktion.‘ Das ganze System ist so, dass sich das eigentliche Wahlergebnis in den Entscheidungsstrukturen nicht abbildet.“

Bei Veranstaltungen der Kammer ­bekämen vor allem ÖVP-Politikerinnen und -Politker eine Bühne, erzählt Jungwirth weiter. Studien, die von Experten der Wirtschaftskammer gemacht werden, würden wiederum von der ÖVP für politische Vorstöße aufgegriffen. Und der Wirtschaftsbund bekomme aufgrund seiner Stärke viel Geld aus Kammermitteln (in etwa vergleichbar mit der Parteienförderung aufgrund des Nationalratswahlergebnisses), was ihn zur reichsten Teilorganisation der ÖVP macht. Kein Parteiobmann wird es sich mit dem Wirtschaftsflügel verscherzen.

Würden alle Kleinunternehmer wählen gehen, könne man auch die absolute Mehrheit der Schwarzen brechen, ist sich die Grüne sicher. Was sie zur Pflichtmitgliedschaft sagt? Umfragen unter den Mitgliedern der Grünen Wirtschaft ergeben ein ausgewogenes Verhältnis für und wider Pflichtmitgliedschaft, erklärt Jungwirth. Sie würde daher bei der Finanzierung ansetzen: Mit einer schlankeren Kammerstruktur könne man viel Geld sparen, die Beiträge dann nach Vorbild der deutschen Handelskammer aufsetzen: mit einer relativ günstigen Basismitgliedschaft und einem Zuschlag, der sich – mit ­einem hohen Freibetrag – nach dem ­Gewinn der Unternehmen richtet. „Persönlich glaube ich, dass die Pflichtmitgliedschaft nicht mehr zeitgemäß ist, vorrangig ist aber eine Reform bei Beiträgen und Organisation. Es muss günstiger werden, dabei zu sein, und es muss wirklich die gesamte Breite der Mitglieder serviciert werden.“ Die Interessen kleiner Unternehmen oder EPUs wie etwa der 24-Stunden-Betreuerinnen würden mehr oder weniger ignoriert.

Jede Regierung ist gut beraten, bei Verhandlungen die Sozialpartner zu fragen, was sie als Kompromiss ­vorschlagen

Blurred image background
 © Georges Schneider / photonews.at / picturedesk.com

Christoph Matznetter: Der Präsident als Alleinherrscher

„Vordemokratische Strukturen“ kritisiert Christoph Matznetter vom SPÖ-Wirtschaftsverband. Aber: „Wir brauchen die Kammer dringend, weil wir echte wirtschaftliche Probleme haben. Wir nähern uns einem dritten Jahr Rezession.“ Was er vermisst? „Eine Interessenvertretung der Wirtschaft müsste schauen, dass es auch Nachwuchs gibt. Wir müssen junge, neue Leute ermutigen, einen Betrieb zu eröffnen. Wir bräuchten einen Fokus auf Einpersonenunternehmen und KMU. Das wäre unsere Chance, mittelfristig auch wieder Global Players zu entwickeln.“ Doch derzeit, so meint auch Matznetter, „liegt der Fokus vor allem von Seiten des Wirtschaftsbunds auf den Interessen bestehender Großunternehmen.“

Matznetter plädiert für eine Reform des Wahlsystems. Der Grundsatz „One Man, One Vote“ müsse auch in der Kammer gelten, „sonst verstehe ich, dass die breite Masse sagt: ‚Wozu gehe ich zu den Wahlen überhaupt hin?‘“ Zumindest das Wirtschaftsparlament sollte direkt ­gewählt werden und dann über den ­Präsidenten abstimmen. Aber: „In der Wirtschaftskammer sind wir beim Wahlrecht eher im Vormärz stecken geblieben. Es herrscht monarchisches Denken, und der Präsident ist ein ziemlicher Alleinherrscher.“

An der Sozialpartnerschaft und der Pflichtmitgliedschaft will Matznetter nicht rütteln, denn so würde erreicht, dass nicht nur Menschen mit viel Geld Wirtschaftspolitik machen können. Der Aufstieg Österreichs sei der Sozialpartnerschaft zu verdanken. „Jede Regierung ist gut beraten, bei Verhandlungen die Sozialpartner zu fragen, was sie als Kompromiss vorschlagen. Wenn der Ausgleich widerstrebender Interessen durchgeführt wurde, kann man sehr brauch­bare Lösungen von dort bekommen.“

Wirtschaftskammer-Boss Harald Mahrer wird wohl auch bei Gesprächen mit der SPÖ am Tisch sitzen. Aug in Aug mit einem anderen Sozialpartner: Gewerkschafter Josef Muchitsch.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.08/2025 erschienen.

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER