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Putins Schatten über Georgiens Wahl

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©Susanne Mayer
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Kurz vor der Parlamentswahl in Georgien macht das „Agentengesetz“ zivilgesellschaftlich agierende NGOs zu Staatsfeinden. Das Antikorruptionsbüro geht gegen Korruptionsbekämpfer vor. Warum der große Nachbar Russland das gut findet und was dem kleinen Land im Kaukasus in nächster Zeit bevorsteht

„Fuck Ruzzia“, „Ruzzia is a ­Terrorist State“ oder „No ­Ruzzian Law“ sind nur einige der Sprüche, die Bewohnerinnen und Bewohner von Georgiens Hauptstadt Tiflis an die Häuserwände sprühen. Wer sich nächtens aufmacht und mit russlandkritischen Botschaften und Spraydosen im Gepäck seinem Unmut kundtut, sieht die letzten Monate und Jahre Georgiens unter der Regierung der Partei „Georgischer Traum“ – gelinde ausgedrückt – überaus kritisch.

Laut der georgischen Regierung infiltriert derzeit eine Vereinigung globaler Kriegstreiber Georgien. Werte wie das familiäre Zusammenleben stünden auf dem Spiel, ein liberal-faschistischer Mob aus Transgender-Personen terrorisiere das Land. Und all das werde aus dem Ausland finanziert. So tönt es nicht nur von der Regierungsbank, sondern auch aus den öffentlichen georgischen Fernseh- und Radiostationen ein paar Wochen vor der Parlamentswahl. Was ist los in der kleinen Republik im Kaukasus, die bis vor Kurzem noch so stolz auf den EU-Beitrittsstatus war?

2012 wurde die regierende Partei „Georgischer Traum“ als scheinbare Reformkraft ins georgische Parlament gewählt. Der Plan war klar: pro-westliche Ausrichtung, der EU-Beitritt wurde zum obersten Ziel erklärt und als solches sogar in die georgische Verfassung auf­genommen. Heute sieht die Welt ganz anders aus. Wie, das erklärt Levan Natroschwili von der georgischen „International Society for Fair Elections and Democracy“ (ISFED), einer NGO, die sich mit Wahlbeobachtung und Demokratiebildung beschäftigt: „Was gerade in Georgien passiert, ist eins zu eins aus dem Playbook des Kremls kopiert. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie unsere NGO sollen zerstört werden. Der „Georgische Traum“ hat Angst, ohne autoritäre und einschüchternde Maßnahmen bei der Parlamentswahl nicht mehr an erster Stelle zu stehen.“

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Demonstrationen: Proteste gegen das „Ausländische Agentengesetz“ im Mai 2024 in Tiflis: NGOs, die zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, müssen sich registrieren und Datensätze offenlegen

 © Nicolo Vincenzo Malvestuto/Getty Images

Deftige Strafen

Das „Playbook“ umfasst Gesetze wie das kürzlich in Kraft getretene Gesetz für Transparenz ausländischer Einflussnahme, bekannt als Ausländisches Agentengesetz: NGOs, die zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, müssen sich auf einer öffentlich einsehbaren Webseite des Justizministeriums als ausländische Agenten registrieren und umfangreiche Datensätze veröffentlichen: Jede Einnahme und Ausgabe der Organisation, rückwirkend bis 2023, aber auch das Gehalt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese teilweise sensiblen, personenbezogenen Daten unterliegen ironischerweise zwar auch in Georgien seit Juni 2024 dem Datenschutzgesetz nach internationalem Vorbild. Doch das Recht scheint der Politik zu folgen, nicht umgekehrt, Datenschutz hin oder her. Wird dem Gesetz seitens der NGOs nicht Folge geleistet, setzt es deftige Strafen. 25.000 Georgische Lari, umgerechnet über 8.000 Euro sollen die Organisationen in der ersten Runde der Strafverhängung zahlen. Das macht für viele NGOs das Gesamtvolumen der eingeworbenen Förderungen aus.

Das Ausforschen und An-den-Pranger-­­Stellen des Feindes war ein probates Mittel zum Machterhalt während der Sowjet-Diktatur. Stalin legte das Fundament für einen Überwachungsstaat, die sowjetische Geheimpolizei Tscheka verbreitete Angst und Schrecken. Sie bespitzelte und überwachte und trieb Menschen aus Angst vor Gulag oder Ermordung zur gegenseitigen Denunzia­tion. Heute sollen unliebsame Akteure ihre Auslieferung an die autokratische Führung selbst vornehmen. Das ist effizient und spart der georgischen Regierung wertvolle Ressourcen.

„Dieses Gesetz ist eine Einschüchterungstaktik. Man will NGOs, die sich für Menschenrechte, freie Wahlen, Demokratiebildung oder generell zivilgesellschaftlich einsetzen, mundtot machen. Anders kann man das nicht bezeichnen“, sagt Sonja Schiffers, Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung im Südkaukasus mit Sitz in Georgiens Hauptstadt Tiflis. Rund 30 NGOs unterstützt die Stiftung in Georgien – diese wären nach dem Ausländischen Agentengesetz großteils berichtspflichtig.

Schiffers und ihr Team haben nachgerechnet – würde ihre eigene Organisation dem Gesetz Folge leisten müssen, hätten sie innerhalb von kürzester Zeit eine Exceltabelle mit Tausenden Einträgen händisch ausfüllen müssen. Das Gesetz bindet schon jetzt Ressourcen der Zivilgesellschaft und macht NGOs arbeitsunfähig – laut Schiffers eines der dezidierten Ziele der Berichtspflichten.

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Levan Natroschwili

hat umfangreiche Erfahrungen in den Bereichen Wahlbeobachtung und Korruptionsbekämpfung. Aktuell ist er stellvertretender Geschäftsführer der Gesellschaft ISFED.

 © beigestellt

Das ISFED etwa werde sich nicht als ausländischer Agent deklarieren, sagt Natroschwili. Das Wichtigste sei es, die georgischen Parlamentswahlen am 26. Oktober beobachten zu können. Einer muss es ja tun, denn Ende September schoss sich das „Antikorruptionsbüro“ auf den georgischen Ableger der Organisation Transparency International ein, die sich weltweit an Wahlbeobachtungen und Korruptionsmonitoring beteiligt.

Hier drängt sich der Gedanke an ­George Orwells „1984“ auf, in dem die Kriegsbehörde offiziell „Friedensministerium“ heißt, und der Propagandaapparat zum „Wahrheitsministerium“ gehört. Offiziell schaut das Anti-Korrup­tionsbüro politischen Akteuren auf die Finger. Dabei untersteht es dem georgischen Premierminister und ist damit nicht unabhängig. Letztlich verkommt es zu einem Instrument gegen politische Gegner. „Diese Maßnahmen scheinen darauf abzuzielen, die lebenswichtigen Aufgaben unserer georgischen Sektion zu behindern, die darin bestehen, die Korruption zu bekämpfen, den Wahlprozess zu überwachen und die Rechenschaftspflicht innerhalb der staatlichen Institutionen zu gewährleisten“, sagt die NGO in einer Aussendung. Der internationale Aufschrei führte schließlich zur Aufhebung der Entscheidung – Transparency International wird die Wahlen wie geplant beobachten.

(Un)freie Medien

Die Ergebnisse über die Beobachtung breitenwirksam zu veröffentlichen, ist freilich schwierig. Denn auch Medien sind von dem Agentengesetz betroffen – allerdings nur Online-Medien. Liberale und kritische Medien sind in Georgien heute nur online abrufbar, der öffentliche Rundfunk mit großen Reichweiten in Radio und Fernsehen ist als regierungstreu zu bezeichnen. Unangenehme Nachrichten wie die kürzlich erfolgte Anklage gegen den Gründer des „Georgischen Traums“ Bidsina Iwanischwili finden sich auf Seiten wie Civil Georgia, einem Online-Medium, das unter anderem von den Vereinten Nationen unterstützt wird.

Die Regierungspartei hält solche Nachrichten unter Verschluss oder färbt sie um. Lieber trommelt man, der dekadente Westen wolle mit seinen Nachrichten die moralischen Werte Georgiens untergraben. Liberalismus und Gendergleichheit hieße, Teenager zu Geschlechtsumwandlungen zu zwingen. Deshalb wurde ein weiteres Gesetz erlassen, jenes über „Familienwerte und Schutz von Minderjährigen“, das eine „Einschränkung der Propaganda von gleichgeschlechtlichen Beziehungen […] in Bildungseinrichtungen und Fernsehsendungen“ vorsieht. Ein Gesetz, das der „Georgische Traum“ ebenfalls von Russland kopiert hat.

Dass solche Eingriffe in die Menschenrechte nicht ausreichend vom Aufbegehren der Zivilbevölkerung geahndet werden, liegt einerseits an der Einstellung der Bevölkerung: An Korruption ist man gewöhnt, sie überdauert auch Jahre nach der scheinbaren Befreiung aus dem sow­jetischen Korsett und dutzenden Demonstrationen. Es mangelt aber auch am Demokratieverständnis. Nach Jahren der Repressionen wissen viele nicht ausreichend Bescheid über ihre Rechte. Das nützt der Regierungspartei. So wird es einfacher, Menschenrechte einzuschränken, die Versammlungsfreiheit mit gewaltsamen Niederschlagungen allfälliger Proteste zu beschneiden.

Auch die Annäherung an Russland kann so besser forciert und begründet werden. Russische Desinformationskampagnen fallen im konservativ eingestellten Georgien auf fruchtbaren Boden. Sie schüren Sowjet-Nostalgie in der älteren Bevölkerung und feiern Stalin, der Millionen Menschenleben auf dem Gewissen hat, als Volksheld und strahlenden Sieger des Vaterländischen Kriegs gegen Nazi-Deutschland. Diese Rhetorik nützt Russlands Präsident Putin, der in einer berühmt gewordenen Ansprache den Zerfall der Sowjetunion als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet hat.

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Tiflis: Wer sich nächtens aufmacht, um russlandkritische Slogans an Hauswände zu sprühen, sieht die aktuelle georgische Regierung kritisch

 © Ulf Mauder / dpa / picturedesk.com

Russische Touristen

Georgiens Bestrebungen, gut mit dem Nachbarn und ewigen Besetzer Russland auszukommen, sind aus kurzfristiger wirtschaftlicher Perspektive nachvollziehbar: Russische Touristen fluten das Land. Das Essen ist gut, die Sonne scheint und Georgien ist nach wie vor sehr günstig. Dass so gut wie alle Georgier Russisch sprechen, weil es das sowjetische Schulsystem so vorsah und man bis heute mit Englisch kaum weiterkommt, macht das Reisen für russische Gäste noch bequemer. Hinzukommt der wiedererstarkte Handel zwischen den Ländern. Georgische Supermarktregale sind voll mit russischen Produkten, zudem ist Russland der größte internationale Abnehmer georgischen Weins, eines der wichtigsten Exportgüter des Landes. Wo Putins Hand auf dem Gashahn den Österreichern Angst macht, ist es in Georgien das Versiegen russischen Verlangens nach Wein.

Starke Polarisierung

Georgien ist heute stark polarisiert. Ein Teil der Bevölkerung steht Russland ausnehmend kritisch gegenüber. Die EU-Euphorie, die in der Hauptstadt herrscht, wird aber auch nicht von allen geteilt. Wo denn die EU gewesen sei, als Russlands Panzer 2008 bis kurz vor Tiflis rollten und die Regionen Abchasien und Südossetien vorgeblich vor dem „Genozid“ durch Georgier beschützten, fragen die EU-Kritiker. 20 Prozent des georgischen Staatsgebiets sind bis heute besetzt. Außer zuhauf geäußerter „Unzufriedenheit“ ob der vielen Fehltritte der georgischen Regierung sei aus Brüssel nicht viel zu vernehmen, zumindest nichts Gehaltvolles.

Die Parlamentswahl könnte einen Umschwung bewirken – gewinnen kann sie die Opposition nur durch lückenlosen Schulterschluss. Einfach wird das nicht. Der lange Schatten der Sowjetdiktatur, Korruption und illiberale, stark konservative Tendenzen erschweren das Durchsetzen von Menschenrechten, die Errichtung einer unabhängigen, freien Justiz und den Schutz von Minderheiten. Für den EU-Beitritt könnte ein Regierungswechsel die letzte Chance sein.

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