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NEOS ziehen sich aus Koalitionsverhandlungen zurück

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Meinl-Reisinger will in die Regierung stürmen

©APA/Georg Hochmuth
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Die „Zuckerlkoalition“ ist gescheitert noch bevor sie überhaupt gestartet ist. ÖVP und SPÖ verhandeln jetzt alleine weiter.

Die NEOS haben die Koalitionsverhandlungen (relativ) überraschend platzen lassen. In einer eigens am Freitagvormittag anberaumten Pressekonferenz hat die pinke Parteichefin Beate Meinl-Reisinger den Schritt mit dem fehlenden Reformwillen von ÖVP und SPÖ begründet, was dazu geführt habe, dass „keine relevanten Fortschritte“ erzielt werden konnten. Sie habe deshalb Karl Nehammer (ÖVP), Andreas Babler (SPÖ) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen informiert, dass die Gespräche für die sogenannte „Zuckerkoalition“ nicht weitergeführt würden.

Noch keine zwölf Stunden davor, am Donnerstag um 23 Uhr, hatte es nach siebenstündigen Gesprächen zwischen Nehammer, Babler und Meinl-Reisinger geheißen, dass die Verhandlungen „auf Hochdruck“ laufen. Medial wurde bereits über eine Einigung in den kommenden Tagen spekuliert.

„Das geht mit uns nicht“

In ihren heutigen Ausführungen erklärte Meinl-Reisinger, dass den NEOS bewusst gewesen sei, dass Kompromisse nötig seien und man sei auch bereit dazu gewesen und lösungsorientiert an die Verhandlungen herangegangen sei. Zuletzt habe sich aber immer mehr der Eindruck verfestigt, dass die Verhandlungspartner ein „Weiter wie immer“ statt eines „Kein Weiter wie bisher“ bevorzugt hätten.

Angesichts der Rezession und der instabilen Weltlage sei man mit dem Ziel in die Verhandlungen gegangen, tiefgreifende und nachhaltige Veränderungen in die Verhandlungen anzustoßen. Leider habe es aber keine Bereitschaft gegeben, „über den nächsten Wahltag“ hinaus zu denken. „Das geht mit uns nicht“, so die NEOS-Chefin.

Der große Knackpunkt sei am Ende die Sanierung des Budgets gewesen. Während NEOS und ÖVP den Hebel nur ausgabenseitig ansetzen wollten, sprach sich die SPÖ auch für neue Steuern aus – unter anderem für eine Vermögens- und Erbschaftssteuer. Selbst über die den zeitlichen Rahmen für die Sanierung des Budgets gab es Differenzen: Kurz vor Weihnachten einigte man sich schließlich auf den Minimalkompromiss dieses über sieben und nicht, wie von den NEOS gefordert, über vier Jahre wieder auf Schiene zu bringen.

„FPÖ-Populismus ist keine Antwort“

Beate Meinl-Reisinger nahm auch FPÖ-Chef Herbert Kickl in die Pflicht. Dieser sei als „Wahlsieger“ dafür verantwortlich, dass er keine Regierung zustande gebracht habe: „Es war außergewöhnlich, dass Herbert Kickl es nicht geschafft hat, eine Vertrauensbasis aufzubauen, die nötig ist, um eine tragfähige Mehrheit zu bauen.“ Und weiter: „Auf die wesentlichen Dinge, wo haben die Leute ihren Job, wo kommt Innovation und Forschung her, darauf bietet der Populismus der FPÖ keine Antwort.“

Auch mit Kritik an Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sparte die NEOS-Politikerin nicht: die von Kurz ausgerufene „Koste es, was es wolle“-Mentalität habe dazu geführt, dass Österreich jetzt mit einem Rekord-Schuldenloch dastehe: „Wir haben jahrelang davor gewarnt. Die Dimension hat uns dann auch überrascht.“

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Bei der ÖVP sieht man die Schuld für das vorzeitige Scheitern der „Zuckerlkoalition“ bei „Teilen der SPÖ“. Deren Verhalten habe zur aktuellen Situation geführt, so der Generalsekretär der Volkspartei, Christian Stocker. „Während sich Teile der Sozialdemokratie konstruktiv eingebracht haben, haben in den letzten Tagen die rückwärtsgewandten Kräfte in der SPÖ überhandgenommen, und damit erreicht, dass sich die NEOS aus den Verhandlungen zurückgezogen haben.“

Die Sozialdemokraten sehen hingegen die NEOS in der Verantwortung, die, laut SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim, mit neun Prozent Wählerstimmen versucht hätten 100 Prozent ihres Wahlprogramms durchzubringen: „Offensichtlich haben sie jetzt gemerkt, dass ihnen das Ganze eine Nummer zu groß geworden ist.“

In die gleiche Kerbe schlägt SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim: „Den NEOS sind die Regierungsverhandlungen eine Nummer zu groß. Die NEOS sind nicht bereit, Verantwortung für Österreich zu übernehmen.“ Der sozialdemokratische Politiker wirft den Liberalen vor, dass sie „die Rechnung für die Klientelpolitik und das Versagen der letzten beiden Regierungen“ der „großen Mehrheit der Östereicher:innen, die jeden Tag arbeiten gehen oder ihr Leben lang hart gearbeitet haben“, umhängen wolle. „Radikale Einschnitte bei Gehältern von Lehrer:innen und Polizist:innen oder Pensionskürzung durch die Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters auf 67 Jahre“, könne nicht die Lösung sein, so Seltenheim, der vielmehr einen „fairen Beitrag“ von „Superreichen und Großkonzernen“ einfordert.

Wie geht es jetzt weiter?

Wie es nun weitergeht, ist vorerst offen. Nach einem Gespräch mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Freitagnachmittag haben sich ÖVP und SPÖ entschlossen zu zweit weiter zu verhandeln. Van der Bellen erwartet sich von Nehammer und Babler, dass die weitere Regierungsbildung „ohne Zeitverzug geschehen“ muss, wie er in einer kurzen Videobotschaft unmissverständlich klarmacht.

Sollten sich die beiden ehemaligen Großparteien einigen können, würden sie freilich nur über eine äußerst dünne Mehrheit im Nationalrat verfügen. Deshalb schien es bis zum gestrigen Absprung der NEOS auch äußerst unrealistisch, dass sich Schwarz und Rot dem Risiko einer so fragilen Zweierkoalition aussetzen. Aber in Zeiten wie diesen scheint nichts unmöglich.

„Flucht aus der Verantwortung“

Eine mögliche Variante, wenn auch derzeit nur als Gedankenspiel existierend, wäre es die Grünen ins Boot holen, um weiter an einer Dreierkoalition zu basteln und eine stabilere Basis – zumindest was die Sitzverteilung im Parlament betrifft – zu haben. In großen Teilen der Volkspartei hat man nach vier Jahren oft schwieriger Zusammenarbeit aber große Vorbehalte gegen eine weitere Legislaturperiode mit der Öko-Partei als Partner – von den inhaltlichen Differenzen bei Themen wie Vermögens- und Erbschaftssteuer, die unter anderem zum Scheitern der aktuellen Verhandlungen beigetragen haben, ganz zu schweigen.

Grünen-Bundessprecher Werner Kogler adressierte das Thema in einem Social-Media-Posting: Volkspartei, Sozialdemokraten und NEOS müssten nun erklären, warum sie die Republik monatelang warten ließen und dann nichts zustande brächten: „Nach Sand im Getriebe und gegenseitigem Abputzen sehen wir jetzt eine Flucht aus der Verantwortung. Ein Schauspiel, das weiterer Aufklärung bedarf.“ Alle verhandelnden Parteien müssten sich jetzt erklären, meinte Kogler: „Das ist eine Notwendigkeit, bevor nächste Schritte gemacht werden können.“

* Dieser Artikel wurde zuletzt am 4. Jänner um 13.45 Uhr aktualisiert.

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