CDU-Vorsitzender Merz besteht auf einer Abstimmung. AfD, FDP und BSW haben bereits Zustimmung signalisiert. Kanzler Scholz verweist auf Österreich – wo Ex-Kanzler Kurz Merz' Vorgehen lobt
Berlin (APA/dpa/Reuters) - Der Deutsche Bundestag hat am Freitag über einen weiteren Vorschlag der Union CDU/CSU zu Verschärfungen in der Migrationspolitik beraten. Anders als bei den Anträgen am Mittwoch geht es in diesem Fall um ein Gesetz, das rechtlich bindend wäre. Unmittelbar vor der Entscheidung gab es ein Gezerre. FDP und SPD wollten eine Abstimmung mit Stimmen der rechtspopulistischen AfD abwenden. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz bestand aber auf einer Abstimmung noch am Freitag.
Merz verteidigte die Einbringung des Entwurfs zum "Zustrombegrenzungsgesetz". Es gebe aus Sicht vieler Menschen Handlungsnotwendigkeit nach den Anschlägen in Magdeburg und Aschaffenburg auch wegen "täglich stattfindender Gruppenvergewaltigungen aus dem Asylmilieu" heraus. Die SPD und die Grünen sollten dem Gesetzesentwurf zustimmen, erklärte er. Merz wies zugleich den Vorwurf zurück, dass die Union mit der AfD zusammenarbeite. "Sie glauben doch nicht, dass wir denen die Hand reichen, die uns vernichten wollen", sagte er.
"Tor zur Hölle"
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich forderte Merz auf, es nicht zur Abstimmung kommen zu lassen. "Das Tor zur Hölle können wir noch gemeinsam schließen." Merz müsse "die Brandmauer wieder hochziehen", forderte Mützenich den CDU-Partei- und -Fraktionschef auf. Merz habe Gespräche nur zu seinen Bedingungen gefordert. Das gehe nicht in einer Demokratie: "Das Prinzip Friss und Stirb muss für immer vorüber sein."
Auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kritisierte die Union. "Ein Gesetz mit den Stimmen der AfD zu beschließen wäre ein weiterer tiefer Bruch unserer Geschichte seit 1949", sagte Faeser. Auch inhaltlich führe der Entwurf nicht weiter. Es gehe ums Handeln und nicht um Symbolik. Die Regierung habe die irreguläre Migration im vergangenen Jahr um ein Drittel verringert, sagte Faeser unter Verweis auf den Rückgang der Asylwerberzahlen. Der Vorschlag für unterschiedslose Zurückweisungen an den deutschen Grenzen verstoße "eklatant gegen Europarecht".
Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen forderte Union und FDP auf, den umstrittenen Gesetzesentwurf nicht gemeinsam mit der AfD zu beschließen. "Tun Sie das Richtige", appellierte Baerbock in der Bundestagsdebatte an die beiden Fraktionen. Die gemeinsame Abstimmung beider Parteien am Mittwoch mit der AfD habe "den Weg freigemacht ins Herz unserer Demokratie". Es seien Bilder in die Welt gegangen von "feixenden Rechtsextremen, die ihr Glück kaum fassen konnten". Verantwortung bedeute auch, sich korrigieren zu können. Es gehe um mehr als Parteipolitik, sondern darum, "wie wir die Schande vom Mittwoch einigermaßen korrigieren können". Sie forderte: "Lassen Sie uns über Inhalte reden."
FDP stimmt nun doch zu
Unmittelbar vor der Debatte über den Entwurf hatte FDP-Fraktionschef Christian Dürr angekündigt, dass seine Partei nun doch zustimmen wird. Schuld daran sei, dass SPD und Grüne ein Angebot der FDP abgelehnt hätten, im Gegenzug dem Gesetzesentwurf für die Europäische Asylrechtsreform zuzustimmen. Das frühere Angebot für eine Rücküberweisung in den Innenausschuss erwähnte Dürr nicht mehr. Damit hätte eigentlich eine Verabschiedung mit den Stimmen der AfD vermieden werden sollen. SPD-Fraktionschef Mützenich kündigte daraufhin an, dass seine Fraktion diese Rücküberweisung in den Ausschuss mittragen würde.
Die Bundestagssitzung wurde auf Antrag der Unionsfraktion unterbrochen, die Union ging neuerlich in Beratungen. Man habe mit SPD und Grünen gesprochen, die aber keine Änderungen wollten, sagte Merz in einer Sonderfraktionssitzung nach Teilnehmerangaben. "Wir müssen heute entscheiden", habe Merz gesagt und langen Applaus erhalten. Außer der FDP und AfD hat auch das Bündnis Sahra Wagenknecht BSW Unterstützung für den Entwurf der Union signalisiert.
Vor der Abstimmung bestätigte die AfD ihre Zustimmung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, warft der Union aber vor, Asyl-Forderungen seiner Partei nur zu kopieren. Seine Fraktion werde dem Unions-Gesetzesentwurf zustimmen, weil auch dieser Forderungen der AfD enthalte. Die sogenannte "Brandmauer" - also der Ausschluss einer Zusammenarbeit mit der AfD - sei dafür verantwortlich, dass es in den vergangenen Jahren immer wieder Anschläge gegeben habe, sagte Baumann.
Merz stimmt Abgeordnete auf "Sturm" ein
Zuvor hatte Oppositionsführer Merz die CDU/CSU-Abgeordneten auf harte Auseinandersetzungen im Wahlkampf eingestimmt. "Wir müssen diesen Sturm jetzt aushalten. Das haben wir schon öfters erlebt", sagte der CDU-Vorsitzende nach Informationen aus Teilnehmerkreisen in der Früh in einer Sondersitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Berlin. Erneut lehnte er eine Zusammenarbeit mit der AfD auch nach der Bundestagswahl entschieden ab. Merz habe außerdem gesagt, die Einschätzung, dass die Abstimmung über Unions-Anträge mit AfD-Stimmen eine Zusammenarbeit mit der AfD sei, sei "an den Haaren herbeigezogen".
Scholz verweist auf Österreich
Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dagegen warnt vor einer Koalition der Union mit der AfD. Auf die Frage, wann er dies für denkbar halte, sagt der Sozialdemokrat in einem "Zeit"-Podcast: "Im Oktober zum Beispiel". Scholz verwies auf die Entwicklung in Österreich, wo die ÖVP nach den gescheiterten Verhandlungen mit SPÖ und Neos, nun an einer Koalition mit der FPÖ bastelt. "Alle haben gesagt, sie würden nicht mit der FPÖ koalieren. Und dann kommt jetzt eben doch möglicherweise eine Koalition mit denen und sogar ein FPÖ-Kanzler", sagte Scholz. Er spricht von möglichen "Pro-forma-Gesprächen" der Union mit anderen Parteien nach der Wahl.
Lob von Kurz für Merz
Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterstützt den Kurs des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz für eine Asylwende in Deutschland und macht die Politik der deutschen Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für den Aufstieg der rechten AfD verantwortlich. "Ohne die falsche Migrationspolitik seit dem Jahr 2015 würde es in Deutschland überhaupt gar nicht so eine starke AfD geben", sagte Kurz der deutschen "Bild"-Zeitung (online) vom Freitag.
"Die falsche Migrationspolitik zu betreiben, ist der Garant dafür, dass die AfD weiter wächst", so Kurz weiter. Zur Merz-Forderung, alle illegalen Migranten an allen deutschen Grenzen abzuweisen, sagte Kurz der Zeitung: "Ich halte das nicht nur für richtig, sondern für absolut notwendig. Wenn man sich anschaut, wie sich weite Teile Europas - darunter auch Deutschland und Österreich - durch unkontrollierte Migration verändern, dann kann man nur sagen: Es ist amtlich, dass diese Entwicklung nicht gut ist."
Dass auch die AfD Merz' Antrag im Bundestag zugestimmt hat, hält Kurz nicht für einen Skandal. "Ein Politiker sollte das tun, was er richtig findet und sich nicht dauernd damit beschäftigen, wer dafür und wer dagegen ist. Das bedeutet Führung." Kurz: "Man kann doch nicht absichtlich etwas Falsches tun, nur weil man sich sonst auf einer Abstimmungsseite mit der AfD finden würde."
Kurz forderte die konservativen Parteien auf, Parteien wie FPÖ und AfD politisch zu bekämpfen: "Die Rechtsparteien werden immer dann stark, wenn konservative Parteien nicht konsequent ihre Politik verfolgen", so der Ex-Kanzler. "Ich habe zwei Wahlen in Österreich geschlagen und beide gewonnen. Bevor ich übernommen habe, hat die FPÖ in den Umfragen geführt. Beide Wahlen haben mein Team und ich ganz klar gegen sie gewonnen."
Zustrombegrenzungsgesetz im Bundestag
Kern des sogenannten Zustrombegrenzungsgesetzes ist die Aussetzung des Familiennachzugs zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus. Das sind häufig Kriegsflüchtlinge, zum Beispiel aus Syrien. Außerdem sollen die Befugnisse der Bundespolizei erweitert werden. Sie soll künftig, wenn sie in ihrem Zuständigkeitsbereich - also etwa an Bahnhöfen - Ausreisepflichtige antrifft, selbst für eine Abschiebung sorgen können.
Dem Gesetzesentwurf müsste auch der Bundesrat zustimmen. Da bisher keine Bemühungen zu erkennen sind, die Länderkammer um Fristverkürzung zu bitten, würde der Bundesrat erst im März - nach der für den 23. Februar geplanten Bundestagswahl - entscheiden. Ob es für das Vorhaben im Bundesrat eine Mehrheit geben wird, ist allerdings fraglich.
Sollte das Gesetz von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden, will die SPD möglicherweise vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die von der Union angestrebten Verschärfungen der Migrationsregeln müssten in Teilen "absolut verfassungsrechtlich geprüft werden", sagte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch der Deutschen Presse-Agentur. "Insofern halten wir uns diesen Weg auf alle Fälle offen."