Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger muss mit der Zuschreibung leben, die Verhandlungen mit ÖVP und SPÖ „gesprengt“ zu haben. Warum sie das nicht so sieht, für neue Verhandlungen „immer“ gesprächsbereit ist und was sie vom Wiener Bürgermeister erwartet hätte, erklärt sie im News-Interview.
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Wie oft haben Sie sich seit dem 4. Jänner gefragt, ob Sie einen Fehler gemacht haben?
Natürlich haben wir uns gefragt, was wir im Prozess hätten anders machen können, wo wir die Wochen davor einwirken hätten können, damit es nicht diese Entwicklung nimmt, dass einfach nichts mehr geht. Aber dass wir aufgestanden sind, war richtig. Bei diesen Verhandlungen wäre nichts mehr zustande gekommen. Es gab zu viel Weiter-wie-bisher und zu viel Nein zu grundsätzlichen Reformen. Ich habe dabei auch nichts gesprengt. ÖVP und SPÖ hätten auch ohne uns eine Mehrheit gehabt, und wir haben ja angeboten, eine solche Koalition zu stützen. Vielleicht sollte man sich entscheiden: Entweder Neos sind so klein, dass wir ohnehin keine inhaltlichen Ansprüche stellen können, oder wir sind so mächtig, dass es ohne uns nicht geht.
Gab es einen Punkt, wo Sie heute sagen, da hätte man diese Verhandlungen retten können?
Also ganz ehrlich: Retten können? Ist das wirklich mein Job? Gegenfrage: Wenn das Wohl und Weh der Republik von mir und einer Neun-Prozent-Partei abhängt – was ist mit den beiden angeblich staatstragenden Parteien, deren Existenzberechtigung über Jahrzehnte war, vor dem Hintergrund der Sozialpartner Kompromisse zu finden? 70 Jahre lang hat die Zweite Republik davon gelebt, dass sich zwei Parteien nicht nur das Land aufteilen, sondern die Sozialpartner immer irgendwie zueinandergefunden haben. Jetzt hat sich binnen 24 Stunden gezeigt, dass das mausetot ist. Was wäre meine Rolle gewesen? Treiberin, Mediatorin, Kitt, Therapeutin – und dann noch Behübschung, weil es ja sonst eine fade große Koalition gewesen wäre. Das ist ja lächerlich.
Die Frage hat sich nicht nur auf Neos bezogen, sondern auf alle drei. Wo ist man falsch abgebogen?
Von Anfang an. ÖVP und SPÖ haben ewig sondiert. Als sie uns dazugeholt haben, habe ich gedacht, es wird rudimentäre Einigungen geben und heißen: Neos – friss oder stirb. Aber es war nichts da. Unser Ansatz war, zu sagen: Was sind Ziele, auf die wir uns einigen können, was stellen wir außer Streit, wo lässt man sich gegenseitig Raum? Das war nicht möglich. Jedes Dreiergespräch musste ich erzwingen. Da hätte ich noch stärker auf den Tisch hauen müssen. Dann hat diese unsägliche Situation angefangen, mit 300 Leuten am Verhandlungstisch. Aber es wäre zu billig, das Scheitern nur auf den Prozess zu schieben.
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Es muss ja auch am Vertrauen und an der persönlichen Chemie der Verhandler gelegen haben.
Ich habe mehrfach versucht, Kompromisse zwischen ÖVP und SPÖ herbeizuführen. Ich möchte in der Rückschau keine Schuldzuweisungen machen. Ich habe sehr bedauert, dass Andreas Babler einen anderen Weg gewählt hat und aus vollen Rohren mit unwahren Vorhaltungen schießt. Meine Erkenntnis ist, wir müssen stärker werden und gemeinsam mit mehr Druck von Bürgerinnen und Bürgern Reformen erzwingen, denn die Reformlust bei den anderen war nicht da. Die gibt es vielleicht bei einzelnen Akteuren. Die wüssten, was für Österreich nötig wäre, können sich aber nicht rühren und keine Entscheidungen ihrer Parteien herbeiführen.
Hätten Sie gedacht, dass ÖVP und SPÖ nur wenig später krachend scheitern?
Nein. Man muss einen unbändigen Willen haben, Verhandlungen zum Abschluss zu bringen. Eine Ebene, die sagt: „Egal, wie sehr gestritten wird, wir arbeiten an einer gemeinsamen Sache.“ Das hat es nie gegeben. Ich hab mir mehrfach die Frage gestellt, ob die das wirklich wollen. Ob der SPÖ-Vorsitzende wirklich regieren und damit auch die Verantwortung übernehmen will, das Budget zu konsolidieren. Und ob maßgebliche Teile der ÖVP diese Regierung überhaupt wollen. Aber ich habe mir schon erwartet: Wenn das Neue nicht gewollt wird, wird das Alte auf den Plan treten. Dann übernimmt die Sozialpartnerschaft und es gibt einen Kompromiss. Es hat mich überrascht, dass diese Sozialpartnerschaft nicht mehr funktioniert hat. Die ist mausetot.
Herbert Kickl als Kanzler zu verhindern reicht auch nicht als Kitt?
Natürlich gefällt mir diese Aussicht nicht und, ohne in Details gehen zu wollen, natürlich gäbe es ja auch Alternativen. Es kommt nicht von uns, dass es unbedingt eine Regierung mit einer stabilen Mehrheit braucht. Die Fantasie für alternative Regierungsformen ist in Österreich aber offenbar enden wollend. Aber Regieren ist kein Selbstzweck und Regieren, nur um jemand anderen zu verhindern, ist zu wenig und funktioniert auch nicht. Die knapp 30 Prozent FPÖ-Wähler sagen ja nicht: „Hurra, wir wollen einen rechtsextremen Kanzler und ich wünsche mir den Faschismus wieder.“ Die haben ganz banale Wünsche: dass es wieder vorangeht, man sich etwas aufbauen kann, einen Job hat, von dem man leben kann, und dass die Kinder Chancen haben. Dass es sicher ist in Österreich und man nicht ständig das Gefühl von Kontrollverlust hat – sei es bei der Migration oder bei Krieg. Jede Regierung, egal wie sie aussieht, muss das adressieren und endlich Lösungen bringen.
Neos-Wählerinnen und -Wähler wollen ihre Partei in einer Regierung sehen. Das war auch immer der Anspruch der Neos. Wie viel Kritik gibt es nun? Die Chance kommt so schnell nicht wieder.
Sicher gibt es diese Stimmen. Aber man hätte mir vielleicht zuhören sollen – auch die Medien. Wie oft habe ich gelesen, die Neos wollen unbedingt regieren. Die Meinl-Reisinger will unbedingt Ministerin werden und mit dem Chauffeur durch die Gegend fahren. Vielleicht war das das Kalkül von ÖVP und SPÖ, dass wir eh unbedingt mitspielen wollen. Ich habe immer gesagt, wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen – für ernsthafte Reformen, sogar wenn sie unpopulär sind. Aber wir sind nicht nur fürs bloße Regieren gewählt worden. Ich habe für meine Entscheidung, aus den Verhandlungen auszusteigen, deutlich mehr Anerkennung gekriegt als gedacht – nicht nur von meinen Wählern.
Gab es parteiintern auch die Gegenposition, nämlich: weitermachen?
In den letzten Tagen des Verhandelns war klar: Da geht nichts mehr. Mit dem Kurs, den der SPÖ-Vorsitzende fährt, sind sie weit weg von der Mitte und damit weit weg von Verantwortung für den Wirtschaftsstandort. Und weite Teile der ÖVP wollten lieber mit der FPÖ koalieren. Faktum ist: Österreich will keinen Linkskurs in der Regierung. Angesichts dessen ist in unserer Steuerungsgruppe der Gedanke gewachsen: Die wollen nicht. Das wird nichts. Und wie soll man das den Leuten noch erklären? Entweder man krempelt die Ärmel hoch und konsolidiert, macht strukturelle Reformen oder eben nicht. Auch FPÖ und ÖVP werden sich da noch etwas überlegen müssen. Bis jetzt fahren sie ja nur mit dem Rasenmäher drüber, das ist ja noch keine Reform.
Wenn man sich Parlamentsdebatten anhört, hat man den Eindruck: Die Parteien können nun gar nicht mehr miteinander. Glauben Sie, Neos werden je wieder ernsthaft mit der SPÖ oder der ÖVP verhandeln können?
Das denke ich schon. Den Ton in Parlamentssitzungen sollte man nicht überbewerten. Das ist ja auch eine Bühne, wo es nicht um Konsenssuche, sondern um Abgrenzung geht. Leider ist es ein Zeichen der Zeit, dass alles polarisierter ist, dass der politische Mitbewerber als Feind hingestellt wird. Das macht die FPÖ besonders heftig. Ich glaube nicht, dass uns das weiterbringt. Aber wir halten auf jeden Fall Gesprächsachsen offen. So harmonisch verlaufen die Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP auch nicht. Es schmeckt offenbar immer weniger, dass sich die ÖVP so unterwirft. Kickl verlangt nichts anderes als die komplette Unterwerfung. Aber dass die ÖVP nicht nur sagt: „Wir legen uns mit der FPÖ ins Bett“, sondern: „Wir dienen als Bettvorleger“, das finde ich schon erstaunlich.
Ist das noch die ÖVP, die Sie kennen?
Nein. Aber das sagen auch viele ÖVPler. Und zwar mit einem präzisen Blick aus der europäischen Mitte, nicht von einem linken Standpunkt aus. Ich finde auch, dieses „gegen rechts“ ist Blödsinn.
„Kickl muss sich den ORF nicht einmal umbauen. Er hat alle Instrumente des Einflusses in der Hand“
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Weil?
Rechts ist eine legitime politische Position. „Gegen rechts“ auf die Straße zu gehen, halte ich für einen Teil des Problems, weil der präzise Blick verloren geht, dass es nicht um links oder rechts geht, sondern um Extremismus, Autoritarismus und eine wirkliche Bedrohung der Demokratie. Wenn man nicht in der Lage ist, das zu unterscheiden, gibt es ein Problem. Es gibt eine Monopolisierung des Protests gegen die FPÖ von linker Seite, gegen die ich mich verwehre. Wenn diese blau-schwarze Koalition kommt, ist meine Rolle nicht, linke Opposition zu sein, sondern mit einem präzisen Blick darauf zu achten, wo es wirklich gefährlich für die Demokratie wird, und weiter Reformen einzumahnen.
Wo sehen Sie diese Gefahr?
Zum Beispiel bei der Justiz. Wir müssen einen Schutzschirm um die Justiz bauen, damit dort unabhängig gearbeitet werden kann. Noch besser als ein parteifreier Minister wäre eine unabhängige Generalstaatsanwaltschaft. Da habe ich Sorge. Wir müssen auch auf die Sicherheitsapparate, Nachrichtendienste und die Medien schauen. Gerade bei den Medien hat die FPÖ ein leichtes Spiel. Da hätte man schon früher über Inseratenkorruption reden müssen, mit der versucht wird, Medien zu gängeln. Man hätte über den ORF reden müssen und darüber, ihn zu entpolitisieren. Herbert Kickl muss sich den ORF nicht einmal umbauen. Er hat alle Instrumente des Einflusses in der Hand. Auch die Grünen haben hier als Regierungspartei versagt: Es gibt keinen guten oder schlechten parteipolitischen Einfluss, wie es die Meinung der Grünen ist, wenn sie an der Macht sind. Man braucht einen scharfen Blick dafür, dass es immer übel endet, wenn Parteien versuchen, Einfluss zu nehmen.
Können die Verhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ noch scheitern?
Große Teile der Wirtschaft wollen diese Regierung. Ein Wunsch, den ich nie nachvollziehen konnte, denn wer genau hingesehen hat, der konnte den Etatismus und Sozialismus bei der FPÖ erkennen, neben den Festungsfantasien und der offensichtlichen antieuropäischen Haltung. Die FPÖ wollte im Parlament immer noch mehr Helikoptergeld und Versorgungsstaat. Sie ist sehr weit weg von dem, was Wirtschaftsliberale sinnvollerweise fordern würden. Viele Wirtschaftsvertreter haben sich von der FPÖ schöne Augen machen lassen, aber jetzt sehe ich Spannungen. Zu Recht.
Stellt sich die Frage, wie sehr sich die ÖVP verbiegen wird.
Und wenn sie es nicht tut, wird man sehen, welche Alternativen es noch gibt.
Noch einmal mit den anderen Parteien verhandeln, wie es der Wiener Bürgermeister ventiliert?
Wir sind immer gesprächsbereit. Aber der Wiener Bürgermeister hätte schon zuvor die Möglichkeit gehabt, einzugreifen, wenn es ihm wichtig gewesen wäre. Es ist ja nicht so, dass ich nicht mit ihm gesprochen und meine Sorge zum Ausdruck gebracht hätte. Aber jetzt hat Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag und muss zeigen, ob er etwas zustande bringt.
Er muss liefern.
Genau. Das höre ich auch oft von Menschen, die nicht die FPÖ gewählt haben, aber nun sagen: „Soll das Großmaul jetzt mal zeigen, was es zustande bringt.“
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.06/2025 erschienen.