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Markus Wallner: "Gewessler sprengt die Koalition von außen"

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16 min
Markus Wallner, Landeshauptmann von Vorarlberg

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Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner regiert seit zehn Jahren mit den Grünen. Nach der Landtagswahl im Herbst werden die Karten neu gemischt. Doch die FPÖ als Regierungspartner sieht er ebenso skeptisch wie seinen bisherigen Koalitionspartner

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Von Ihrem Büro blicken Sie weit über den Bodensee. Reden wir über Weitblick in der Politik. Wie weit denken Sie voraus?

Markus Wallner

Das ist unterschiedlich. Es gibt die Tagespolitik. Es gibt aber auch Planungen, die über mehrere Legislaturperioden hinausgehen, wo das Land hinsteuern und wie sich die Gesellschaft entwickeln soll. In Vorarlberg hatten wir seit dem Krieg erst eine Handvoll Landeshauptleute. Da denkt man zwangsläufig weiter voraus. Wo Weitblick angewendet wurde, hat das dem Land gut getan.

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Man hat oft den Eindruck, Politiker wollen kaschieren, wenn sie weit vorausdenken. Wenn man Wahlprogramme auf Zukunftsperspektiven ansieht, ist das Ergebnis eher dürftig.

Markus Wallner

Wenn man weiter hinausblickt, wird es meistens unkonkreter, visionärer, offener. Die Frage ist dann, ob man die Ziele wirklich erreicht. Wir leben aber in einer Zeit, wo der unmittelbare Nutzen und Profit im Vordergrund stehen. Das langfristige Denken geht verloren. Wir jagen von einem Thema zum anderen, die sozialen Medien beschleunigen das noch mit Mechnismen, die auf Belohnung und schnellen Nutzen aus sind. Auch die Politik arbeitet teilweise mit diesen Instrumenten. Wir in Vorarlberg versuchen aber schon, über längere Zeiträume zu denken.

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An langfristigen Zielen wird man als Politiker gemessen. Und bekommt zu hören, was alles nicht erreicht wurde.

Markus Wallner

Das spielt auch eine Rolle. Wir haben einen einstimmigen Landtagsbeschluss zur "Energieautonomie Vorarlberg". Wir wollen alles, was wir an Energie brauchen, bilanziell aus erneuerbaren Energien selbst erzeugen. Bis 2050 soll das Land komplett energieautonom sein. Unsere Fortschritte werden jährlich in einem Bericht dargestellt. Runtergebrochen auf Einzelziele wie Gebäude, Verkehr, Wirtschaft, Industrie, Energieeffizienz, Stromerzeugung und so weiter. Es gibt überall Etappenziele, man kann messen, ob wir uns im Pfad befinden oder nicht. Natürlich besteht immer das Risiko, dass man nicht alles erreicht. Für einen Politiker ist es nicht leicht zu sagen, wir sind nicht im Pfad.

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Weil die Schlagzeile lautet: Ziele verfehlt?

Markus Wallner

Das kann passieren. Aber es gab auch die Überschrift: 20 Prozent Senkung bei Treibhausgas. Da sehen die Leute, es passiert etwas. Aber wir stellen fest, es ist nicht leicht, die Zukunft ist nicht immer berechenbar. Es kommen Krisen dazwischen und man erreicht seine Ziele nicht. Daran sollte man sich gewöhnen. Dennoch sind große Ziele wichtig und der Faktor Kontinuität in der Politik wird unterschätzt. Das Anzünden von Strohfeuern ist modern. Angst und Schrecken zu verbreiten, ist beliebt.

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Das machen aber alle Parteien.

Markus Wallner

Wahlkampf ist die Zeit, in der solche kurzfristigen Botschaften gesendet werden. Andererseits müssen auch Programme gemacht und Ziele gesetzt werden. Ich halte die Energieentwicklung für entscheidend, ebenso die Frage, wie wir mit der Demografie umgehen oder mit Bildungsfragen. Das sind Themen, die man länger planen kann und wo Krisen nicht alles aus der Bahn werfen.

Ein Paket, bei dem Milliarden eingespart werden, ist ein Radikalvorgang, der nicht gesund ist

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Gerade bei der Demografie weiß man genau, was auf Österreich durch die alternde Gesellschaft zukommt.

Markus Wallner

Das ist eine mathematische Aufgabe.

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Aufgabe der Politik wäre schon lange gewesen, auf diese berechenbare Entwicklung einzugehen. Das wurde verschlafen. Warum erfüllt die Politik ihre Kernaufgabe nicht?

Markus Wallner

Da sind Sie schon sehr hart im Urteil. Ich würde nicht so unumstößlich sagen, dass nichts passiert. Aber natürlich, die Bevölkerungsentwicklung ist eines der wenigen Dinge, die man wirklich berechnen kann. Man kann den Pflegebedarf, die nötigen Krankenhausbetten hochrechnen. Das haben wir bei der Krankenanstaltenplanung auch getan. Wir wissen, dass wir Pflegekräfte ausbilden müssen und dafür auch erst einmal die nötige Zahl von Arbeitskräften tatsächlich haben müssen. Wir wissen auch: Wir könnten das ganze Land mit Pflegeheimen zubauen, es wird trotzdem nicht reichen, wenn die Familien nicht stark genug sind. Der Pflegebedarf wird ohne sie nicht zu meistern sein, da rede ich jetzt nicht von leistbar. All diese Fragen muss man heute diskutieren.

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Ein anderes Problem, das sich aus der Demografie herleitet, ist die Finanzierung des Pensionssystems. Die Vorsitzende der Alterssichungskommission sagt, das Pensionsantrittsalter muss auf 67 Jahre erhöht werden. Auch da duckt sich die Politik weg.

Markus Wallner

Die ganze Diskussion ist etwas schräg. Auf der einen Seite gibt es Andreas Babler, der mit der SPÖ meint, dass wir deutlich weniger arbeiten und die System trotzdem aufrecht erhalten könnten. Kein Mensch weiß, wie das gehen soll. Wir werden weiter Leistung erbringen und Leistungsanreize setzen müssen. Wenn wir eine Teilzeitgesellschaft sein wollen, werden wir gewisse Dienste nicht mehr in der gewohnten Qualität haben können. Bei den Pensionen – es gibt viele Menschen, die gerne weiter arbeiten würden, es macht aber steuerlich keinen Sinn. Warum gibt es keine Überleitungsmodelle, die das ermöglichen? Beim Pensionsalter gibt es keine einfachen Antworten, da wird es viel Flexibilität brauchen, damit Menschen länger arbeiten können, wenn sie das wollen, aber auf Leute, die nicht mehr können, auch eingegangen wird.

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Wie halten es Politiker mit langfristigen Perspektiven und Versprechen? Wallner warnt vor "Strohfeuern" und mahnt Visionen ein

 © News/Matt Observe
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Kein Politiker will das Wort Pensionserhöhung aussprechen. Auch Sie nicht.

Markus Wallner

Weil es einfach nicht die einzige richtige Antwort ist. Die Sicht – Pensionsantritt am Tag X und fertig – reicht nicht mehr und macht die Leute unzufrieden. Man muss sich das heutzutage viel individueller anschauen.

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Von der Politik wenig gehört hat man nach der Kritik von Fiskalratschef Christoph Badelt, die Wirtschaftsprogramme der Parteien seien unseriös, die Finanzierbarkeit fraglich.

Markus Wallner

In Vorarlberg sind wir für eine solide Finanzpolitik bekannt. Wir fragen auch die Bundesebene: Ist das ordentlich gerechnet? Ist es leistbar? In Krisenzeiten auch einmal mehr auszugeben, das ist ja klar. Aber das ist kein Dauerzustand. Jetzt sind wir in einer Phase, wo man den Staatshaushalt stabiliseren muss und Leistungen, die man in Krisenzeiten geboten hat, zurücknehmen. Ich will keine Expertenkritik betreiben, aber man kann das Wirtschaftswachstum vielleicht auf zwei, drei Jahre berechnen, oft tritt aber auch etwas anderes ein. Ohne Wachstum steuert man in eine Schieflage. Insofern muss man bei Wahlprogrammen nicht nur schauen, wer verspricht Dinge, die man finanzieren muss, sondern auch, wer unternimmt was, um die Wirtschaft in Gang zu setzen. Dass Krisenjahre Spuren im Budget hinterlassen, ist nicht überraschend.

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Es wurde viel Geld im Umlauf gebracht.

Markus Wallner

Die Experten haben gesagt, ihr müsst das tun, um die Kaufkraft zu sichern. Jetzt sagen dieselben Experten, der Staatshaushalt ist in Gefahr. Es wird noch einmal fünf Jahre dauern, um das zu verdauen. Auch da ist Weitblick gefragt.

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Auch das Wort Sparpaket nehmen Politiker nicht gerne in den Mund.

Markus Wallner

Es muss immer gespart werden. Ein Paket, bei dem plötzlich Milliarden eingespart werden, ist ein Radikalvorgang, der auch nicht gesund ist und die Wirtschaft noch mehr schädigt. Sparen, aber auch Investitionen, sind eine permanente Aufgabenstellung. Ich halte nichts von einer Politik des raschen Ausgebens und dann radikalen Runterfahrens.

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Noch ein Weitblickthema: Klimawandel. Im Wahlkampf kaum ein Thema.

Markus Wallner

Klimaschutz hat zwangsläufig mit Weitblick zu tun. Es sind Anpassungsstrategien nötig und Gegenmaßnahmen, um die Erwärmung in den Griff zu bekommen. Es geht schon lange nicht mehr darum, auf das Thema aufmerksam zu machen. Die Menschen sind ja nicht dumm, jeder weiß, wir haben ein Problem und jeder muss einen Beitrag leisten. Die Klimakleber haben der Sache sehr geschadet, Menschen verärgert, die man eigentlich gewinnen sollte. Ich bin auch mit den Grünen oft unzufrieden. Klimaschutz ist keine Eliteangelegenheit, die man im nächsten Bioladen lösen kann. Auch Verbote bringen nichts. In Vorarlberg habe ich gemerkt, was gut funktioniert: Photovoltaik zu installieren muss ich nicht befehlen, ich muss es aber erleichtern. Energiesparen war hier immer schon modern. Auch den Umstieg auf den öffentlichen Verkehr oder auf E-Pkw funktioniert, sobald die Leute sehen, dass das wirklich besser ist. Das ist alles keine Frage des Zwangs, sondern des Angebots.

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Bei der ÖVP hat man das Gefühl, dass sie alles, was ein grünes Mascherl hat, reflexhaft ablehnt.

Markus Wallner

Ich hoffe nicht, dass man automatisch auf Vorschläge anderer geradezu allergisch reagiert. Aber Wahlkampf ist eine Zeit der Abgrenzung. Ich kann mich auch an Phasen erinnern, wo die Bevölkerung gesagt hat, das ist ein Einheitsbrei und es wollen alle das Gleiche. Derzeit sind die Differenzen ausgeprägter.

Wenn du Kickl die Schuhe polierst, gibt es Schwierigkeiten

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Sie sagten, die Lust weiter mit den Grünen zu regieren, ist nicht groß.

Markus Wallner

Wir sind in Vorarlberg seit zehn Jahren mit ihnen in einer Koalition, da kann man Bilanz ziehen und schauen, wo für die Zukunft die größten Schnittmengen sind. In Vorarlberg ist die Mitte-Position besonders ausgeprägt, da bin ich wenig kompromissbereit. Ich will kein Abdriften nach rechts oder links. Die Erfolgsgeschichte dieses Landes kommt aus der Mitte. Dort liegt auch unsere Hauptkraft: im besten Sinne eine gute Volkspartei zu sein und nicht nur Klientelpolitik zu betreiben. Auch bei Klimathemen wollen wir Mitte sein.

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In Umfragen hat die FPÖ stark zugelegt. Diese ist nach rechts gerückt, bezeichnete die Identitären als "NGO". Ein möglicher Partner?

Markus Wallner

Das Abdriften nach rechts außen ist keine Position dieses Landes. Wenn das auch nur ansatzweise bemerkbar ist, ist die Sache für mich klar. Es ist schon einmal eine Koalition mit der FPÖ hier wegen eines Judensagers des Spitzenkandidaten zerbrochen. Wir beobachten das sehr genau. Kickl wird hier im Land extremst kritisch gesehen und abgelehnt. Wie die Vorarlberger FPÖ sich positioniert, wird man im Wahlkampf sehen.

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Rechnen Sie damit, dass es da einen echten Unterschied geben wird?

Markus Wallner

Unser Slogan heißt "Vorarlberg geht vor". Wir sind keine Filiale von irgendwem. Als Bundesland nicht und auch als Partei nicht. Wenn von außen gegen die Interessen des Landes gearbeitet oder reingeredet wird, wehren wir uns. Das erwarte ich auch von anderen. Es irritiert mich bei den Grünen, dass die Gewessler-Politik durchgeschaltet wird. Ich habe unseren Grünen gesagt: Die sprengt gerade von außen unsere Koalition. Wieso steht ihr nicht auf und sagt, bei der Renaturierung oder bei Infrastrukturprojekten haben wir eine andere Position? Wenn das so bleibt, wird es schwierig. Ich warte eine eigenständige Vorarlberger Position, die kann auch eine andere sein als meine. Das Gleiche gilt für die FPÖ. Ich habe ihrem Spitzenkandidaten gesagt, wenn du Kickl die Schuhe polierst, dann gibt es Schwierigkeiten. Der Herr Kickl wird nicht entscheiden, was bei uns passiert. Die Frau Gewessler auch nicht. Das muss klar sein.

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Die Bundes-ÖVP lehnt zwar Kickl ab, lässt aber die Tür zur FPÖ offen. Auch andere blaue Spitzenpolitiker haben einen Hang zu den Identitären.

Markus Wallner

Man muss wirklich täglich beobachten und schauen, was da passiert. Es gibt die klare Sicht: mit Kickl nicht. Das gilt für mich logischerweise auch für andere, die ähnlich radikale Positionen vertreten, logischerweise auch. Ich würde nicht so weit gehen, die FPÖ als Gesamtpartei in einen Topf zu werfen. Aber wenn Kickl über die Todesstrafe abstimmen lassen möchte – in welchem Jahrhundert sind wir da angekommen? Das ist unfassbar. Völlig indiskutabel. Dafür gibt es wirklich keine gemeinsame Basis.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 36/2024 erschienen.

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