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Bensmann: "Man hat der AfD zu viele Themen geschenkt"

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Marcus Bensmann,

©Correctiv/Ivo Mayr
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Die AfD um den rechtsextremen Spitzenkandidaten Björn Höcke holte bei der Landtagswahl in Thüringen die meisten Stimmen. Auch in Sachsen lag sie nur knapp hinter der CDU. Ein Gespräch mit dem Correctiv-Journalisten Marcus Bensmann über rechtsextremes Gedankengut innerhalb der Partei.

Im Jänner veröffentlichte die gemeinnützige Rechercheplattform Correctiv unter dem Titel "Geheimplan gegen Deutschland" einen Artikel über ein Treffen von hochrangigen AfD-Politikern, Neonazis und Unternehmern. Konkret ging es bei dem Treffen im vergangenen November um die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland - auch Staatsangehörige. Im Mittelpunkt stand dabei ein "Masterplan zur Remigration" des österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner. "Remigration" steht dabei als verharmlosende Umschreibung für die Abschiebungen bzw. Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund. 

Die inhaltlichen Enthüllungen sowie die Vernetzung von AfD und Rechtsextremen führten zu einer massiven Welle der Empörung in der Bundesrepublik. Zudem war die Recherche Auslöser für massive Proteste gegen Rechtsextremismus in ganz Deutschland.

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Herr Bensmann, wie gefährlich ist die AfD?

Marcus Bensmann

In den letzten zwei, drei Jahren ist zu beobachten, dass sich in der Partei drei ideologische Richtungen herauskristallisieren. Einmal der Vertreibungsgedanke. Dieser betrifft auch Staatsbürger mit migrantischem Hintergrund aufgrund eines völkischen Idylls, welches das Staatsvolk in Eigene und Fremde trennt. Dieser "Remigrationsgedanke" hat noch nicht im Programm Fuß gefasst, aber wird von führenden AfD-Politikern formuliert und war auch Gegenstand der Correctiv-Recherche über die Veranstaltung in Potsdam. Hier ist es spannend zu sehen, dass es dem Verfassungsschutz erlaubte, die AfD als Verdachtsfall zu führen. Dies hat dazu geführt, dass Alice Weidel auf die Bremse tritt. Außerdem wurde beispielsweise Maximilian Krah auf die Ersatzbank gesetzt, weil  er einer der großen Träger der Vertreibungsidee ist. Sie bleiben allerdings im Kader, denn ihre zentralen Ideologen, darunter Björn Höcke, stehen in den ostdeutschen Bundesländern zur Wahl. Der andere Punkt ist die Verortung Deutschlands in die multipolare Weltordnung sowie die Aufgabe der Westbindung. Die USA wird von führenden AfD-Politikern als raumfremde Macht begriffen. Da ist der Wunsch dahinter, Deutschland in einer multipolaren Weltordnung neben China, Russland und Iran zu platzieren. Krah beschreibt in seinem Buch, welche Vorteile das für die völkische Ideologie hat. In so einer Weltordnung würden keine universellen Menschenrechte gelten. Das ist natürlich praktisch, wenn man über die Vertreibung von Menschen nachdenkt. Der dritte Punkt ist der Geschichtsrevisionismus, der ebenfalls von Höcke eingeleitet wurde. Wenn man nicht mehr in den Schulen und in der Öffentlichkeit über die Verbrechen der Nazis redet, kann man besser über die Vertreibung nachdenken. Diese drei ideologischen Stränge haben sich zunehmend durchgesetzt in der Partei. Das macht die AFD insofern gefährlich, weil sie in den Ostdeutschen Bundesländern stärkste Kraft ist und einen politischen Anspruch erhebt.

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Eine zentrale Person rund um die Correctiv-Recherche ist auch der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner. Welche Rolle spielte dieser rund um die Konferenz in Potsdam?

Marcus Bensmann

Martin Sellner hat seinen Masterplan dort vorgestellt. Man muss wissen, Sellner ist ein führender Kopf der Identitären Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die "ethnokulturelle Identität" zu verteidigen. Dies ist ein Trugbild, dass Gesellschaften nur dann  glücklich, zufrieden und wohlstandsfähig sind, wenn sie sich nur mit dem Eigenen beschäftigen. Dabei muss das Fremde, soweit es versucht bei ihnen einzudringen, herausgedrängt werden. Das ist eine alte, völkisch-rassistische Idee und die Neue Rechte versucht eben mit blank geputzten Begriffen wie "Remigration" oder "Ethnopluralismus" diese harmloser klingen zu lassen. Die Kernidee ist aber dieselbe. Martin Sellner hat auf der Veranstaltung in Potsdam einen Vortrag gehalten. Kern davon war, dass das Thema "Remigration" das prioritäre Thema der Rechten sein muss, um das Volk zu retten. Dann kam natürlich die Frage auf, was macht man mit Staatsbürgern mit migrantischem Hintergrund? Da hatte Sellner dann die Idee, diese in einem Jahrzehnteprojekt über "maßgeschneiderte Gesetze" und "Anpassungsdruck", "nicht-assimilierte Staatsbürger" zu "remigrieren" oder aus Deutschland zu verdrängen. Es wurde die Idee geäußert, schonmal eine Expertenkommission zu gründen, die diese Angelegenheit nach ethischen, rechtlichen und vor allen logistischen Gesichtspunkten vorbereitet, damit etwas in der Tasche liegt, falls eine rechte Partei an die Macht kommt. Sellner hatte auch die Idee Menschen in Musterstädte in Nordafrika zu bringen,die sich für Flüchtlinge einsetzen. Das sind eben diese zentralen Punkte, die für die große Aufregung in der Bevölkerung und auch europaweit geführt haben. Nur man muss auch sagen, das hat Sellner nicht nur da gesagt. Diese Ideen hat er vor und nach der Konferenz in Potsdam in Videos bei dem rechtsextremen Magazin Compact geäußert.

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Wie kam es überhaupt dazu, dass ein österreichischer Rechtsextremist mit seinen Ideen so tief in die Führungsriege der AfD gekommen ist?

Marcus Bensmann

Das ist sicherlich dem rechten Verleger Kubitschek zu verdanken, dem sogenannten Vorfeld, das in die Partei hineinwirkt. Kubitschek hat im Grunde genommen Krah, Sellner und Höcke zusammengeführt und es so geschafft, die Ideologien von Sellner in die Partei hineinzudrücken.

Als Krah zum EU-Spitzenkandidat gekürt wurde, war dies ein Erfolg für Kubitschek. Seitdem kann man feststellen, wie AfD-Politiker zunehmend Sellners Begriff “Remigration” benutzen.

Sowohl in Bundestagsdebatten als auch auf Plakaten wird dieser Begriff langsam populär gemacht. Bei dem Treffen in Potsdam waren auch hochrangige AfD-Politiker dabei. Roland Hartwig zum Beispiel, die damalige rechte Hand von Alice Weidel.

Hartwig hat nicht nur zugehört, sondern auch angekündigt, diese Ideen dem AfD-Bundesvorstand vorzulegen.

Man muss wissen, das hat in der Zeit stattgefunden, als die AfD offiziell sagte, für sie gibt es keine Staatsbürger 1., 2. und 3. Klasse. Genau an dieser Stellschraube sollte wohl gedreht werden. Das Oberverwaltungsgerichts Münster hat die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz explizit damit begründet, dass der” ethno-kulturelle Volksbegriff”, welcher die Rechte von Staatsbürgern in Frage stellt, verfassungswidrig ist. Das ist vielleicht dann auch der Grund, warum Weidel auf dem Essener Parteitag da etwas auf die Bremse drückt.

Die Träger dieser völkischen Idee, Höcke zum Beispiel, der stand weiterhin in Thüringen zur Wahl.

Er hat erzählt, wie sein Vater und er beim Mauerfall in Tränen ausgebrochen sind. Damals haben viele geweint, aber die Begründung, die Höcke für seine feuchten Augen erzählt, ist interessant. Der Mauerfall war das Ende des deutschen Volkes. In der DDR sah er eine Vertrauensgemeinschaft, die nun durch den Multikulturalismus des Westens zerstört wurde. Höcke hat offenbar die DDR als ein von Stasi-Mauer und Sowjetarmee beherrschtes Germanen-Terrarium gesehen.

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Ihre Recherchen haben gezeigt, wie weit rechtsnationales Gedankengut in der Partei angekommen ist. Es gibt aber auch Stimmen, die versuchen die AfD als demokratische Partei rechts der CDU zu verkaufen. Wie stehen denn die Kräfteverhältnisse ihrer Meinung nach innerhalb der Partei?

Marcus Bensmann

Der Zug ist meiner Meinung nach abgefahren. Die Eingrenzung von Alice Weidel hat eine rein taktische Natur. In der großen Menge der Mitglieder und der Funktionäre der zweiten Reihe sind diese extremen Ideologien sehr stark vertreten. Frau Weidel und Herr Chrupalla hätten sich nach unserer Recherche hinstellen können und eine Art Garantie aussprechen, dass Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland arbeiten und hier ihre Heimat haben, nicht gemeint sind. Dazu waren sie aber nicht in der Lage. Das war ganz interessant, weil eben diese völkische Ausrichtung in der Partei sehr, sehr verwurzelt ist. Die innerparteilichen Kämpfe, wie sich die Partei positionieren soll, sind in der Vergangenheit verloren gegangen. Höcke hat es geschafft, seine Ideen durchzusetzen und mit Krah, über Kubitschek und Sellner der Partei ein ideologisches Fundament zu verpassen, auf das viele AfD-Leute angesprungen sind.

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Sie haben vorher die multipolare Weltordnung angesprochen. Was genau ist das und wo sieht sich die AfD in dieser?

Marcus Bensmann

Das ist ganz interessant. Früher hat sich die AfD noch sehr klar zur Westbindung bekannt, was nun nicht mehr der Fall ist. Im EU-Wahlprogramm hat die multipolare Weltordnung als Wort Einzug gehalten. Dieser Begriff, ähnlich wie “Remigration”, klingt erstmal nicht furchtbar. Dahinter steht aber das Konzept, dass der liberale Westen als Dekadent dargestellt wird und vor allem die USA aus Europa vertrieben werden soll. Deutschland sollte sich dieser Idee nach neben Russland, China und Iran positionieren. Aktuell sehe ich hier auch das Problem, dass die AfD sich mit einer anderen Pro-Russland Partei (Bündnis Sara Wagenknecht -BSW Anm. Red.) in einem Überbietungswettbewerb befindet, wer näher an den Kreml heranrückt. Dabei steht viel auf dem Spiel. Sollte sich Putin in der Ukraine durchsetzen und die USA sich auf Wunsch von Trump aus Europa zurückziehen, dann wird Europa unter eine russische Dominanz fallen. Damit sind all die Werte, von denen wir denken, sie sind gottgegeben, wie Rechtssicherheit und Demokratie weg. Das steht hier auf dem Spiel.

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Woher kommt diese europaweite Nähe von rechten Parteien zu Russland?

Marcus Bensmann

Die Verachtung der liberalen Demokratie ist ein uraltes, rechtes Konzept. Staatsideen, die dem Individuum Vorrang geben, werden von Rechten, aber auch von Linken, abgelehnt. Diese wollen den Menschen immer einem Kollektiv unterordnen. Dies ist bei den Völkisch-Rechten eben diese ethnisch-kulturelle Identität. Nur dann, so die völkischen Ideologen, könnten die Menschen Glück und Zufriedenheit erlangen.

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Welche Rolle spielt Social Media für den Erfolg der AfD?

Marcus Bensmann

Eine große, insbesondere TikTok. Es ist erstaunlich, mit welcher Perfidie sie sich an diesem Instrument bedienen. Man muss sich fragen, inwieweit man es zulässt, dass eine chinesische Firma das Fenster in das Gehirn der Jugendlichen öffnet, wie einer der Multimedia-Experten der Völkischen Fraktion einst jubilierte.

Die AfD hat das Potenzial von Sozialen Medien früh erkannt und hat dann kompetente Leute in diesem Bereich angeheuert. Die wollen damit das politische System zur Lächerlichkeit delegitimieren. Mein zwölfjähriger Sohn erzählt mir über TikTok-Challenges, wie man mit seinem Körper ein Hakenkreuz machen kann. Das wird von uns nicht gesehen, was dazu führt, dass diese menschenverachtenden Zeichen auf einmal zu einem Jugendgag werden.

Die AfD ist mit ihrer Social Media-Strategie bei jungen Menschen äußerst erfolgreich, sie gehört bei Menschen zwischen 16 und 25 Jahren zu den beliebtesten Parteien.

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In Ihrem Buch geben Sie den anderen Parteien in Deutschland auch eine Mitschuld an dem Erstarken der AfD. Wie genau meinen Sie das?

Marcus Bensmann

Die AfD hat entsetzliche Ideen. Das Meiste davon sagen sie auch öffentlich. Da stellt sich mir die Frage: Wie schaffen sie es, mit solchen Aussagen so ein enormes Wählerpotenzial zu erreichen? Man darf nicht vergessen, im Sommer 2023 hatte die Partei ein bundesweites Potenzial von klar über 20 Prozent. Ich bin der Meinung, man hat der AfD zu viele Themen geschenkt. Die AfD ist auf die völkischen Vertreibungsideen, die Multipluralität, ihre Russlandnähe sowie die Sehnsucht, nochmal den Zweiten Weltkrieg gewinnen zu können, zu reduzieren. Zu diesen Themen sollten wir uns mit der AfD auseinandersetzen. Nur weil man beispielsweise gegen das Gendern ist, wie die AfD, dann ist man nicht gleich ein Nazi. Da schenkt man der AfD einerseits zu viele Themen und andererseits sollten wir bei solchen Themen einen demokratischen Diskurs führen. Man darf die Menschen nicht immer gleich in die rechte Ecke drängen.

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Braucht es dafür auch ein größeres gesellschaftliches Bewusstsein? Das ist ja nicht nur ein rein politisches Thema.

Marcus Bensmann

Natürlich. Man muss sagen, was das für ein Preis ist. Ich habe gerade von Rechtssicherheit geredet. Rechtssicherheit ist wieder so ein akademischer Begriff, aber der hat Folgen. Ich habe lange in Russland gelebt, auch in der ehemaligen Sowjetunion. Da kann jeder einen mitnehmen und für 20 Jahre ins Gefängnis stecken. Man kann seine Wohnung oder den Job verlieren und hat nicht die Möglichkeit, sich gegen einen übermächtigen Staat zu wehren. Das ist nur in einer liberalen Grundordnung möglich. Wir dürfen nicht unterschätzen, dass wir in diesem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht Mediatoren sind, sondern wir sind die Beute. Da muss man anders handeln. Wenn wir das aber einfach hinnehmen und den Büchsenspannern Putins, der AfD, Wagenknecht, Orbán oder der FPÖ politische Macht geben, dann kommt dieses politische System in unseren Vorgarten. Dann ist es eine Frage, die jeden Einzelnen betrifft. Es wird dann nämlich in Frage gestellt, was in einer liberalen Demokratie ein Schatz ist: Das Recht des Individuums vor dem willkürlichen staatlichen Zugriff.

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Die Tonalitäten werden allerdings, vor allem gegen Migrantinnen und Migranten, im Diskurs schon härter geführt. Spielen Auftritte wie von CDU-Chef Friedrich Merz mit Meinungsmache gegen Asylbewerber nicht der AfD in die Hände?

Marcus Bensmann

Das Spannende ist, dass die CDU eigentlich alle Karten in der Hand hat. Sie muss diese nur richtig spielen. Wir sind eine Einwanderungsgesellschaft und müssen bestimmen und ordnen, wer in dieses Land kommt. Dies allein ist  nicht problematisch, sondern die völkische Reinheitsidee. Für Merz wäre es einfach zu sagen, was die AfD will, ist ein rassistischer Einheitsstaat. Ein solcher Staat hat in Deutschland immer für Unglück gesorgt und hat auch in der restlichen Welt kaum eine Erfolgsreferenz. Der Ostblock ist beispielsweise untergegangen. Aktuell fällt mir als monoethischer Staat, der von der Außenwelt abgeschnitten ist, lediglich Nordkorea ein. Alle anderen großen erfolgreichen Einwanderungsländer haben diese Idee der rassischen oder ethnischen Reinheit nicht. Hier könnte sich Merz von der AfD abgrenzen. Die Diskussion über Einwanderung sollten wir in einem demokratischen Spektrum halten. Ich würde diese Debatte nicht den völkischen Ideologen in die Hände geben. Dasselbe gilt für die Westbindung. Die AfD greift im Endeffekt die Kernelemente der CDU an. Ich wundere mich, dass die CDU so hasenfüßig ist, dieses Kernelement zu verteidigen. Wenn sich die CDU aber in die Falle begibt und auch in die völkische Rhetorik verfällt, dann werden sie Gefangene der AfD-Ideologie und machen, was der Herr Sellner möchte: Den Raum des Sagbaren erweitern.

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Wieso ist die Debatte um Einwanderung so negativ konnotiert?

Marcus Bensmann

Das frage ich mich auch. Man sollte die positiven Seiten stärker herausarbeiten. Diese sind ja da. Sellner sagt beispielsweise, in Staaten wie Ungarn unter Orbán gibt es weniger Korruption. Das Gegenteil ist der Fall. Ungarn ist das korrupteste Land in der Europäischen Union. Die Behauptung, Menschen sind nur unter den eigenen Leuten glücklich, dagegen sprechen auch unsere weiteren Correctiv-Recherchen. Ein Priester im idyllischen oberbayerischen Dorf missbraucht regelmäßig seine Messdiener - mit dem Wissen des deutschen Papstes Ratzinger. Cum-Ex, alles angesehene Bürger, die dem Staat Geld klauen. Wenn man sich nur auf die Probleme fokussiert, kommt man immer in eine Schieflage. Natürlich muss man Probleme klar benennen. Damit würde man Medien wie Nius (Deutsches Medium unter der Leitung des ehemaligen BILD-Chefredakteurs Julian Reichelt; Anm. Red.) das Alleinstellungsmerkmal der Kritik nehmen. Es sollten aber auch mögliche Lösungen diskutiert und über Erfolge berichtet werden. Ich hatte letztens eine Operation. Das ganze Krankenhaus war voll mit Menschen, die vor 15 Jahren nach Deutschland gekommen sind, jetzt dort arbeiten und Teil unserer Heimat geworden sind. Wir müssen klar sagen: Mit der Idee einer ethnischen Reinheit greift ihr unsere Heimat an. Es geht nicht nur um Menschen, die aktuell aus dem Balkan oder dem Mittelmeer zu uns kommen. Es geht auch um diejenigen, die mit den Gastarbeiterverträgen in den 60er Jahren zu uns gekommen sind.

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Wir sprechen hier von 25 Millionen Menschen. Wenn so viele Menschen Deutschland verlassen, ist das doch ein wirtschaftliches Desaster?

Marcus Bensmann

Ja, das ist natürlich absolut irre. Krah hat in seinem Buch geschrieben, selbst wenn man eine restriktive Flüchtlingspolitik wie in Dänemark durchsetzen würde, bleiben noch 25 Millionen über. Krah schreibt, man könne sie in zehn Jahren nicht gegen ihren Willen ausweisen. Auch Sellner denkt dabei in längeren Zeiträumen, und nennt die „Remigration“ von „nicht-assimilierten Staatsbürgern“ ein „Jahrzehnte-Projekt“. Die Jungs denken langfristig. Björn Höcke redet auch von Deutschland minus 30 Prozent. Das entspricht genau den 25 Millionen Menschen. Das ist einfach irre und muss man auch so klar benennen. Aber dann kommt so ein Vorfall wie in Mannheim und rettet die AfD vor dem absoluten Desaster. Solche Vorfälle wie in Mannheim sind natürlich problematisch. Es ist aber besser, wenn die demokratischen Kräfte Lösungen anbieten und nicht die AfD schreien lässt. Für sie sind solche Vorfälle lediglich ein propagandistisches Mittel.

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Der CDU-Abgeordnete Wanderwitz hat ein AfD-Verbotsverfahren für Herbst angekündigt. Was halten Sie davon?

Marcus Bensmann

Die Väter und Mütter der Verfassung haben die Möglichkeit einer verfassungswidrigen Partei nicht niedergeschrieben, weil da noch so viel Platz war. Deutschland hat die furchtbare Erfahrung gemacht, dass die Demokratie einer Partei Raum gegeben hat, welche die Demokratie ermordet hat. Eine Demokratie, die auf diese Erfahrung aufbaut, wehrhaft zu machen, dass sowas nicht wieder geschieht, ist legitim. Es ist aber keine politische Entscheidung, sondern eine gerichtliche. Die Richter in Münster haben klar geurteilt, wenn der „ethnokulturelle Volksbegriff“ zu einer politischen Zielsetzung wird, die Staatsbürgern Rechte abspricht, ist das verfassungswidrig. An dieser Messlatte muss sich die AfD bewähren. Dabei muss es nicht zwingend im Programm stehen. Nach der Rechtsprechung in Münster reicht es, wenn führende Köpfe das aussprechen. Daraus ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten. Man kann bestimmten Personen eine Kandidatur verbieten, das würde außerdem schneller gehen als ein Verbotsverfahren. Zudem ist es möglich, der AfD Gelder zu kürzen. Eins darf man aber bei der Diskussion nicht vergessen: Wenn solche Instrumente ausgepackt werden, wird die AfD versuchen, sich von dem Ballast zu befreien. Das könnte auch eine domestizierende Wirkung haben.

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Stärkt das nicht den Opfermythos, an dem sich die AfD ja auch jetzt schon gerne bedient?

Marcus Bensmann

Den hat die AfD sowieso. Man muss damit aufhören, sich im Kopf des Gegners zu befinden. Ein Verbotsverfahren ist ein mögliches Instrument, womit man nicht zu lange warten sollte. Wenn die AfD allein schon in einem Bundesland an die Macht kommt, dann wird es richtig schwierig aufgrund des Zugangs zur Polizei, Verfassung etc.

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Wie sollte man mit der AfD aus Ihrer Sicht umgehen?

Marcus Bensmann

Den harten Kern kriegt man eh nicht. Coronaleugner und Russlandliebhaber kann man vergessen. Es gibt aber auch Leute, die den Flüchtlingszuzug regulieren wollen, aber die völkischen Ideen ablehnen. Diese Menschen hadern mit der Partei. Da ist es klüger, diesen Leuten auch einen Weg zurück zu ermöglichen. Die Demokratie ist die perfekte Staatsform für uns unperfekte Menschen.

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Die Corrective-Recherche hat ja eine enorme Resonanz erlebt und Millionen Menschen auf die Straßen getrieben. Hätten Sie mit einem solchen Ausmaß gerechnet?

Marcus Bensmann

Uns war schon bewusst, dass der Tabubruch, Staatsbürger vertreiben zu wollen, eine Brisanz hat. Wir hatten gedacht, wir kommen vielleicht mit der Recherche in die Tagesschau. Aber nach der Veröffentlichung wurde offenbar vielen klar, dass die AfD kein Spass ist, viele haben verstanden, die meinen es ernst. Die wollen Menschen vertreiben, darunter auch "nicht-assimilierte Staatsbürger". Das ist ein gefährlicher Begriff. Wer stellt das denn fest? Das hat die Leute aufgeschreckt und dafür gesorgt, dass sie ihre Stimmen erhoben haben. Dieses Ausmaß war aber nicht vorauszusehen. Ich habe auch noch nie eine Recherche gemacht, die ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung immer noch die Menschen so bewegt - auf beiden Seiten.

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Herr Bensmann, vielen Dank für das Gespräch.

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Marcus Bensmann

 © Correctiv/Ivo Mayr
Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst: Die ungeheuerlichen Pläne der AfD

Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst: Die ungeheuerlichen Pläne der AfD

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