Golfstaaten wie Katar, Saudi-Arabien und die Arabischen Emirate steigern ihren wirtschaftlichen und politischen Einfluss – auch in Europa. Daheim stehen die Herrscher jedoch vor Herausforderungen zwischen Turbokapitalismus und Tradition
Fußball war beim Treffen des Emirs von Katar mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz mit Sicherheit ein Thema. Schließlich liebt Tamim bin Hamad Al Thani diesen Sport, was zuletzt durch die Austragung der WM 2022 in seinem Land und schon davor durch sein Engagement beim Fußballklub Paris Saint-Germain sichtbar wurde. Aber nicht deswegen war das Zusammentreffen heikel. Der Emir gilt als Unterstützer der Hamas; Anfang August war er bei einer Trauerfeier für Ismail Hanija, den politischen Anführer der Terrororganisation, in der Nähe von Doha dabei. Doch auf Kontakte mit den superreichen Mächtigen vom Golf will Europa eben nicht verzichten. Denn mit ihren gewaltigen Öl- und Gasvorkommen sind sie nicht nur Lieferanten dieser (noch immer) begehrten Rohstoffe, sondern versprechen zudem unzählige milliardenschwere Aufträge und Partnerschaften.
Dabei versuchen sich die arabischen Golfstaaten – neben den Vereinigten Arabischen Emiraten werden Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, Katar und Oman dazu gezählt – schon seit Jahren von den fossilen Rohstoffen abzuwenden. Denn ihre Abhängigkeit von den begrenzten Ressourcen Öl und Gas führt in eine wirtschaftliche Sackgasse. „Die Golfstaaten haben Einfluss und Wohlstand durch Öl, vor allem die reichen unter ihnen wie Katar. Doch das ist ein endlicher Wohlstand, die globale Nachfrage könnte nachlassen“, erläutert Eckart Woertz, Direktor des Hamburger Giga Instituts für Nahoststudien.
Sauber und selbstbewusst
Parallel zur wirtschaftlichen Neuausrichtung wächst das politische Selbstbewusstsein: Am Golf ist ein globales Machtzentrum entstanden, das sich selbstbewusst von den USA und auch von Europa löst. Großveranstaltungen wie die Fußball-WM in Katar 2022 oder die Asiatischen Winterspiele in Saudi-Arabien 2029 sind neben Tourismusoffensiven und Megaprojekten, etwa die geplante Stadt Neom, Zeichen dieses Selbstverständnisses. Erst vor Kurzem hat Saudi-Arabien zudem angekündigt, 40 Milliarden Dollar in künstliche Intelligenz zu stecken – es soll ein neues Silicon Valley entstehen. Ebenso wird in saubere Energie investiert: Im November wurde in Abu Dhabi die weltweit größte Solaranlage in Betrieb genommen: Vier Millionen Solarzellen versorgen rund 160.000 Haushalte mit sauberem Strom. Verarbeitende Industrie, Handel und Dienstleistungen wurden in den vergangenen Jahren sukzessive aufgebaut, wobei Kuwait, Bahrain und Oman im Vergleich zu den anderen Ländern bei ihrer Diversifizierung noch hinterherhinken.
Die Milliarden aus dem Öl- und Gasgeschäft haben einen Turbokapitalismus in Gang gesetzt, für den Dubai das bekannteste Symbol ist. Dennoch bleiben die Golfmonarchien Autokratien, in denen politischer Widerstand unterdrückt wird und Machterhalt um jeden Preis die oberste Maxime ist. So dürfen die neuen Freiheiten für Frauen in Saudi-Arabien nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Macht zentralisiert bleibt. „Soziokulturell ist in Saudi-Arabien eine gewisse Liberalisierung zu beobachten, politisch wurde es deutlich weniger liberal, etwa im Vergleich zu 2021“, sagt Woertz. Die Zahlen sprechen für sich: Im Vorjahr wurden in dem Land 170 Menschen hingerichtet, nur in China und im Iran waren es mehr. So wurde ein pensionierter Professor zum Tode verurteilt, weil er sich kritisch gegenüber der Regierung geäußert hatte, unter anderem in sozialen Medien.
Nicht alles ist rosig.
„Die Herrscher versuchen einen Balanceakt zwischen Tradition und Moderne“, sagt Sebastian Sons vom Forschungsinstitut Carpo, der ein Buch über die Entwicklung der Golfmonarchien geschrieben hat (siehe Interview). Tatsächlich profitieren nicht alle gleichermaßen vom Reichtum – es gibt große regionale Unterschiede und auch innerhalb der einzelnen Länder starke Gefälle. Von den Bedingungen für die Arbeitsmigranten mal abgesehen, die etwa in Katar beinahe 90 Prozent der Bevölkerung stellen, sind die Zustände auch sonst nicht nur rosig. So betrug die Jugendarbeitslosigkeit in Saudi-Arabien 2022 rund 24 Prozent; gerade jüngere Menschen tun sich in vielen dieser Staaten schwer, zwischen schonungslosem Leistungsdenken, Religion, Digitalisierung und Tradition die Orientierung zu finden. Teurer Wohnraum und unsichere Pensionen sind Probleme, die durchaus auch in den Golfstaaten der Bevölkerung Kopfschmerzen bereiten, selbst wenn im Westen nach wie vor das Bild von Steuerparadiesen und ölreichen Wohlfahrtsstaaten dominiert.
Der Westen tut sich generell schwer mit der Einschätzung: Auf der einen Seite braucht er weiterhin Öl und Gas vom Golf, auf der anderen Seite will man bei Menschenrechten und der Ausbeutung von Arbeitsmigranten nicht den Mund halten. Bei Events wie der erwähnten Fußball-WM kann das durchaus zu Spannungen führen. In die Golfmonarchien pilgern die Regierungen dennoch gerne, weil sie die Dreifaltigkeit aus Geld, Gas und Öl versprechen. Noch brauchen die Wirtschaftsmächte nämlich die fossilen Rohstoffe, um ihre Wirtschaft am Laufen zu halten – und wegen der russischen Aggressionen in der Ukraine werden die Lieferung vom Golf noch wichtiger, vor allem Flüssiggas (LNG) verspricht hier langfristige Versorgung mit Energie. Dass sich beispielsweise der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck bei einem Besuch in Katar 2022 vor dem Emir tief verbeugen musste, beweist diese Abhängigkeit in Sachen Energie.
Kushner und Kurz
Offizielle Kontakte zu Regierungen im Westen sind dabei die eine Sache, es geht aber auch anders und weniger öffentlich bzw. offensichtlich: Jared Kushner, Schwiegersohn von Donald Trump, durfte sich 2021 über Interesse aus Saudi-Arabien an seiner Investmentgesellschaft Affinity Partners freuen: Zwei Milliarden Dollar hat ein Fonds des saudischen Kronprinzen in die Firma gesteckt. Bekannte Namen finden sich immer wieder in den Vorstandsetagen großer Firmen der Golfstaaten – darunter durchaus auch Ex-Politiker. Aus österreichischer Sicht besonders interessant ist das Engagement von Ex-Kanzler Sebastian Kurz, der als einer der Direktoren von Masdar agiert, einem Staatsunternehmen aus Abu Dhabi mit Fokus auf erneuerbare Energie. Recherchen, an denen unter anderem der „Standard“ beteiligt war, hatten aufgedeckt, dass Kurz seit dem Frühjahr 2022 für Masdar tätig ist, zu dessen Eigentümern übrigens der staatliche Ölkonzern von Abu Dhabi zählt, der auch an der OMV beteiligt ist. Pikanterweise war noch im Sommer 2021, kurz, bevor die Ära Kurz zu Ende ging, eine umfangreiche Partnerschaft zwischen Österreich und den Arabischen Emiraten eingefädelt worden. Es ging dabei vor allem um die Forcierung von Wasserstoff als saubere Energiequelle.
Kurz hatte sich laut Medienberichten auch für den Einstieg von Investoren aus Abu Dhabi bei René Benkos Signa-Konzern stark gemacht – ein Engagement, dem wenig Glück beschieden war: Es kam zu einer Klage gegen Signa, Kurz musste sogar auf sein Beratungshonorar in siebenstelliger Höhe verzichten. Vergleichsweise bescheiden erscheint dagegen die Ausgabe für jenes Pferd, das zwecks Festigung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Arabischen Emiraten und Österreich bereits 2019 in den Golfstaat geschickt wurde: Lipizzaner-Hengst Neapolitano Theodorosta wurde damals von Kurz höchstpersönlich dem Kronprinzen von Abu Dhabi, Muhammad bin Zayed Al Nahyan, und dessen Tochter überreicht. Nach mehreren parlamentarischen Anfragen kam später heraus, dass der Gegenwert des edlen Geschöpfes 15.000 Euro betragen haben soll. Mitreisende von Kurz und Hengst waren damals unter anderem der bereits erwähnte Benko, der damalige OMV-Boss Rainer Seele sowie Borealis-Chef Alfred Stern. Dass die OMV später die Anteile der Investmentfirma Mubadala (Abu Dhabi) an der Borealis um mehr als vier Milliarden Euro kaufte, sollte noch für Aufregung bei Anlegern sorgen – der Kaufpreis soll laut Anlegerschützern angeblich zu hoch gewesen sein.
Der Gaza-Krieg stellt die arabischen Golfstaaten nun vor die Herausforderung, einerseits das neue Selbstbewusstsein als (Groß-)Macht zu demonstrieren, andererseits die nach wie vor wichtigen Partner im Westen nicht vor den Kopf zu stoßen. Sebastian Sons meint, dass im Westen die Reaktion der Öffentlichkeit am Golf unterschätzt wurde. „Daher zeigt sich Saudi-Arabien nun viel kritischer gegenüber Israel.“ Von den doppelten Standards des Westens sei nun überall am Golf die Rede – das war schon beim Ukrainekrieg und bei der WM in Katar so. Die Arabischen Emirate und Saudi-Arabien wollen sich aus dem Konflikt heraushalten, meint Eckart Woertz. Israel sei zwar ein Sicherheitspartner, was die iranische Expansion in der Region betrifft. Doch die Mehrheit der eigenen Bevölkerung habe sich eindeutig positioniert – die Herrscher befürchten, dass das aus dem Ruder laufen könnte. So sind Demonstrationen mit Palästina-Flaggen etwa in Kuwait verboten. Auch wegen der geplanten Sportevents habe niemand am Golf Interesse an einer Eskalation, meint Sons. „Das würde die Stabilität in der Region gefährden und damit auch staatliche Ziele wie ausländische Investments.“ Kein Wunder: Wer reist etwa nach Saudi-Arabien, wenn in 300 Kilometern Entfernung Krieg herrscht? „Krieg ist geschäftsschädigend“, sagt Sons.
Die Macht erhalten
Das Ziel der Herrscherhäuser in den Golfmonarchien ist klar: Ihre Macht um jeden Preis erhalten – das versuchen sie mit dem Spagat zwischen Ölmilliarden, Aufbau neuer Wirtschaftsfelder und Modernisierung. Noch dürfen sie auf die Loyalität ihrer Bevölkerung zählen, auch wenn Klimawandel, Krisen wie der Gaza-Krieg und die drohende Verringerung von Ölexporten die Stabilität gefährden könnten. Zugleich verspricht die teilweise Abwendung von Westen neue Gestaltungsmöglichkeiten. Anfang des Jahres besiegelten die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien ihren Beitritt zum BRICS-Bündnis, dem unter anderem schon China, Indien und Russland angehören. Das bringt ihnen leichteren Zugang zu den Märkten in diesen Ländern und unterstreicht die neue geopolitische Bedeutung der Region.
„Es ist eine Art Trial-and-Error- Strategie“ Experte Sebastian Sons über die Abkehr vom Öl und die zukünftige Rolle Europas
Die Golfstaaten wollen ihre Abhängigkeit von Öl und Gas senken – wie kann ihnen das gelingen?
Sebastian Sons: Öl bleibt enorm wichtig, daher ist die Diversifizierung ein Balanceakt. In Saudi-Arabien sollen die Einnahmen aus Öl genutzt werden, um in andere Bereiche zu investieren. Das ist typisch für die Kombination aus Alt und Neu, die man überall am Golf sieht. Den Herrschern ist bewusst, dass sich etwas ändern muss.
Megaprojekte wie Neom in Saudi-Arabien liegen aber noch in ferner Zukunft.
Es gibt in Saudi-Arabien unzählige Projekte, die bereits abgeschlossen sind oder laufen, etwa die Erneuerung des Zentrums von Riad. In Dubai und Katar ist man schon viel weiter. Die Megaprojekte brauchen hingegen Zeit, das wird auch akzeptiert.
Saudi-Arabien setzt stark auf den Tourismus. Kann Dubai ein Vorbild sein?
Es hat den Vorteil, ein größeres, vielschichtigeres Land als Dubai zu sein – auch im Kultur- und natürlich im Religionstourismus hat man viel zu bieten. Dennoch sollen Teile des Erfolgsmodells Dubai kopiert werden, etwa der Luxustourismus. Auch die Formel 1 ist Teil dieses Nation Brandings. Dabei hat man im Tourismus aber nicht nur den Westen im Visier, sondern vor allem auch Gäste aus Asien, Südamerika und Afrika. Dennoch wird es Grenzen geben, etwa was das landesweite Alkoholverbot betrifft.
Die Missachtung der Menschenrechte ist ein Faktum. Sie schreiben zwar in Ihrem jüngsten Buch, dass es in etlichen Staaten durchaus Protestbewegungen gibt und man die Herrscherhäuser nicht mit der Bevölkerung gleichsetzen soll. Dennoch: Wie sollten europäische Regierungen vorgehen?
Die Frage, wie man mit autoritären Regimen umgeht und zusammenarbeitet, muss jede Regierung im Westen selbst beantworten. Die energiepolitische Notwendigkeit ist jedenfalls stark gestiegen, in Deutschland gibt es dazu einen realpolitischen Zugang. Diese Abwägung zwischen Werten und Interessen gilt es anzuerkennen. Und dann muss man sich entscheiden: Wollen und müssen wir mit diesen Ländern Partnerschaften haben? Am Golf will man sich nicht mehr vom Westen belehren lassen. Gerade wegen des Gaza-Kriegs ist es noch schwieriger, diese Themen anzusprechen. Es heißt, dass das westliche Modell nicht funktioniere. Mein Vorschlag wäre, Bereiche zu finden, in denen man Werte gemeinsam umsetzen kann, etwa in der Entwicklungspolitik oder beim Klimaschutz.
Speziell in Saudi-Arabien gab es einige Reformen – so haben Frauen nun mehr Rechte. Wie weit können solche Reformen in autoritären Monarchien überhaupt gehen?
Die Herrscher versuchen einen Balanceakt zwischen Tradition und Moderne. In Saudi-Arabien gab es unter Muhammad bin Salman radikale Änderungen, die nicht von allen Teilen der Gesellschaft gut angenommen wurden. Diese Änderungen sind aber vor allem für jüngere Generationen gedacht. Vor allem junge Frauen haben davor die Übermacht der Religionsgelehrten als bedrückend wahrgenommen. Frauen hatten immer schon einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einfluss in Saudi-Arabien, das war aber nicht sichtbar. Das ändert sich, und das erhöht auch das Leistungspotenzial des Landes. Saudi-Arabien will sich aus dem Image des erzkonservativen, frauenverachtenden Landes lösen. Muhammad bin Salman will mit dem saudischen Nationalismus eine neue Klammer schaffen, die nicht nur auf Religion beruht, sondern auch auf dem Nationalstaat. Es ist eine Art Trial-and-Error-Strategie. In anderen Ländern geht das leichter, etwa in den Emiraten mit Dubai als Glamourspot und Abu Dhabi im Hintergrund.
Wie würde sich ein Sieg von Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen auswirken?
Grundsätzlich hofft man in Saudi-Arabien auf einen Sieg von Trump, weil er mit seiner wirtschaftsorientierten Politik ein besserer Partner sein könnte und weil ihm Menschenrechte herzlich egal sind. Aber seit der letzten Wahl Trumps hat sich am Golf ein stärkeres Selbstbewusstsein entwickelt. Das würde sich unter einem Präsidenten Trump nicht ändern, man will sich nicht mehr ausschließlich den USA zuwenden.
Weniger USA, mehr China: Welche Rolle kann Europa in Zukunft am Golf spielen?
Europa hat an Bedeutung und Strahlkraft verloren. Man sieht das Modell der EU zunehmend kritisch. Nichtsdestotrotz hat Europa nach wie vor eine große Attraktivität, speziell bei jungen Menschen. Am Golf hat man sich aber mehr Einfluss von Europa als politischer Akteur erwartet, doch das ist nicht passiert. Europa sollte klar kommunizieren, was erwartet wird. Wir sollten uns auf Gemeinsamkeiten konzentrieren.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 44/2024 erschienen.