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Auch die Großstadt Charkiw stand unter starkem Raketenbeschuss, bei dem mindestens vier Menschen verletzt wurden, wie die Behörden mitteilten. Darunter war im Bezirk Saltowskij nach Angaben des Militärgouverneurs der Region, Oleh Synjehubow, ein 39-Jähriger, der in ein Krankenhaus gebracht wurde. "Zwei weitere Opfer befinden sich in ernstem Zustand", ergänzte Bürgermeister Ihor Terechow auf Telegram. Außerdem sei ein Mensch verletzt worden, als in einem anderen Bezirk ein Privathaus getroffen wurde.
"Die russische Armee hat mindestens sieben Angriffe durchgeführt", schrieb Synjehubow. Mehrere Brände seien ausgebrochen und es gebe Schäden an der zivilen Infrastruktur. Auch im Kiewer Bezirk von Charkiw gab es Bürgermeister Terechow zufolge einen Einschlag. Ein Feuer sei ausgebrochen, die Verglasung der umliegenden Gebäude wurde beschädigt.
Explosionen wurden nach Angaben der Agentur Ukrinform auch in der Großstadt Dnipro gemeldet. Die russischen Truppen griffen zudem in der Früh die Kraftwerke des größten privaten Energieunternehmens der Ukraine, DTEK, an. Es gebe schwere Schäden, teilt das Unternehmen auf der Plattform Telegram mit. "In diesem Jahr ist es der 13. massive Angriff auf den ukrainischen Energiesektor und der zehnte massive Angriff auf die Energieanlagen des Unternehmens."
In mehreren Regionen fiel der Strom aus. Das berichtete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch in der Früh auf der Plattform X. Er sprach von mehr als 70 Raketen - darunter ballistische - und mehr als 100 Drohnen, die Russland auf das Land abgefeuert habe. Ziel sei die Energieinfrastruktur gewesen. "Sie kämpfen weiter für ein Blackout in der Ukraine", warf Selenskyj den Russen vor.
Aufgrund des anhaltenden massiven Raketenbeschusses wurden in der Ukraine Maßnahmen zur Begrenzung des Stromverbrauchs ergriffen, berichtete Ukrinform unter Berufung auf den Stromnetzbetreiber Ukrenerho weiter.
Vorläufigen Berichten zufolge seien mehr als 50 Raketen und eine "signifikante" Zahl von Drohnen abgefangen worden, teilte Selenskyj mit. Doch nicht alle Angriffe hätten abgewehrt werden können. Techniker arbeiteten daran, die Stromversorgung so schnell wie möglich wieder herzustellen.
Es hatte landesweit Luftalarm in der Ukraine gegeben. Selenskyj warf Russlands Präsidenten Wladimir Putin vor, die Angriffe bewusst an Weihnachten befohlen zu haben. "Was könnte unmenschlicher sein?", fragte er.
Am Vortag kam bei einem russischen Raketenangriff auf die südostukrainische Stadt Krywyj Rih mindestens ein Mensch ums Leben und gut ein Dutzend weitere wurden verletzt. Eine Frau sei am Heiligen Abend lebend aus den Trümmern eines von russischen Raketen getroffenen Hauses gerettet worden, teilte die Militärverwaltung der Stadt mit. Die Zahl der Verletzten lag am Abend bei mindestens 15, davon waren 14 im Krankenhaus.
"Russen sind Mörder", schrieb der Chef der Präsidialverwaltung, Andrij Jermak, auf Telegram zu einem Foto eines zerstörten Hauses. Nichts sei den Russen heilig, sie zeigten keine Menschlichkeit. Die Heimatstadt von Präsident Selenskyj war in der Vergangenheit immer wieder Ziel von zerstörerischen Raketen- und Drohnenangriffen.
Der neue russische Angriff erschütterte das Weihnachtfest in dem Land. In der Ukraine feierten viele Menschen nach dem Vorbild der in die EU und in die NATO strebenden Führung Weihnachten nach westlichem Muster. Der Brauch wurde im Zuge des Abwehrkampfes gegen Russland eingeführt. Dennoch beschenken sich viele Menschen in der Ukraine weiter nach langer Tradition am Silvesterabend unter dem Weihnachtsbaum und feiern das orthodoxe Weihnachtsfest in der Nacht zum 7. Jänner wie in Russland.
Präsident Selenskyj lobte in seiner Weihnachtsansprache, dass die Ukrainer nun wie die Menschen im Westen feierten. "Weihnachten vereint alle Ukrainer", sagte er in seiner abendlichen Videoansprache. "Heute stehen wir Seite an Seite", sagte er. "Und so lange wir das tun, hat das Böse keine Chance", sagte Selenskyj weiter. "Wir wollen Frieden", betonte er. Über dem Land solle der Weihnachtsstern leuchten - und es sollten nicht Drohnen iranischer Bauart und Raketen einschlagen.
Der ukrainische Präsident erwähnte in seiner Ansprache auch die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk im Gebiet Donezk, die russische Truppen in Kürze einnehmen könnten. Selenskyj äußerte die Hoffnung, dass es dazu nicht komme - und dass Soldaten lebend nach Hause zurückkehrten.
Die Ukraine erlebt ihren dritten Kriegswinter. Das Land verteidigt sich seit Februar 2022 mit westlicher Hilfe gegen den russischen Angriffskrieg.
In der Stadt Lgow in der russischen Oblast Krusk wurden unterdessen nach Angaben des dortigen Gouverneurs bei einem ukrainischen Artillerieangriff vier Menschen getötet. Fünf Menschen seien verletzt worden, teilt der amtierende Gouverneur Alexander Chinschtein auf Telegram mit.
"Ein fünfstöckiges Wohngebäude, zwei einstöckige Wohngebäude und ein einstöckiger Schönheitssalon wurden schwerbeschädigt", erklärt er. "Durch die Druckwelle sind Fenster in benachbarten Privathäusern zerbrochen, und mindestens zwölf Autos wurden beschädigt. Auch ein kleiner Abschnitt einer Gasleitung wurde durch die Explosion zerstört."
Vergangene Woche wurden nach russischen Angaben bei einem ukrainischen Raketenangriff auf Rylsk, einer anderen Stadt in der an die Ukraine grenzende Oblast Kursk, fünf Menschen getötet.
Die russischen Truppen sehen sich indes weiter auf dem Vormarsch und wollen vor möglichen Verhandlungen so viele Ortschaften einnehmen wie möglich. Wie die Agentur Ukrinform berichtet, ist insbesondere die Lage in der Gegend des Dauer-Brennpunkts Torezk schwierig. Russland setze dort nun technische Ausrüstung wie gepanzerte Fahrzeuge ein.
Der Kreml in Moskau warf unterdessen Kiew erneut vor, Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts abzulehnen. Da die Ukraine keine Bereitschaft zu Gesprächen zeige, verfolge Russland seine Kriegsziele weiter, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. "Wir sehen die Dynamik, sie spricht für sich selbst. Also bewegen wir uns weiter vorwärts", sagte er. Das von Russland überfallene Land verlor in diesem Jahr die Kontrolle über zahlreiche Ortschaften.
Kreml-Chef Putin hatte zwar zuletzt auch erklärt, in dem Konflikt zu Kompromissen bereit zu sein, er ließ aber offen, was er damit meint. Putin hatte die Gebiete Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk annektiert, obwohl er sie nicht komplett kontrolliert. Er fordert unter anderem einen Verzicht der Ukraine auf diese Gebiete. Zudem soll das Land blockfrei bleiben und auf einen NATO-Beitritt verzichten.
All diese russischen Forderungen lehnt Selenskyj kategorisch ab. Die beiden Konfliktparteien werfen sich immer wieder gegenseitig vor, kein echtes Interesse an Verhandlungen für eine Lösung des Konflikts zu haben.