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Kriegsrecht: Was es bedeutet, was es erlaubt

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Kriegsrecht

©imago images/Ukrinform
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Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar gilt dort das Kriegsvölkerrecht. Was dieses Recht regelt und wann man von einem Kriegsverbrechen spricht.

Was bedeutet Kriegsvölkerrecht?

Das Kriegsvölkerrecht, auch als humanitäres Völkerrecht bezeichnet, ist Teil des Völkerrechts und beinhaltet einerseits Bestimmungen zum Schutz von nicht an Kampfhandlungen beteiligen Personen wie Zivilisten und verwundeten Angehörigen der Streitkräfte und anderseits regelt es die Anwendung von Kriegsmitteln und -methoden.

Es beschäftigt sich also einerseits mit der Legalität militärischer Gewalt und zum anderen regelt es den Umgang mit Kombattanten (Angehörige der Streitkräfte), Nichtkombattanten (Zivilisten, die nicht an Kampfhandlungen teilnehmen) sowie Kulturgütern.

Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass militärische Angriffe auch ohne völkerrechtliche Grundlage durchgeführt werden, sagt Karl Edlinger, pensionierter Brigadier und Rechtsberater im österreichischen Bundesheer, im Gespräch mit der APA. Er erinnert etwa an den NATO-Angriff auf Belgrad 1999. "Damals lag weder ein bewaffneter Angriff Jugoslawiens auf die NATO vor, noch gab es ein entsprechendes Mandat des Sicherheitsrats (dieser Angriff war somit auch eine eindeutiger Völkerrechtsbruch)."

Das Kriegsvölkerrecht ist ein Kompromiss zwischen der Berücksichtigung militärischer Notwendigkeit einerseits und der Bewahrung der Menschlichkeit andererseits. Dazu wurden einige Grundprinzipien entwickelt: an oberster Stelle steht der Grundsatz der Menschlichkeit. Dieser besagt, dass alle Menschen unter allen Umständen menschlich zu behandeln sind.

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Wann spricht man von einem Kriegsverbrechen?

Das Kriegsrecht lässt deutlich mehr zu, als man sich als Zivilist vorstellen kann. So ist etwa ein Angriff auf militärische Ziele in Städten, bei dem Zivilisten ums Leben kommen, nicht automatisch auch eine Völkerrechtsverletzung. Sich als Zivilist zu bewaffnen und ins Kriegsgeschehen einzugreifen, ist dagegen verboten, wie Edlinger mitteilt.

"Wer das tut, verliert sofort seinen Schutz als Zivilist und darf angegriffen werden und in letzter Konsequenz ohne Vorwarnung getötet zu werden." Das ist im Krieg in der Ukraine deswegen von Bedeutung, weil dort die Regierung die Zivilbevölkerung explizit zum bewaffneten Widerstand aufgerufen und 25.000 Schusswaffen sowie zehn Millionen Patronen ausgegeben hat.

Wenn Zivilisten und zivile Objekte zu Schaden kommen, sei das nicht in jedem Fall eine Verletzung des Kriegsvölkerrechts (also ein Kriegsverbrechen), teilt Edlinger mit. Jedenfalls eine Verletzung des Kriegsvölkerrechts ist eine absichtliche Tötung oder Verletzung einer geschützten Person oder eine absichtliche Beschädigung eines geschützten Objekts. Das humanitäre Völkerrecht schreibt jedoch nicht vor, dass ein Angriff sofort unterbrochen oder beendet werden muss, weil unter Umständen geschützte Personen oder geschützte Objekte in der Nähe des Angriffsziels zu Schaden kommen könnten. Diese unbeabsichtigte Auswirkung auf geschützte Personen oder Objekte im Rahmen einer militärischen Kampfhandlung bezeichnet man als Kollateralschaden.

Der Angreifer muss jedoch im Falle eines möglichen Kollateralschadens jedenfalls abwägen, ob der militärische Vorteil der Kampfhandlung den potenziellen Kollateralschaden rechtfertigt (Grundprinzip der Verhältnismäßigkeit). Die Inkaufnahme eines exzessiven oder unverhältnismäßigen Kollateralschadens ist jedenfalls eine Verletzung des Kriegsvölkerrechts bzw. ein Kriegsverbrechen. Das humanitäre Völkerrecht schreibt auch vor, dass Kommandanten und militärische Führer alle zumutbaren Anstrengungen zu treffen haben, um Kollateralschäden zu minimieren. Von mehreren militärischen Optionen, den Auftrag zu erfüllen, ist jene Option zu wählen, die den geringsten Kollateralschaden verursacht.

Wenn immer in einem bewaffneten Konflikt geschützte Personen oder geschützte Objekte zu Schaden kommen, liegt zumindest der Verdacht einer Völkerrechtsverletzung vor. Dass die betroffene Konfliktpartei den Vorwurf eines Kriegsverbrechens erhebt, ist aus deren Sicht nachvollziehbar. Ob tatsächlich ein Kriegsverbrechen begangen wurde, kann jedoch letztendlich nur ein Tribunal oder unabhängiges Gericht feststellen, erklärt Edlinger.

Was ist der Kombattantenstatus?

Das humanitäre Völkerrecht gewährt jedoch auch Milizen, Freiwilligenverbänden und organisierten Widerstandsbewegungen einen Kombattantenstatus, wenn diese Verbände einen verantwortlichen Kommandanten haben, sich deutlich (etwa durch eine Uniform) von Zivilisten unterscheiden, die Waffen offen tragen und das humanitäre Völkerrecht einhalten. Dieser Kombattantenstatus bedeutet, dass die Personen im Falle einer Gefangennahme nicht strafrechtlich für die bloße Teilnahme an Kampfhandlungen belangt werden dürfen.

Das bedeutet, dass Soldaten (Angehörige der Streitkräfte), die gegnerische Soldaten bekämpfen, eine rechtmäßige Kriegshandlung begehen und straffrei bleiben, Zivilisten jedoch für die unmittelbare Teilnahme an Kampfhandlungen strafrechtlich belangt werden können.

Der Grundsatz der Unterscheidung besagt, dass immer zwischen Kombattanten (Angehörigen der Streitkräfte) und Zivilisten zu unterscheiden ist: Kombattanten dürfen selbst an Kampfhandlungen teilnehmen, jedoch auch direkt bekämpft werden. Wenn sie jedoch verwundet werden oder sich ergeben, sind sie zu schützen und zu schonen. Fallen sie in die Hand des Gegners, werden sie zu Kriegsgefangenen, die für die bloße Teilnahme an Kampfhandlungen nicht belangt werden dürfen (für begangene Kriegsverbrechen sind sie jedoch individuell verantwortlich).

Zivilisten sind grundsätzlich zu schützen und zu schonen, verlieren jedoch den Schutz, wenn sie sich direkt an Kampfhandlungen beteiligen. In ähnlicher Weise muss immer zwischen militärischen Zielen (alle Objekte, die effektiv zu militärischen Kampfhandlungen beitragen), die angegriffen werden dürfen und zivilen Objekte, die geschont werden müssen, unterschieden werden.

Für welche Konfliktpartei gilt das Kriegsrecht?

Ob der Angriff auf die Ukraine an sich völkerrechtswidrig war, sei unbedingt getrennt davon zu betrachten, was im Zuge der kriegerischen Handlungen passiert. Für die militärischen Operationen beider Konfliktparteien gilt jedenfalls das Recht der bewaffneten Konflikte gleichermaßen, auch wenn der Angriff durch eine der Konfliktparteien an sich völkerrechtswidrig war.

Wer darf Krieg führen?

Im Völkerrecht müsse zwischen zwei Bereichen unterschieden werden, erklärt Edlinger: das Recht zur Kriegführung (ius ad bellum) bestimmt, wer Krieg führen darf. "Krieg ist heute grundsätzlich verboten. Ausnahmen gibt es nur im Fall eines bewaffneten Angriffs in Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung oder aufgrund eines Mandats des Sicherheitsrats der UNO.

"Russland argumentiert mit Völkermord in der Ostukraine und begründet den Einsatz von russischen Streitkräften historisch mit der mangelhaften Eigenstaatlichkeit der Ukraine bzw. der Eigenstaatlichkeit der Volksrepubliken des Donbass." Russland spricht auch nicht von Invasion in der Ukraine oder von Krieg, sondern von einer Unterstützungsoperation auf Ersuchen der "selbständigen Donbassrepubliken". Diese Argumentation mag jedoch nicht das militärische Vorgehen gegenüber der Ukraine völkerrechtlich zu rechtfertigen. Das ändere aber nichts daran, dass bei einem bewaffneten Konflikt (und der liegt zweifelsfrei und von allen Konfliktparteien unbestritten vor) das Kriegsvölkerrecht gilt.

Wie ist der Einsatz von Waffensystemen geregelt?

Etwas komplex gestaltet sich der Einsatz der unterschiedlichen Waffensysteme, die durch verschiedene völkerrechtliche Verträge geregelt sind. Grundsätzlich ist ein Staat nur an jene völkerrechtlichen Verträge gebunden, die er ratifiziert hat. Somit kann es einem Staat untersagt sein, ein bestimmtes Waffensystem zu verwenden, das einem anderen Staat jedoch rechtlich zur Verfügung steht. Aufgrund der großen Anzahl von Vertragsstaaten kann man jedoch davon ausgehen, dass chemische und biologische Waffen grundsätzlich untersagt sind.

Es komme immer darauf an, welcher Staat, welche Abkommen ratifiziert haben. Beispielsweise haben Länder, die über Streubomben verfügen und diese gegebenenfalls auch einsetzen wollen, "eine Ächtung dieser Waffensysteme in der Regel nicht unterschrieben", so Edlinger. So haben sechs NATO-Staaten, aber auch sieben Mitgliedsstaaten der Europäischen Union das Abkommen über das Verbot von Streumunition bisher nicht ratifiziert. "Russland und die Ukraine haben dieses Abkommen ebenfalls nicht unterzeichnet und der Einsatz dieser Waffensysteme wäre somit zulässig."

Auch der Einsatz von Atomwaffen ist einer Atommacht grundsätzlich nicht untersagt und die in ihrer Wirkung verheerenden Brandwaffen sind unter Einhaltung bestimmter Vorsichtsmaßnahmen zulässig.

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