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Kann man den Umfragen trauen?

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Vor Wahlen veröffentlichen Medien gerne Meinungsumfragen und da vor allem die Sonntagsfrage. Doch was lässt sich aus dieser wirklich herauslesen? Und wie kommen Meinungsforscher zu ihren Ergebnissen? Ein Leitfaden für den Wahlsonntag.

Die Fieberkurve der Parteien schlägt seit mehr als zwei Jahren recht eindeutig aus: Die FPÖ ist stabil auf Platz eins. Auf den hinteren Rängen wechseln ÖVP und SPÖ, Grüne und NEOS die Positionen. Je näher die Wahl kommt, desto mehr Umfragen werden durchgeführt. Wenn es am Wahltag anders kommt? "Die Meinungsforscher haben sich geirrt", höhnen dann die Parteisekretäre. Doch haben sie das wirklich? News beantwortet mit Christina Matzka von Triple M die wichtigsten Fragen zur Sonntagsfrage.

Was steht am Beginn einer Umfrage?

Zunächst brauchen Meinungsforscher für eine Umfrage eine "wirklich sehr gute Stichprobe", erklärt Matzka. Diese muss repräsentativ für die Zielgruppe, also die wahlberechtigte Bevölkerung sein. Man muss wissen, welche Kriterien – z. B. der Anteil von Frauen und Männern, Altersverteilung, Regionalität, Bildungsniveau, Haushaltszusammenstellung – die Stichprobe erfüllen soll. Meinungsforscher kooperieren dazu mit Firmen, die einen Datenpool mit Zehntausenden Menschen anbieten, die an Umfragen teilnehmen wollen. Aus diesem wird die Stichprobe gezogen. "Wichtig ist, dass man sein Panel gut kennt und sieht, wenn Befragungsergebnisse z. B. von früheren Wahlergebnissen stark abweichen", erklärt Matzka.

Weiters gilt es die Methode festzulegen – online oder/und telefonisch. Der Fragenkatalog wird erstellt. Neben der Sonntagsfrage gibt es eine Reihe von Fragen, die es den Meinungsforschern erleichtern sollen, aus den Rohdaten ein mögliches Wahlergebnis hochzuschätzen. Wie sicher sind Sie, dass sie diese Partei wählen? Welche andere Partei käme für Sie infrage? Oder: Wen haben Sie bei der letzten Wahl gewählt? Auch die Reihenfolge der Fragen ist wichtig. "Man fällt nicht gleich mit der Sonntagsfrage ins Haus, sondern beginnt mit neutralen Fragen", erklärt Matzka.

Was sind Rohdaten, wie entsteht die Hochschätzung?

Durch die Befragung erhalten die Meinungsforscher Hunderte Detailergebnisse. Bei der Sonntagsfrage entsprechen die Rohdaten noch lange nicht dem später veröffentlichten Ergebnis. Sie liegen – zum Teil deutlich – tiefer. Das liegt daran, dass ein Teil der Befragten "weiß nicht", "keine Angabe", "werde nicht zur Wahl gehen" ankreuzt. Bei der jüngsten Triple M/News-Umfrage waren das rund 15 Prozent. Da aber beim Wahlergebnis und der Sonntagsfrage 100 Prozent der Stimmen zugeteilt sind, werden diese 15 Prozent bei der Hochschätzung auf die Parteien aufgeteilt. Das erfolgt nicht nach einem fixen Schlüssel, sondern mithilfe vieler Detaildaten und Überlegungen. Etwa: Zeigen die Daten, dass eine Partei viele Stammwähler hat? Wie oft kommt eine Partei als zweite Wahl vor? Welche Themen sind den Befragten wichtig und welche Partei deckt diese am besten ab?

Ebenso wichtig ist, ob sich die Befragten überhaupt zu einer bestimmten Wahl bekennen wollen. In den 1990er-Jahren gaben weniger Menschen an, die FPÖ zu wählen, als es dann am Wahltag taten. Daher war die FPÖ in Umfragen "unterdeklariert". "Ein ähnliches Phänomen sehen wir heute bei der ÖVP, die bei der EU-Wahl deutlich besser abgeschnitten hat, als es die Umfragen glauben ließen", sagt Matzka. Bei der jüngsten Triple M/News-Umfrage lagen ÖVP und SPÖ in den Rohdaten bei 15 bzw. 17 Prozent. Dennoch schätzte Matzka die ÖVP auf 23, die SPÖ auf 21 Prozent. Eben weil die ÖVP bei der EU-Wahl stärker zugelegt hat, als es die Rohdaten damals auswiesen. Bei der FPÖ hat Matzka in der Hochschätzung hingegen nur wenig aufgeschlagen: "Deren Anhänger zeigen ein sehr traditionelles Wahlverhalten, haben sich schon früh entschieden, da gibt es nur noch wenig Bewegung", meint die Expertin. Zudem sei die FPÖ bei der EU-Wahl in Umfragen überbewertet gewesen und am Wahltag unter den Erwartungen geblieben.

Warum muss man auf die Schwankungsbreite achten?

Bei jeder seriösen Umfrage ist die maximale Schwankungsbreite ausgewiesen. Bei der letzten News/Triple M-Umfrage waren das +/-3,1 Prozent. Aber, Achtung, das heißt nicht, dass jede abgefragte Partei um diese 3,1 Prozent mehr oder weniger erreichen kann. Die Schwankungsbreite variiert je nach Größe der Partei und wird mit einer eigenen Formel berechnet.

Warum gibt es am Wahltag dann ein anderes Ergebnis?

Umfragen, die mehrere Wochen vor dem Wahltag gemacht werden, geben bestenfalls ein Stimmungsbild für genau diesen Zeitpunkt wieder. "Mischt" man die Ergebnisse aller veröffentlichen Umfragen, wie es der APA-Wahltrend tut kommt allerdings ein realistisches Bild der Lage heraus. Im Finale eines Wahlkampfs kann dennoch einiges passieren, das die Stimmung und das Ergebnis beeinflusst, etwa das jüngste Hochwasser oder, vor der EU-Wahl 2019, die Veröffentlichung des Ibiza-Videos. Zudem können Parteien, die in der Umfrage unter der Vier-Prozenthürde für den Nationalrat liegen, es über ein Grundmandat ins Hohe Haus schaffen.

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Wie erkenne ich eine seriöse Umfrage?

"Bei einer guten Umfrage ist alles dokumentiert und transparent", sagt Matzka. Steht bei der Veröffentlichung nicht dabei, welches Institut sie durchgeführt hat, wie viele Leute wann befragt wurden, wie hoch die Schwankungsbreite und wer der Auftraggeber ist, ist Skepsis angebracht. Je größer das Sample ist, desto aussagekräftiger sind die Ergebnisse. Die Branchenverbände VMÖ und VdMI haben dazu klare Qualitätskriterien formuliert. "Als Branche sind wir auf unsere Reputation bedacht und wollen, dass Umfragen, die nicht unseren Kriterien entsprechen, von den Leserinnen und Lesern auch erkannt werden können", sagt Matzka.

Arbeiten Meinungsforscher mit Parteien zusammen?

Das sogenannte "Beinschab-Tool" in der Ära Kurz und Strategiepläne für die SPÖ, erstellt vom damaligen SORA-Chef Günter Ogris, brachten das Verhältnis von Meinungsforschern und Parteien in die Schlagzeilen. Wichtig sei zwischen Umfragen und Beratungstätigkeit zu unterscheiden, sagt Matzka. Eine Umfrage liefert reine Zahlen, was eine Partei damit macht, ist ihre Sache. "Ich bin weit weg von Politikberatung", sagt Matzka. Jedenfalls gilt auch hier: Transparenz. Sie selbst führe mit ihrem Marktforschungsinstitut bisweilen Umfragen für SPÖ und NEOS durch, politische Umfragen würden aber nur einen kleinen Teil ihres Umsatzes ausmachen. "Dass, siehe Beinschab-Tool, versucht wird, mit Umfragen Stimmung zu machen, ist klar abzulehnen. Da stellt es Marktforschern alle Haare auf."

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Peter Filzmaier ist der prominenteste Politikwissenschaftler Österreichs. Er ist bekannt für seine politischen Analysen im ORF und nebenbei ein großer Sportfan

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Peter Filzmaier: „Die Sonntagsfrage ist Teil der Wahlkampffolklore“

Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier erklärt, welchen Einfluss Meinungsumfragen auf das Wahlergebnis haben: wenig. Und er kritisiert Medien dafür, dass sie oft undifferenziert über Umfragen berichten

von Anna Gasteiger

Die Umfragen vor der Wahl am 29. September sind schon längere Zeit recht stabil. FPÖ vor ÖVP, dann folgt die SPÖ. Wem nützt, wem schadet das?

Es gibt in der Kommunikationswissenschaft mehrere Thesen zur Wirkung von Umfragen, die aber großteils nicht nachgewiesen sind. Da ist einerseits der sogenannte Bandwagon-Effekt, das Aufspringen von Mitläufern auf den Zug des vermeintlichen Siegers. Aber es gibt genauso die These vom Solidarisierungs- oder Mitleidseffekt, der angeblich oder tatsächlich zurückliegenden Parteien zugutekommt. Da sich diese beiden Thesen widersprechen, können nicht beide allgemeingültig sein. Es kommt auf die jeweilige Wahl an. Der Solidarisierungs- oder Mitleidseffekt ist zum Beispiel nach dem BAWAG-ÖGB-Skandal 2006 aufgetreten und hat der SPÖ geholfen. Der Bandwagon-Effekt war bei Sebastian Kurz zu beobachten.

Welche Effekte gibt es noch?

Der Effekt, der am ehesten generell eintritt, ist der sogenannte Fallbeileffekt. Das heißt, Parteien, die konsequent deutlich unter 4 Prozent liegen, werden noch seltener gewählt, weil die Leute sagen, die schaffen es sowieso nicht.

ÖVP und SPÖ haben sich im vergangenen Wahlkampf darum gematcht, im Zweikampf mit der führenden FPÖ wahrgenommen zu werden. Warum?

Die strategische Absicht dahinter muss gar nicht so sehr der Glaube sein, man würde damit mehr Stimmen bekommen. Es geht um Aufmerksamkeit in den Medien, aber auch um die Wirkung auf die eigenen wahlkämpfenden Funktionäre. Das Paradoxe ist, jeder will vorne sein, aber nicht zu weit, sonst lehnen sich die Funktionäre zurück. Klar abgeschlagen will man aber auch nicht sein, weil das demotivierend wirkt. Deswegen spricht die SPÖ davon, in eigenen Umfragen auf Platz zwei zu liegen, obwohl alle öffentlich zugänglichen Umfragen etwas anderes besagen. Ein Signal an die eigenen Leute.

Nützt oder schadet es der FPÖ, dass sie in Umfragen schon lange auf Platz eins liegt?

Im Wahlkampf hält es die Reihen dicht geschlossen. Die Erwartungshaltung kann aber zur Gefahr werden. Wahlergebnisse werden ja nicht nur rechnerisch am letzten Ergebnis gemessen, sondern auch emotional an der Erwartung unmittelbar davor. Und wenn, wie bei der EU-Wahl, der Vorsprung sehr knapp sein sollte oder man gar nicht Erster wird, fällt es einem auf den Kopf, wenn man fast zwei Jahre konstant vorne gelegen ist.

Wir sprechen jetzt über Umfragen, als würden Sie eine große Rolle spielen. Tun sie das wirklich oder beschäftigt sich nur die politmediale Blase damit?

Umfragen sind allgemein populär aufgrund der zutiefst menschlichen Sehnsucht nach der Kristallkugel. Es ist ein bisschen wie bei Wahlplakaten: Jeder kennt sie, jeder sieht sie, aber das Wahlverhalten wird davon nicht entscheidend beeinflusst.

Parteiintern können Umfragen eine wichtige Rolle spielen, wenn es zum Beispiel darum geht, die Wahrnehmung von Themen oder Personen zu erfragen. Die reine Sonntagsfrage dagegen ist Teil der Wahlkampffolklore, die niemand missen möchte. Ihr Einfluss ist aber geringer als man glaubt.

Meinungsumfragen kurz vor einer Wahl zu verbieten, würde also über das Ziel hinausschießen?

Ich hätte zwei Gegenargumente. Das eine ist ein sehr praktisches, das andere ein grundsätzlich demokratiepolitisches. Das praktische ist, wie will ich im Zeitalter des Internets und der sozialen Medien die Veröffentlichung von Umfragen effektiv verbieten? In Frankreich zum Beispiel sind sie kurz vor der Wahl verboten, es erscheinen aber Umfragen in Belgien, wo man praktischerweise auch Französisch spricht. Es wäre also nichts gewonnen, wenn man Umfragen in Österreich verbietet, sie dann aber auf schweizerischen Webseiten findet.

Und das demokratiepolitische Argument?

Letztlich handelt es sich bei Umfragen um Aussagen über öffentliche Meinung. Und in einer Demokratie Veröffentlichungen über öffentliche Meinung zu verbieten, halte ich für problematisch. Man öffnet damit die Büchse der Pandora. Sagen wir, Sie dürfen zwei Wochen vor der Wahl keine Umfragen mehr in Ihrem Magazin veröffentlichen. Was machen Sie, wenn ein Politiker in einem Interview über interne Umfragen spricht? Schränken Sie die politische Meinungsfreiheit ein und verbieten ihm, im Wahlkampf so etwas zu sagen? Ich wäre da sehr skeptisch. Es ist wahrscheinlich besser, als Magazin eine qualitätsvolle Umfrage in Auftrag zu geben, als sich aufs Hörensagen zu verlassen. Wenn wir schon regulieren wollen, wäre eine Veröffentlichungspflicht über die Daten der veröffentlichten Umfrage sinnvoll. Zum Beispiel, wer ist der Auftraggeber, aber auch, wann genau war der Befragungszeitraum? Als Wissenschaftler würde ich mir wünschen, dass auch der Rohdatensatz und der ganze Tabellenplan immer online gestellt werden müssen.

Sind Medien generell zu sehr auf Umfragen fokussiert?

Ich lese immer nur Schlagzeilen mit der Sonntagsfrage, obwohl in solchen Umfragen ja normalerweise auch Fragen zu inhaltlichen Themenbereichen drinnen sind, über die man berichten könnte. Dass sich Politiker aus Umfragen herauspicken, was ihnen im Wahlkampf nützt, ist wenig verwunderlich. Aber wenigstens Medien sollten nicht das reine, scheingenaue Zahlenspiel mitspielen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 39/2024 erschienen.

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