von
Die eigentlichen Gedenktage sind bereits in den kommenden Wochen, und schon am Mittwoch (9. April) startet das HGM eine Reihe von wissenschaftlichen Veranstaltungen zu diesem Anlass. Eine dreitägige internationale Konferenz beschäftigt sich mit den sogenannten "Kriegsendverbrechen". "Zur Gewaltexplosion in den letzten Kriegstagen kam es, weil die NS-Ideologie des totalen Kriegs, der einzigen Alternative 'Sieg oder Vernichtung', in die Gesellschaft hineingetragen wurde. Man spricht auch von einem Holocaust vor der Haustüre, da sich dieser zu Kriegsende von den Konzentrationslagern mittels Todesmärschen in die Gesellschaft hineinverlagert hat", erklärt Hoffmann. "Wir müssen uns eine Art Weltuntergangsstimmung vorstellen." Dies habe zu einer starken Zunahme der Selbstmorde geführt, aber auch dazu, dass das Tor zur Hölle noch einmal weiter aufgemacht wurde.
"Die Möglichkeit, ungestraft töten zu können, haben viele genutzt", sagt der Historiker, der selbst zu diesem Thema geforscht hat. "Ein Großteil der Kriegsverbrechen im österreichischen Raum, die nach Kriegsende vor Gericht kommen, wurde gegen Ende des Zweiten Weltkriegs begangen." Auf die Akten eines Volksgerichtshofprozesses, der sich 1947 mit der Einsetzung von Standgerichten und der Verhängung von Todesurteilen unmittelbar vor dem Vormarsch der Roten Armee im Semmeringgebiet beschäftigte, hat Martin Prinz in seinem neuen Roman "Die letzten Tage" zurückgegriffen.
Der Autor, dessen Buch im April die ORF-Bestenliste anführt, ist der Überzeugung, dass Österreich "sicher ein anderes Land geworden" wäre, hätte die Justiz sich auch in der Folge konsequent mit den NS-Verbrechen beschäftigt. Hoffmann kann dem etwas abgewinnen: "Nach Ende des Kriegs haben wir eine kurze Phase, die ganz klar antifaschistisch ausgerichtet ist. In der Nachkriegsjustiz werden zunächst sehr harte, schnelle, weitgehende Urteile gefällt. Nach 1948 fällt das. Dann greifen die Opferthesen."
Schon die am 27. April 1945 von Vertretern von SPÖ, ÖVP und KPÖ unterzeichnete Proklamation über die Selbstständigkeit Österreichs betonte den "aufgezwungenen Anschluss", ließ aber die Mittäterschaft von Österreichern an Terrorregime und Holocaust unerwähnt. Hoffmann: "Die zweite Opferthese kommt mit den Heimkehrern: Thematisierte die erste Opferthese 'Österreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus', so stellt die zweite Opferthese 'Österreicher als Opfer des Krieges' in das Zentrum. Die Frage der Täterschaft wurde nicht mehr gestellt. Das staatliche Rot-Weiß-Rot Buch des Jahres 1946 drückte diese Ambivalenz der Wahrnehmungen in einem Satz mit Blick auf die Westalliierten aus: 'Die Feinde der Front, die Freunde des Herzens, zerstörten, um zu befreien.'"
Während Kriegsrelikte wie Fliegerbomben "noch lange ein Thema sein werden", gibt es kaum mehr Menschen, die selbst von jener Zeit berichten können. "Nachdem immer weniger Zeitzeugen leben, müssen wir uns als Gesellschaft um die Erinnerung kümmern. Wir stehen an der Schwelle der Erinnerung. Es wächst eine Generation heran, für die die Zeit des Nationalsozialismus ausschließlich historisch ist." Auch im HGM werde dies sichtbar. "Wir spüren es bei der Vermittlungsarbeit im Museum, dass das Bewusstsein für das, was wir aus unserer Geschichte lernen können, abnimmt."
Ausgerechnet diese Zeit bleibt in der Museumsausstellung derzeit jedoch ausgespart. Die vor zwei Jahren eingeleitete umfassende Neugestaltung des Saals "Republik und Diktatur" konnte nicht wie geplant rechtzeitig zum Republiksjubiläum fertiggestellt werden. "Wir haben massive Altlasten aufzuarbeiten, auch in der technischen Ausstattung. Aber wir haben starke Vernetzungen aufgebaut. Die wissenschaftliche Vernetzung ist die Basis."
Georg Hoffmann hat bei seinem Amtsantritt 2023 nicht nur eine bauliche, sondern auch eine inhaltliche Umgestaltung des im Verteidigungsministerium ressortierenden Museums übernommen. "Es gibt seit Anfang der 2000er die neue Militärgeschichte, die kultur- und sozialgeschichtliche Elemente stark miteinbezieht. Während sich die alte Heeresgeschichte vor allem der Organisation gewidmet hat, steht nun der Mensch, aber auch Krieg als Zustand einer Gesellschaft im Mittelpunkt." Das soll sich auch in der Ausstellung niederschlagen. "Der neue Saal soll Anfang 2026 eröffnen und nicht nur Ausstellungs-, sondern auch Vermittlungs- und Diskursraum sein. Dabei soll immer eine Verknüpfung mit der Gegenwart erfolgen. Von der Gefährdung der Demokratie bis zum Ukrainekrieg gibt es viele aktuelle Anknüpfungspunkte."
Wie viele andere Museumsdirektoren möchte auch Hoffmann sein Haus stärker als Plattform der Begegnung und des Austausches positionieren. "Wir erleben turbulente Jahre. Die Ruhe, Dinge nüchtern zu analysieren und konstruktiv miteinander zu diskutieren, haben wir verloren." Dass das HGM nicht gerade zentral gelegen ist, sei kein Problem. "Ich sehe an unserem Standort keinen Nachteil. Wir können den Raum hier entwickeln und haben spannende neue museale Partner im Arsenal. Es gibt großes Entwicklungspotenzial!"
Als zentraler Erinnerungsort wird in den Debatten immer wieder der Heldenplatz angeführt. Auch ihm sei der Heldenplatz "besonders wichtig", betont Georg Hoffmann, bezieht sich aber weniger auf den Altan (den "Hitlerbalkon", Anm.) der Neuen Burg, sondern auf das Äußere Burgtor: "Das Heldendenkmal ist in den 30er-Jahren in der Zeit Engelbert Dollfuß' entstanden. Da braucht es Kontextualisierung und Arbeit an einer Leerstelle der Republik."
Eine ganz andere Leerstelle befindet sich in unmittelbarer Nähe des Heeresgeschichtlichen Museum, im Schweizergarten. Seit 1966 steht dort eine hoch aufragende Chromnickelstahlkonstruktion des Bildhauers Heinrich Deutsch und des Architekten Berthold Gabriel, die an die Errichtung der Zweiten Republik am 27. April 1945 erinnern soll. Hoffmann macht sich keine Illusionen: "Das Staatsgründungsdenkmal kennt kaum jemand."
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/Wolfgang Huber-Lang