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Seit zwei Jahren werden Museumsbesucher und -besucherinnen in speziellen Studien eingeladen, mobile Eye-Tracking-Brillen während des Ausstellungsrundgangs zu tragen. Diese zeichnen die wechselnde Position des Auges 100 Mal pro Sekunde auf. Interviews, Fragebögen, Video- und Interaktionsanalysen liefern zusätzliche Informationen, wie sich die Teilnehmenden bewegen und wie sie die Kunstwerke verschiedener Epochen verstehen. Die erste von vier Studien wurde im Oktober 2022 in der Schau "Lebensnah. Realistische Malerei von 1850 bis 1950" im Oberen Belvedere durchgeführt.
Großformaten wird demnach deutlich längere Aufmerksamkeit geschenkt: dem großen Historienbild "An der lateinischen Brücke in Sarajewo" (1883) von Friedrich Alois Schönn etwa mit einem Median von 32,69 Sekunden. Kleinformatige Gemälde, vor allem Stillleben, werden deutlich kürzer angesehen - selbst, wenn es sich um Werke bekannter Künstler wie van Gogh handelt, dessen "Stillleben mit fünf Flaschen" (1884) es nur auf einen Median von 2,71 Sekunden schafft.
Bei Gattungen fällt ein weiterer gravierender Unterschied auf: Insgesamt werden Gemälde systematisch länger als Skulpturen betrachtet. Während ein Gemälde im Median bei 9,59 Sekunden liegt, liegt der Median bei einer Skulptur bei 5,50 Sekunden.
Auffällige Unterschiede gibt es der Studie zufolge beim Leseverhalten betreffend der Ausstellungstexte. 73 Prozent der Besucherinnen und Besucher nutzen die einfachen Objektangaben. Kurze Werkbeschreibungen mit etwa 100 Wörtern werden von 59 Prozent bis zum Ende gelesen, längere mit etwa 200 Wörtern nur von 26 Prozent.
Probeweise wurde die Hälfte der Werke entfernt. Zur Überraschung des Teams veränderte sich die Betrachtungszeit der Kunstwerke kaum. Die Lesezeiten des Wandtextes und der kommentierenden Beschriftungen nahmen aber um das Dreifache und Doppelte zu.
WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Karl Pani/René Steyer/Karl Pani,René Steyer