Keir Starmer ist neuer Premierminister des Vereinigten Königreichs. König Charles III. beauftragte den Sozialdemokraten mit der Regierungsbildung. Der 61-Jährige hatte mit seiner Labour Party bei der Parlamentswahl 4. Juli 2024 einen deutlichen Sieg errungen und die Konservativen abgelöst, die 14 Jahre lang das Land regiert hatten.
Ergebnis britische Unterhauswahl 2024
Keir Starmer kündigte bei seinem ersten Auftritt als Regierungschef eine Rückkehr zu Stabilität und Wachstum und einen umfassenden Kurswechsel an. "Es dürfte jedem klar sein, dass unser Land einen größeren Neustart braucht", sagte er am 5. Juli vor seinem Amtssitz in der Downing Street in London. Die Briten müssten wieder entdecken, was sie ausmache. "Unabhängig von den Stürmen der Geschichte war eine der größten Stärken dieser Nation immer unsere Fähigkeit, einen Weg zu ruhigeren Gewässern zu finden", erklärte er vor dem Hintergrund einer wachsenden Unzufriedenheit in weiten Teilen der Bevölkerung mit der wirtschaftlichen Lage und dem teils desolaten Zustand des öffentlichen Dienstes.
Starmer betonte, die Wähler hätten sich für einen Wechsel entschieden. "Sie haben uns ein klares Mandat erteilt, und wir werden es nutzen, um Veränderungen herbeizuführen." Die Regierung werde jeden Tag kämpfen, bis das Vertrauen wiederhergestellt sei. "Ab sofort haben Sie eine Regierung, die nicht von Dogmen belastet ist, sondern allein von dem Willen geleitet wird, Ihren Interessen zu dienen. Um jene zu widerlegen, die unser Land bereits abgeschrieben haben."
Starmers Labour Party hatte einen überwältigenden Sieg bei der Parlamentswahl eingefahren. Mit mindestens 412 Sitzen hat sie mehr als dreimal so viele Mandate wie die Konservativen, die nun auf den Oppositionsbänken Platz nehmen müssen.
Was nun auf Keir Starmer zukommt
Auf Keir Starmer kommen etliche Herausforderungen im Land zu - etwa die Überlastung des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS, Probleme in der Wohnungspolitik oder die Frage, wie das Land mit Einwanderung umgehen will. Großes Thema im Vereinigten Königreich sind auch die gestiegenen Lebenshaltungskosten.
Politisch verspricht Starmer wirtschaftliche Stabilität, ein besseres Gesundheitssystem und stärkeren Grenzschutz. Er will ein nationales Unternehmen für die Energieversorgung gründen und mehr Lehrer einstellen. Kippen will er den Plan der bisherigen Regierung, irreguläre Migranten ungeachtet ihrer Herkunft nach Ruanda abzuschieben. Eine Rückkehr seines Landes in die EU hat er ausgeschlossen.
Wie geht es nun mit den Tories weiter?
Den abgewählten Tories droht nun ein Richtungsstreit. Sie kommen auf ein historisch schlechtes Ergebnis. Für Rishi Sunak ist es eine schwere Niederlage. Er kündigte an, er werde als Parteichef zurücktreten, sobald die formalen Regelungen für die Nachfolge geklärt seien.
Die Partei verlor ihre Mehrheit und kommt nach Auszählung fast aller Stimmen nur noch auf 121 von 650 Mandaten. Nach den schweren Mandatsverlusten ist die Partei ausgedünnt. Mehrere potenzielle Nachfolger haben ihren Sitz verloren, darunter Verteidigungsminister Grant Shapps und die bisherige Ministerin für Parlamentsfragen, Penny Mordaunt. Handelsministerin Kemi Badenoch dagegen, der bisher ebenfalls gute Chancen eingeräumt werden, verteidigte ihr Mandat. Sie steht am rechten Rand innerhalb der Partei, ebenso wie die frühere Innenministerin Suella Braverman, die ebenfalls als aussichtsreiche Kandidatin für die Parteiführung gilt.
Als moderatere potenzielle Kandidaten gelten der bisherige Innenminister James Cleverly und der bisherige Staatssekretär Tom Tugendhat. Auf die Frage, ob er sich bewerben wolle, antwortete Cleverly in einem Interview mit dem Sender Sky News eher ausweichend.
Die Tories stehen von rechts unter Druck von der rechtspopulistischen Partei "Reform UK". Deren Chef Nigel Farage hatte mit seiner überraschenden Kandidatur Wähler am rechten Rand abspenstig gemacht. Er trieb einst maßgeblich den Brexit voran und gilt als Unterstützer des früheren US-Präsidenten Donald Trump. Auch Farage zog ins Parlament ein und wird eine kleine Gruppe von Abgeordneten anführen. Sein erklärtes Ziel ist es, die Konservative Partei zu übernehmen oder überflüssig zu machen.
Was wurde gewählt?
Gewählt werden bei der britischen Unterhauswahl die 650 Abgeordneten (Members of Parliament, kurz MP) des britischen Unterhauses (House of Commons, HoC) für die nächste Legislaturperiode von fünf Jahren.
Anmerkung: Das Parlament besteht in Großbritannien aus dem Unterhaus, dem Oberhaus (House of Lords) und der Krone (vertreten durch König Charles III.). Das Unterhaus ist die politisch entscheidende Kammer und ist für Gesetzgebung und den Staatshaushalt ebenso verantwortlich wie für die Kontrolle der Regierung.
Wer darf wählen?
In Großbritannien wählen darf jeder britische Bürger, irische Bürger oder Bürger eines Commonwealth-Landes, der am Wahltag mindestens 18 Jahre alt ist und im Vereinigten Königreich lebt. Nicht wählen dürfen Mitglieder des House of Lords, Gefängnisinsassen sowie Personen, die während der letzten fünf Jahre wegen eines Verstoßes gegen das Wahlgesetz verurteilt wurden.
Kandidaten
Rishi Sunak (Conservative Party)
Rishi Sunak, von 2022 bis 2024 britischer Premierminister der Conservative Party, auch "Tories" genannt, kämpfte dieses Jahr um seine Wiederwahl. Sunak, der im Kabinett von Boris Johnson als Schatzkanzler agierte und die Partei nach dem Rücktritt von Liz Truss 2022 übernahm, hatte es allerdings schwer. Seit 13 Jahren ist die konservative Partei in Großbritannien an der Macht, allerdings prognostizieren schon im Vorfeld sämtliche Umfragen einen Machtwechsel, da die Partei seit Jahren zerstritten ist, der Brexit, der in dieser Zeit stattfand, für viele Menschen enttäuschend war und die Partei auch immer wieder durch negative Vorfälle wie etwa Korruptionsfälle oder sexuelle Belästigungen eigener Abgeordneter in die Schlagzeilen geriet. Sunak räumte die Partei zwar nach den Skandalen von Boris Johnson auf, wirkt sonst aber recht kühl. Von der "Times" wurde er gar als arrogant bezeichnet.
Keir Starmer (Labour Party)
In die Wahl führte die Partei ihr Vorsitzender, Keir Starmer, der 2020 Jeremy Corbyn ablöste und die Partei wieder in die Mitte führte. Dabei wurde Starmer, der wegen seinen Leistungen in seiner Funktion als Staatsanwalt den Titel "Sir" trägt, der große Aufstieg nicht in die Wiege gelegt. Vielmehr hat Keir Starmer eine klassische sozialdemokratische Aufstiegsgeschichte zu erzählen (und tut dies auch sehr gerne): Der Vater arbeitete in einer Fabrik, die Mutter war im Gesundheitsdienst tätig, bevor sie selbst schwer krank wurde. Obwohl Starmer dadurch eine Verbindung zu den "normalen Menschen" habe, gelinge ihm die Verbindung nicht immer so recht, analysiert etwa Politologe Karl Pike für die ARD-Tagesschau. Zwar gehe er dem Populismus aus dem Weg, dafür wirke er oft "langweilig", so Pike. Starmer gelte außerdem nicht unbedingt als der große Visionär, analysiert Bettina Schulz in der "Zeit", sondern wird vielmehr als "technokratisch und zielgerichtet" beschrieben. In der Labour-Partei erhofft man sich von ihm nun, das Chaos der Tories zu beenden.
Ergebnis britische Unterhauswahl 2019
Die letzte britische Unterhauswahl fand – vorzeitig – am 12. Dezember 2019 statt. Die Conservative Party holte mit 43,6 Prozent unter ihrem damaligen Vorsitzenden Boris Johnson die größte Mehrheit seit den 80er Jahren. Die Labour-Partei unter Jeremy Corbyn stürzte hingegen um 7,7 Prozent ab und erreichte nur 32,6 Prozent der Stimmen. Ihre Stimmen wanderten damals hauptsächlich zu den pro-europäischen Liberal Democrats (11,9 Prozent).