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Gerald Fleischmann: Wie die Demokratie ins Out manövriert wird

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10 min
Gerald Fleischmann©GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com
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Der Medienprofi und Meinungsmacher erklärt in einem neuen Buch „Die Codes der Extremisten“, wie Extremisten und autokratische Staaten Demokratie und Gesellschaft unterminieren. News druckt einen Teil daraus ab.

Als Pressesprecher, Medienbe­rater und Mitarbeiter von Bundeskanzlern (Sebastian Kurz, Karl Nehammer), Ministerinnen (Elisabeth Gehrer, Claudia Bandion-­Ortner) und einer Partei (der ÖVP) weiß Gerald Fleischmann, wie man Stimmungen erzeugt oder unliebsame Geschichten in den Hintergrund drängt. Seine Strategie der „Message Control“ während der Kanzlerschaft von Kurz ist nicht nur Medienmenschen in – schlechter – Erinnerung, der Begriff steht heute für einen sehr speziellen Umgang mit Medien und der öffentlichen Meinung. In seinem ersten Buch, mit ebendiesem Titel „Message Control“, lieferte Fleischmann Einblicke in seinen Werkzeugkoffer und erzählte freimütig von „SNU“, strategisch notwendigem Unsinn, mit dem er Journalisten abzulenken versuchte.

Dunkle Netzwerke

Nun liegt ein neues Buch von Fleischmann vor: „Die Codes der Extremisten. Wie Links- und Rechtsextreme, Autokraten und Islamisten die Demokratie unterwandern“. Der Autor beschreibt darin nicht nur den Werdegang extremistischer Gruppen – etwa der Identitären, Extinction Rebellion oder islamistischer Organisationen, er erklärt auch, mit welchen Instrumenten sie sich in klassischen, vor allem aber in „sozialen“ Medien umtun, um die Gesellschaft und letztendlich Demokratien zu unterwandern. Wie Russland – nicht erst seit dem Angriff auf die Ukraine – den Westen zu destabilisieren versucht. Oder welche Interessen die Monarchien am Persischen Golf in Europa verfolgen.

Da Fleischmann durch seine Zeit in Außenministerium und Kanzleramt über Einblicke in den politischen Alltag verfügt, illustriert er seine Erklärung mit Szenen aus dem unmittelbaren ­Umfeld von Kurz und Nehammer. Blicke durchs Schlüsselloch, die für politikaffine Menschen erhellend sein können.

So beschreibt er, wie der frühere FPÖ-Verteidigungsminister und heutige Landeshauptmann Mario Kunasek den Identitären die Tür ins Bundesheer öffnen wollte – und dann doch zurückzog (siehe Abdruck aus dem Buch auf den folgenden Seiten). Und er gibt ein Telefonat wieder, das Kanzler Nehammer mit dem wiedergewählten Präsidenten Donald Trump nach dessen Sieg geführt hatte.

Das letzte Kapitel des Buches widmet Fleischmann Gegenstrategien. Dem Journalismus und den Medien weist Fleischmann dabei eine wichtige Rolle zu. Auch wenn klassische Medienhäuser unter Druck geraten, gebe es immer noch die Möglichkeit, mit verantwortungsbewusstem Journalismus dagegenzuhalten, etwa durch Journalismusnetzwerke, die nicht mehr entlang der gewohnten Medienmarken verlaufen müssten.

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Das Buch

Gerald Fleischmann, „Die Codes der Extremisten“. Wie Links- und Rechts­extreme, Putin und Islamisten die Demokratie unterwandern. Verlag edition a, € 26

 © Verlag edition a

Leseprobe aus dem Buch

Sie erstellten Feindeslisten, betrieben Waffenlager und organisierten Schießübungen. Es wirkte tatsächlich, als bereite man sich auf eine Schlacht vor.

Experten deuteten die Operationen als versuchten Aufbau einer „Schattenarmee“. Bei einem der Verdächtigen fand man eindeutige Nazi-Symbole, ­Hakenkreuze, Hitler-Bilder und mehr. Zudem wurden in der Gruppe Wehrmachtsdevotionalien ausgetauscht, also Utensilien der deutschen Wehrmacht aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Bei einem anderen Mitglied wurde das Buch „Mein Kampf“ von Adolf Hitler gefunden, einer der Verdächtigen war auch Mitglied der rechtsextremen Identitären Bewegung.

Ob man den „Tag X“ von anderer Seite erwartete oder ob man selbst einen Umsturz plante? Dazu sagte einer der Verdächtigen, der auspackte: Das Netzwerk bereitete sich intensiv auf einen „Bürgerkrieg“ vor. Dieser Bürgerkrieg würde durch Terroranschläge von Flüchtlingen ausgelöst werden. Der beschuldigte ­Beamte kam vor den Ermittlern auf ­einen Verein in Österreich zu sprechen namens Militär Fallschirmspringer ­Verbund Ostarrichi, kurz Milf-O. Bei diesem Verein hätten er und seine Chat-Gruppe am „Nibelungen-Marsch“ teilgenommen, benannt nach der Sage über den Helden Siegfried. Der Verein organisierte auch Gedenkfeiern für verstorbene Wehrmachtssoldaten. Obmann des Vereins Milf-O war ein gewisser Herr P.

Dieser Herr P. hatte im Jahr 2012 im österreichischen Verteidigungsministerium um Anerkennung von Milf-O als „wehrpolitischer Verein“ gebeten. Was mit Unterstützungen durch das Ministerium und Kooperationen verbunden gewesen wäre. Dazu kam es nicht, die Anerkennung wurde verwehrt. Aber im Jahr 2018, sechs Monate nachdem Mario Kunasek von der FPÖ Verteidigungs­minister wurde, erhielt der Verein die ­Anerkennung. Der Minister und Herr P. kannten sich. Sie hatten davor gemeinsam ein „Grenzschutz-Konzept“ für die FPÖ entwickelt. Herr P. gab im April 2018 ein Interview für ein Medium der Identitären Bewegung. Er schrieb für ein anderes Magazin, in dem Mitglieder der Identitären Artikel veröffentlichten, und war überhaupt gut vernetzt mit Personen aus dem rechtsextremen Umfeld.

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Spitz auf Knopf: Kurz-Pressesprecher Gerald Fleischmann beschreibt in seinem Buch, wie der damalige FPÖ-Verteidigungs­minister Mario Kunasek (rechts) versuchte, Identitäre zum Militär zuzulassen. ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz habe dagegengehalten.

 © Foto: HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

Springen wir etwas nach vorne.

Wir befinden uns in der Regierung Kurz-Strache im Jahr 2019. Bis gestern, 4. April 2019, gab es beim österreichischen Bundesheer einen Sperrvermerk. Dieser besagte, dass Mitglieder einer rechtsextremen Gruppe wie der Identitären nicht zum Militär zugelassen werden. An diesem 4. April wurde dieser Sperrvermerk per Erlass aufgehoben. Zuständig war Mario Kunasek, FPÖ-Verteidigungsminister. Bundeskanzler Kurz und sein Team erfuhren davon in den Morgenstunden. Es kam zu Beratungen. Gegen zehn Uhr vormittags rief Kurz Vizekanzler ­Strache an. Er informierte ihn darüber, dass er eine sofortige Rücknahme dieses Erlasses forderte und dies auch veröffentlicht werden müsse. Und dann die Drohung: Würde das nicht bis zwölf Uhr mittags passieren, würde er umgehend um eine Audienz beim Staatsoberhaupt, Bundespräsident Alexander Van der Bellen, ansuchen und die Entlassung des Verteidigungsministers vorschlagen. Dieser müsste gemäß Verfassung diesen Vorschlag annehmen. Kurz sagte Strache, er sei sich bewusst, dass das zum Bruch der Koalition und zum Ende der gemeinsamen Regierung führen könnte. Aber er habe keine andere Wahl. Ich konnte nicht hören, was Strache am Telefon sagte, er soll angeblich gefasst auf dieses Ultimatum reagiert haben. Es stand also tatsächlich Spitz auf Knopf.

Die Presseleute im Kanzleramt saßen vor den Bildschirmen und warteten darauf, dass jede Minute eine Pressemeldung des Verteidigungsministeriums über den Äther rattern würde. Aber es kam nichts. Auch um zwölf Uhr war noch nichts da. Keine Pressemeldung.

Kanzler Kurz rief erneut zu Beratungen. Das Büro des Kanzleramts hatte bereits um einen Termin beim Bundespräsidenten angefragt. Alles schien auf einen Bruch hinauszulaufen. Ich rief ­einen Vertrauensmann bei der FPÖ, dem Koalitionspartner, an. Er war über die Medienaktivitäten der FPÖ-Ministerien gut informiert und würde wohl wissen, ob eine Pressemeldung geplant sei. Er informierte mich, dass eine Meldung des Verteidigungsministeriums bereits bei der Nachrichtenagentur aufliegen würde, die Agentur diese aber noch nicht versendet habe. Knapp bevor der Kanzler loslegen wollte, erschien auf den Bildschirmen der Presseleute dann die Schlagzeile: „Identitäre – Kunasek: Sperrvermerke wieder in Kraft“.

Und weiter: „Die Sperrvermerke für Soldaten, die Mitglieder oder Unterstützer der rechtsextremen Identitären Bewegung sind, sind wieder in Kraft. Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) hat eine Rückkehr zur alten Regelung angewiesen. ‚Politischer oder religiöser Extremismus, egal von welcher Seite, hat im Bundesheer nichts verloren‘, so Kunasek in einer Aussendung am Donnerstag.“ Die Regierung zerbrach also nicht. Noch nicht. Eineinhalb Monate später tauchte das Ibiza-Video auf. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Gerald Fleischmann, 51

hat nach seinem Studium zunächst als Journalist gearbeitet (u. a. bei News und dem „Standard“). Seit 2004 arbeitet er in unterschiedlichen Position für die ÖVP. Er war unter anderem Sprecher von Sebastian Kurz und Berater von Karl Nehammer.

 © beigestellt

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.06/2025 erschienen.

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